Shownotes von «Aufwärts stolpern»
Hier die Shownotes aller Episoden von » Aufwärts stolpern», dem Podcast für die Kirchgemeinde mit Ambitionen.
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Staffel 9
Montag, 14. April 2025: Staffel 9, Episode 7 (ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Flavia Hüberli, wie bringt man Kirchgemeinden dazu, Neues auszuprobieren?»
Die Sozialdiakonin Flavia Hüberli arbeitet bei der Innovationsstelle «Start-up Kirche» der reformierten Thurgauer Kirche. Sie kennt die Klagen von Überlastung, die verhindern, dass sich Kirchgemeinden mit der Zukunft beschäftigen, sie hat aber Wege gefunden, wie es dennoch gelingt. Davon erzählt sie hier.
Nach ihrem Studium am Theologisch-Diakonischen Seminar arbeitete Flavia Hüberli elf Jahre als Jugendarbeiterin. «Ich habe aber immer von Innovation geträumt», sagt sie im Podcast «Aufwärts stolpern». Mit Neuerungen beschäftigt sie sich jetzt hauptberuflich an der Innovationsstelle «Start-up Kirche» der reformierten Thurgauer Kirche.
Der Anfang war eher ernüchternd: «Ich war zu Beginn wohl etwas naiv. Ich dachte, ich bekomme viele Telefonanrufe von motivierten Menschen, die etwas aufbauen wollen.» Doch diese Art von Anrufen waren eher Einzelfälle. «Die Leute, die Probleme in Kirchgemeinden lösen helfen, waren dagegen wahnsinnig gefragt», sagt Hüberli. Sie habe oft Aussagen gehört wie: «Wenn wir dann endlich die neue Pfarrerin haben oder wenn das Kirchgemeindehaus umgebaut, dann können wir uns mit inhaltlichen Themen beschäftigen.»
Podcast-Co-Host Anna Näf fragt, was denn eine Kirchgemeinde braucht, um innovativ zu werden. Es seien oft einzelne Personen in einer Kirchgemeinde, die etwas Neues anfangen wollen, hat Hüberli beobachtet. Wenn Innovationen in ganzen Kirchgemeinden gelingen sollten, gelte: Die Beziehungen müssen gesund sein, die Kirchgemeinde muss Menschen erreichen wollen, die noch nicht da sind, und es brauche die Offenheit Veränderungen gegenüber.
Kaffee und Crêpes
Für die Kantonalkirche hat sie das Projekt Kaffeemobil umgesetzt: einen Autoanhänger mit Kaffeemaschine und zwei Crêpeplatten, den Kirchgemeinden für Jahrmärkte oder Dorffeste mieten können. «Ein Diakon hat mir nachher erzählt, dass er an einem Wochenende so viele Kurzgespräche geführt hat wie sonst in drei Monaten.» Diese positiven Erfahrungen könnten dann dazu führen, dass man auch an einem anderen Ort mutiger werde.
Die Frage stellt sich: Wo soll man anfangen? «Die meisten ahnen, dass man etwas unternehmen muss, wissen aber nicht, was», sagt Flavia Hüberli. Dazu kommt, dass der rasant wachsende Abstand zwischen Kirche und Gesellschaft Kirchgemeinden lähme. Und dann fehlen die Ressourcen: Zeit, Personal, Geld.
Angebote beenden
Wenn Hüberli zu einer Beratung eingeladen werde, redet sie nicht nur von Innovation, sondern auch von Exnovation: Man kann nicht immer neue Dinge anstossen, Kirchgemeinden müssen auch Dinge beenden, Angebote abschaffen.
Das allerdings ist keine Stärke der Kirche, kommentiert Podcast-Co-Host Lukas Huber. Hüberli widerspricht nicht, sagt aber: «Oft hilft es, wenn man in der Kirchenvorsteherschaft einfach noch einmal darüber redet. Manchmal klärt sich etwas ganz von alleine, wenn man im Gespräch merkt: Das ist ja nicht nur meine Idee.»
Klarer Fokus
Es falle einfacher, wenn man genau erklären kann, warum man ein Angebot beenden will, sagt Flavia Hüberli. «Es kann helfen, wenn man begründen kann, warum man jetzt zum Beispiel den Fokus auf Familien legt.»
Weiter sagt Hüberli: Man brauche Feingefühl, dass die Leute, die da sind, nicht das Gefühl haben, dass man ihnen etwas wegnimmt. Man kann das Neue auch tröpfchenweise einführen und das Alte noch eine gewisse Zeit weiterlaufen lassen, bis alle sehen, dass es funktioniert.
