«Selbst des Menschen Trotz muss dich preisen» - Bibel einfach erklärt (SN)

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Roland Diethelm (Foto: Roland Diethelm)
Wir sind zum Loben geschaffen. Selbst unser Aufbegehren muss letztlich Gottes unüberbietbare Macht offenbaren. Das befreit: Wir dürfen unser ganzes Leben als Antwort auf seine Herrlichkeit leben.
PSALM, 76, VERSE 2 BIS 4 UND 11:
«Bekannt ist Gott in Juda, gross sein Name in Israel. In Salem war seine Hütte und seine Wohnstatt auf dem Zion. Dort zerbrach er die Blitze des Bogens, Schild und Schwert und Krieg. Selbst der Grimm des Menschen muss dich preisen, die dem grimmigen Wüten entkommen, gürtest du dir um.»

Ein Tag voll Ärger, Frust sitzt tief. Dann der Abend: ein Lied, Stille – und plötzlich löst sich der innere Knoten. Nicht weil alles gut ist, sondern weil etwas Grösseres Raum greift.
Psalm 76 beschreibt genau diese überwältigende Wirklichkeit Gottes. Er erinnert an Gottes Sieg über feindliche Mächte. Gott ist unvergleichlich mächtig. Und dann kommt dieser atemberaubende Satz: «Selbst der Grimm des Menschen muss dich preisen», oder wie es auch übersetzt werden kann: «selbst des Menschen Trotz». Selbst die aufgebrachte Wut, die zerstörerische Feindschaft des Menschen – sie wird am Ende dazu dienen, Gottes Grösse offenbar zu machen. Gott grenzt sie ein und bezieht sie in sein grosses Heilsziel ein. Der «Rest des Grimms», den Gott gleichsam wie ein Kleid anlegt, zeigt: Nichts entgleitet seiner souveränen Kontrolle.
Das ist der Schlüssel: Wir sind geschaffen, um Gott zu loben – nicht mit frommen Worten, sondern mit unserem ganzen Leben. Unser Dasein selbst ist Antwort auf den Schöpfer. Der Psalm sagt nicht, dass wir Gott mit unserer Wut freiwillig preisen. Er sagt: Selbst das Rebellischste, das Zerstörerischste im Menschen wird von Gottes Macht eingehegt und muss ihn zur Geltung bringen. Seine Herrlichkeit bricht sich Bahn, gegen unseren Widerstand.
Das ist befreiend! Es entlastet uns vom Druck, perfekte Lobredner sein zu müssen. Unser Gotteslob ist nicht unsere Leistung, sondern Antwort auf seine Tat. Selbst wenn wir murren, zweifeln oder wütend sind – Gott ist so gross, dass er auch darin noch einen Weg findet, sich zu verherrlichen. Wenn wir unsere Wut, unseren Schmerz ihm hinhalten, verwandelt er sie. Wir sind Resonanzkörper seiner Herrlichkeit. Unser tiefstes Glück liegt darin, dieses Echo zu sein – manchmal jubelnd, manchmal durch Tränen hindurch, aber immer geprägt von der unausweichlichen Wahrheit: wir sind zum Lob geschaffen. Selbst unser Scheitern wird, in seiner Hand, Zeugnis seiner rettenden Gnade.

Roland Diethelm
Reformierter Pfarrer, St. Johann-Münster, Schaffhausen
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Hiermit verabschiedet sich Ingo Bäcker von den Lesenden der Bibelkolumne. Er wird im Sommer pensioniert.

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