Aufhören ist das eine, abgeben das andere. Wenn ein Pfarrer von den Vorgängern die Tradition übernommen hat, im Jahr 100 schriftliche Glückwunschkärtchen von Hand zu schreiben, kann er einfach aufhören – oder vielleicht findet man jemanden, der das mit Leidenschaft macht.»
Die Befähigung von Freiwilligen ist Hüberli wichtig. Sie habe eine Kirchgemeinde beraten, in der Menschen eine neue Form von Gottesdienst ausprobieren wollten. Die Angestellten sagten, sie hätten keine Zeit dafür. Hüberli hat in der Folge mit 20 Freiwilligen das neue Format entwickelt. Es wird seit über einem Jahr vollständig durch Freiwillige getragen.
Prototyp statt Projekt
Die Innovationsexpertin unterscheidet bei dem Entwickeln von neuen Ideen und Formaten zwischen Prototypen und Projekten. Kirchgemeinden planten gewöhnlich Projekte: Ein Angebot wird mit einem Zeithorizont von Jahren geplant und dann ausgeschrieben. Dabei sei es oft sinnvoller, einfach einmal einen Prototypen durchzuführen. Für einen einmaligen Anlass finde man einfacher Mitstreiterinnen und Mitstreiter. «Und man ist viel mutiger.» Wenn der Prototyp ein Flop sei, sei das kein Problem. Wenn er aber gut herauskommt, kann man sich immer noch überlegen, ob man den Anlass – verbessert – wiederholt.
Im letzten Teil der «Aufwärts-stolpern»-Episode erzählt Flavia Hüberli von ihren Erfahrungen mit dem Projekt «Open Place» in Kreuzlingen, von der Freude über das Wachstum und den Herausforderungen in Sachen Strukturen, die ein wachsendes Projekt mit sich bringt.
Die ganze Episode mit Flavia Hüberli wurde ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht. Man kann man » hier nachhören.
» Die Fachstelle «Start-up Kirche»
» Der Werbetrailer für «Kaffeemobil – Kirche bei dir».
» Die Website des Projekts Open Place.
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Montag, 17. März 2025: Staffel 9, Episode 6 (ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Simon Obrist, was denkt der Beizer über die Kirche?»
Sozialdiakon und Gastronom Simon Obrist hat schon vieles von innen erlebt: unter anderem die Kirche und die Beiz. Er baute die Streetchurch auf, wurde später vom Jugendarbeiter zum Geschäftsführer der Cafébar «Zum Hinteren Hecht» in Winterthur. Der Kirchgemeinde mit Ambition rät er, sich zu entscheiden, ob sie einen Kirchenkaffee anbieten will oder ernsthafte Gastronomie.
Simon Obrist tanzt auf vielen Hochzeiten: Er hat als Sozialdiakon die Streetchurch mitaufgebaut, er arbeitete als Jugendarbeiter, heute ist er Geschäftsführer der Cafébar «Zum Hinteren Hecht» in Winterthur. Er sagt von sich: «Irgendwie zieht es mich immer an die Orte hin, wo ich ein Potential erkenne, was man tun könnte.» An der Gastronomie interessant sei das Gastgeber-Sein: die Kombination, an einem öffentlichen Ort Menschen zu begegnen, die er noch nicht kennt und andere Menschen immer wieder zu sehen, sie zu Stammgästen werden zu lassen.
2018 trat er die Stelle als Jugendarbeiter für junge Erwachsene in Winterthur Seen an. Bereits am ersten Tag seiner Anstellung fand ein Visionstag an, inklusive der Frage, was er denn vorhabe. «Das war für mich ein sehr steiler Einstieg, aber auch sehr gut», sagt er im Podcast «Aufwärts stolpern». Während dieses Visionstags habe es auch eine Sequenz gegeben, in der er mit den Freiwilligen des Bereichs Junge Erwachsene zusammensass, vor allem 18- bis 23-Jährige. Er sagte ihnen, dass er eine Cafébar aufbauen wollte. «Sie waren begeistert.» Als er dann auch herausfand, dass sie gewohnt waren, anzupacken, und gut vernetzt waren in Winterthur, ging es los. Sie überlegten zu sechst, wie das Konzept einer solchen Cafébar aussehen müsste, damit es funktioniert.
Der moderne Dorfplatz
Das Stichwort Einsamkeit sei ein wichtiger Treiber der Überlegungen gewesen, in der Coronazeit, aber auch generell. Das Leitbild war der Dorfplatz von früher, wo man sich nicht zu einer Mitgliedschaft verpflichten oder zu einer bestimmten Zeit auftauchen musste, sondern wo man einfach Teil einer Gemeinschaft war, wenn man erschien. «Wir wollten eine offene Gastfreundschaftskultur pflegen.» Darum gab es von Anfang an und bis heute keinen Konsumationszwang. Dafür kann man einem anderen künftigen Gast einen Kaffee spendieren, worauf eine alte italienische Lire-Münze in eine Kaffeetasse gelegt wird, mit der ein Gast ohne Geld einen Kaffee bezahlen kann.
Gastfreundschaft sollte nicht nur ein Wort sein: «Wir haben immer gesagt: Man soll alleine hereinkommen und mit Freunden hinausgehen.»
Allerdings wurde das Projekt auch mit den wirtschaftlichen Realitäten konfrontiert, was dazu führte, dass sich das Projekt von der Kirche löste und zu einem Verein wurde. Und neun Monate später kam Corona.
Pläne schmieden an Tisch 1
Trotzdem hat sich der «Hecht» gehalten. Und seit November 2024 gibt es «Tisch 1»: freitags zwischen neun und elf Uhr sitzen Simon Obrist und eine Kollegin an Tisch 1, um Kaffee zu trinken und Pläne zu schmieden, erzählt der Hecht-Geschäftsführer.
«Der Aufbau einer Gemeinschaft ist auch das Geschäft der Kirchgemeinde. Wie gelingt das?», will Aufwärts-stolpern-Co-Host Anna Näf von Simon Obrist wissen. «Am einfachsten ist es, wenn man schon eine Basis von ein paar Freunden hat und dort gute Idee bringt.» Zentral sei auch, dass von Anfang an klar ist, dass es nur geht, wenn alle gemeinsam anpacken.
Ein Paradebeispiel dafür sei der Cevi, sagt Obrist: Der Aufwand ist enorm, um Kindern jeden Samstagnachmittag ein attraktives Programm anzubieten. Das funktioniere nur, weil die Leiterinnen und Leiter selber erlebt haben, wie toll es war, als sie Kind waren, und weil sie es als Team gut zusammen haben.
Was hat die Beiz mit Kirche zu tun?
Co-Host Lukas Huber stellt die Frage, die Simon Obrist schon oft gehört hat: «Was hat der ‹Hecht› mit Kirche zu tun?» Antwort: «Nichts. Und alles.» Der «Hecht» ist heute strukturell nicht mit der Kirche verhängt, trotzdem sei die Idee dazu in der Kirchgemeinde entstanden. «Geblieben ist, dass es nicht um Gastwirtschaft geht, sondern um Gastfreundschaft. Was wir machen, hat viel mit einem guten Zusammenleben zu tun.» Eine Reich-Gottes-Perspektive ins Spiel zu bringen sei wichtiger als etwas «kirchlich» zu nennen.
Simon Obrist plädiert dafür, die Kategorien von aussen und innen aufzugeben. «Mit mir kann man über alles reden.»
Da stellt sich die Frage: Sollte jede Kirchgemeinde eine Cafébar betreiben? Simon Obrist erinnert an die Entwicklung vor 100 Jahren, als überall Kirchgemeinde-Häuser gebaut wurden. Nun habe man überall überdimensionierte Kirchgemeinde-Häuser mit grossen Foyers. «Aber dort erwartet einen niemand.»
Wenn man davon ausgehe, dass heute die Leute nach schön gestalteten Räumen fragen, die mit Menschen gefüllt sind, stelle sich die Frage, ob Cafébars die Nachfolger der Kirchgemeinde-Häuser seien. «Ob sich das allerdings im Kirchgemeinde-Haus umsetzen lässt, und ob das Kirchgemeinde-Haus am richtigen Ort liegt, müsste man überlegen.»
Professionell oder gar nicht
Wenn eine Kirchgemeinde entscheidet, sich in die Gastronomie zu investieren, sagt Obrist, sollte sie das professionell machen – nicht mit einer Kapsel-Kaffeemaschine, Chips und «Biberli». Und die Cafébar müsse an einem zentralen und attraktiven Ort situiert sein. Dazu müsse sichergestellt werden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine gastfreundliche Haltung haben.
Zum Schluss der Podcast-Episode gefragt, was ihm Hoffnung für die Kirche gebe, sagt Simon Obrist: «Meine persönlichen Erlebnisse mit den Worten der Bibel. Sie haben unglaubliche Kraft. Sie kommen von aussen und machen etwas mit einem Menschen.»
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Die » Website der Cafébar «Zum Hinteren Hecht».
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Montag, 17. Februar 2025: Staffel 9, Episode 5 (ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Martin Benz, was macht man, wenn Glaube und Kirche nicht mehr passen?»
Podcaster und Buchautor Martin Benz bezeichnet sich selber als «Umzugshelfer». Er unterstützt Menschen, die spüren, dass Glaube und Kirche nicht mehr ins eigene Leben passen. Drei grosse Fragen helfen bei Dekonstruktion und Rekonstruktion: Was will ich mitnehmen? Was entsorgen? Was neu anschaffen?
«Glaube ist kein Standpunkt, sondern eine Reise», sagt der ehemalige Gemeindegründer und Freikirchenpastor Martin Benz. Er hat nach Jahrzehnten seinen Job als kirchlicher Angestellter an den Nagel gehängt und arbeitet heute als Podcaster, Buchautor und «Umzugshelfer», wie er seine Aufgabe beschreibt.
Martin Benz’ Podcast Movecast (Link: movecast.de) beschäftigt sich mit der Glaubensentwicklung von Menschen. Er habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass auch sehr engagierte Christinnen und Christen irgendwann anfangen, den eigenen Glauben zu hinterfragen. Das könne daran liegen, dass sich mit den Lebensjahren auch das Denken weiterentwickelt, Auslöser einer Glaubenskrise könne aber auch ein Bruch im Leben sein wie etwa eine Scheidung. Dann stelle sich die Frage: «Wie könnte Glauben unter den neuen Umständen aussehen?»
Dekonstruktion als landeskirchliches Thema
Dekonstruktion sei ein grosses Thema in Freikirchen, wo sich Menschen von einem engen Glauben abwenden. Aber auch in Landeskirchen könnten Menschen irgendwann zum Schluss kommen, dass der Glaube nicht mehr passt. Wer durch Lebensumstände in eine persönliche Krise gerät, merkt unter Umständen: «Darauf war ich nicht vorbereitet, mein Glaube trägt ja gar nicht», wie es Martin Benz in Episode 09-05 des Podcasts «Aufwärts stolpern» beschreibt.
Von Podcast-Co-Host Lukas Huber gefragt, was er als Pfarrer antworten solle, wenn freikirchlich geprägte Menschen in seiner Kirchgemeinde auftauchen, rät Martin Benz, drei Fragen zu stellen:
• «Was willst du mitnehmen von dem, was du bisher geglaubt hast?»
• «Was entsorgst du besser?»
• «Was solltest du neu anschaffen?»
Zudem sei die ehrliche Frage hilfreich:«Findest du bei uns, was dir so kostbar ist, und sind wir der richtige Ort für dich?»
Jugendarbeiterin und Co-Host Anna Näf fragt Martin Benz, wie in einer kirchlichen Jugendarbeit Glaubensvermittlung aussehen müsste, die eine spätere Dekonstruktion überflüssig mache. Das sei wohl gar nicht möglich. Jeder Glaube ist zuerst ein übernommener Glaube; er könne von Eltern, von der Kirchgemeinde oder auch von der Jugendarbeiterin übernommen werden. Darum müsse der Glaube immer einen Reifungsprozess durchlaufen. Dabei sei möglich, dass alles einigermassen harmonisch mitreift, es könne aber auch sein, dass Einiges dekonstruiert werden müsse.
Wie entwickeln sich die Menschen in meiner Kirchgemeinde?
Allerdings sagt Martin Benz klar: «Je gesunder ein Glaube ist, der vermittelt wurde, desto weniger Toxisches muss später entsorgt werden.» Er empfiehlt kirchlich Engagierten, sich zu fragen, ob die Menschen in der eigenen Jugendarbeit oder in der Kirchgemeinde hartherziger, verurteilender und ängstlicher werden oder im Gegenteil offener, liebevoller und grosszügiger. Daran, wie sich Menschen entwickeln, könnten die Verantwortlichen ablesen, ob ihr Wirken positive Auswirkungen habe.
Anna Näf fragt Martin Benz, ob sich rund um seinen Podcast so etwas wie eine digitale Kirche gebildet habe. «Ja. Es ist eine neue Art von Kirche entstanden, aber es ist keine ausreichende Art von Kirche.»
Seine Rückmeldungen zeigten: Leute machten traumatische Erfahrungen in Kirchen. Da könne die Movecast-Community helfen: Dass man nicht alleine ist, tröstet. Wenn aber eine Podcast-Community ein langfristiger Kirchenersatz bleibe, entziehe man sich der Gemeinschaft und Verantwortlichkeit anderen gegenüber. Dabei braucht man verbindliche Beziehungen, um zu wachsen. «Ich möchte Menschen dahin führen, dass sie wieder Freude an einer physischen Gemeinschaft haben.»
Kirche sollte weniger machen
Seine Erfahrung als Podcaster und Buchautor haben ihn gelehrt: «Neue Inhalte braucht neue Formen.» Gleichzeitig sagt er: «Ich bin ziemlich ratlos, wie so eine Kirche aussieht.» Er selber würde, wenn er wieder eine Stelle in einer Kirchgemeinde anträte, nach 30 Jahren als Pastor wieder in die alten Muster rutschen. «Ich habe noch keine Idee, wie man es anders machen könnte.»
Klar ist für Martin Benz, dass weniger mehr ist. In den letzten Jahrzehnten sei im Leben von vielen Menschen Freiraum zur Mangelware geworden. «Wir arbeiten zwar immer weniger lang, brauchen aber immer mehr Zeit zur Regeneration.» Zur Arbeit sei sehr viel Anderes gekommen, das Energie kostet. Die Alltagsmüdigkeit führe zur Gemeindemüdigkeit. «Bei der Arbeit kann man nicht sparen, in der Familie auch nicht mehr, also geht man nur noch einmal im Monat in den Gottesdienst.»
Einen Ausweg sieht Martin Benz in einem Bild aus dem Alten Testament: Man dürfe das Feld nicht bis zum Rand abernten; man sollte also nicht das Letzte aus dem Leben rausholen wollen, sondern noch etwas stehen lassen für die Zeit, in dem das Leben überraschend zusätzlich Zeit einfordert.
Vor allem: Kirche sollte das Leben zum Blühen bringen
Ausgehend vom theologischen Konzept des Reichs Gottes sagt Martin Benz: «Gott will das Leben zum Blühen bringen. Eine Kirchgemeinde, die dabei hilft, wird ungeheuer attraktiv sein.» Das wäre sein oberstes Ziel, wenn er noch einmal in einer Kirchgemeinde arbeiten würde. Allerdings brauche es auch eine Ausweitung des Begriffs Kirche. Wenn damit nur Gottesdienst gemeint ist, seien vor allem jene gefragt, die gut reden können. Wenn aber auch bei Seniorenbesuchen das Leben zum Blühen gebracht werden kann oder in einer Suppenküche, können viel mehr Menschen mitwirken.
Gefragt, was ihm den Hoffnung für die Kirche gibt, sagt Martin Benz: «Dass sie schrumpft.» Es tue der Kirche gut, nicht mehr Mehrheitskirche zu sein. «Die Mehrheit zu repräsentieren macht unglaublich anfällig für Machtausübung und Äusserlichkeit.» Innerlichkeit und Kraft liege in der Minderheitenposition.
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Der Podcast «Movecast» von Martin Benz findet sich » hier.
» Hier ein Verzeichnis der Bücher von Martin Benz.
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Montag, 20. Januar 2025: Staffel 9, Episode 4 (ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Daniela Zillig, wie ist der Sommer im Feld?»»
«Sommer im Feld ist unser Experimentierraum, unser Freiraum, um auszuprobieren, in welche Richtung sich die Kirche entwickeln könnte, sagt Daniela Zillig im Podcast «Aufwärts stolpern» des Landeskirchen-Forums. Sie seit 2014 Präsidentin der Kirchenvorsteherschaft der Kirchgemeinde Flawil und hat seither viel erlebt – und bewegt.
Seit Jahren wird im Sommer » der Park vor der Kirche umgestaltet zu einer Gastronomiezone, und im Portal der Kirche steht drei Monate lang ein Bartresen inklusive Geschirrspüler. Während dieser Zeit finden die kirchlichen Veranstaltungen an der frischen Luft statt: Gottesdienste und gemeinsame Essen, die Feldbeiz ist aber auch unter der Woche geöffnet und kann kann als Plattform von anderen Veranstaltern aus dem Dorf oder darüber hinaus genutzt werden.
Aufwärts-stolpern-Co-Host und Pfarrer Lukas Huber wendet ein, dass sich «seine» Kirche nicht für ein Projekt wie «Sommer im Feld» eignen würde. Daniela Zillig bestätigt, dass sie mit dem Aussenraum der Kirche Glück gehabt hätten, sagt aber auch: «Eine schwellenlose, gastliche Kirche kann man überall verwirklichen. Dafür braucht es nur einen Tisch und vielleicht etwas mehr als ein Glas Wasser.» Es brauche Menschen mit der richtigen Haltung. Eine veränderte Haltung zeigte sich im Fall der Kirchgemeinde Flawil darin, dass sie als erstes den Hag um das Gelände abrissen, damit man nicht den Eingang zu «Sommer im Feld» suchen müsse.
Viele Mitarbeiter sind nicht Kirchenmitglieder
Gegen 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten im Verlauf des Sommers mit: von den Personen, die Abtrocknungstücher waschen, über Menschen, die die gesamte Infrastruktur auf- und wieder abbauen, bis zu den Leuten hinter der Bar. Jeweils am Montag können sich die Interessierten in ein Terminumfrage-System eintragen. «Bei uns muss man sich nicht vier Monate im Voraus zu einem regelmässigen Einsatz verpflichten», sagt Zillig. Die Atmosphäre sei sehr familiär, nicht zuletzt, weil auch Eltern mitarbeiten können, während sie ihre Kinder auf dem Areal spielen lassen. Aber auch Kinder können mitarbeiten. «Sie erleben sich so als selbstwirksam, was ihr Selbstvertrauen stärkt. Und sie arbeiten dann auch bei anderen Anlässen mit.»
Dabei zeigt sich: In der Feldbeiz arbeiten sehr viele Menschen mit, die sonst nicht sehr engagiert sind in der Kirche. «Viele sind auch nicht Mitglieder der Kirche.»
Für die Angestellten der Kirchgemeinde Flawil habe sich aus dem Projekt «Sommer im Feld» eine Fokussierung der Arbeit ergeben. Wenn schon die ganze Infrastruktur stehe, lege man halt ein Erwachsenenangebot auf den Sommer. Und die Arbeitsbereiche der Angestellten hätten angepasst werden müssen.
Lange Geschichte
Doch wie kam es zu diesen Veränderungen? Nachdem die Kirchenvorsteherschaft in Flawil 2012 stark verjüngt und erneuert worden war, nahm sich die Behörde zuerst drei Jahre Zeit, um mit dem » Beratungsunternehmen Generationenwelten von Lisbeth Zogg Hohn und Danielle Cottier zu überlegen, in welche Richtung sich die Kirchgemeinde entwickeln solle. Die Kirchgemeinde definierte das eigene Indentitätsprofil, die Betriebsorganisation, die Angebote, die Kommunikation und die Räume. Dieser Prozess nahm nicht nur viel Zeit in Anspruch, sondern es brauchte auch viel Kraft, sagt Zillig um möglichst viele der Gemeindemitglieder mit auf den Weg zu nehmen.
Alltagskirche, Kulturkirche, Lernkirche und Feierkirche: Diese vier Felder des Konzepts Generationenkirche sind jetzt in Flawil gleichwertig. «Im Zentrum steht ein niederschwelliger Begegnungsort.» Überall kommen Menschen zusammen, und die vier Arten von Kirche werden bewusst gepflegt. «Du bist der genau gleich gute Christ, wenn du nicht in die Feierkirche kommst, sondern in der Alltagskirche tätig bist.»
Verbunden damit ist eine intensive Beschäftigung mit verschiedenen Zielgruppen und ihren Bedürfnissen. «Was bedeutet es, wenn man die Kirche mit einem Kinderwagen fast nicht betreten kann oder der Rollator in der Türe stecken bleibt?»
Aus diesen Überlegungen hätten sie eine Art Landkarte erstellt, in der eingezeichnet wurde, was gut läuft und welches Angebot angepasst werden sollte. Wichtig war, dass ein Angebot auch scheitern darf. Aus diesen Überlegungen entstanden auch mehrere Bauprojekte, die zurzeit angegangen werden.
Co-Host Anna Näf fragt Daniela Zillig, wie sie als Angestellte und Kirchenvorsteherschaft die Freiwilligen begleiten. Wichtig sei, dass die Angestellten die mühsame Arbeit machen wie Sitzungen einberufen und Protokoll schreiben, damit die Freiwilligen ihre Talente und ihre Zeit dort einsetzen, wo es ihnen entspricht. Zudem haben die Nicht-Angestellten viel Freiheit, ihre Arbeit selbstbestimmt zu machen.
Das Konzept der Generationenkirche wird gut beschrieben im » Buch «Gastliche Kirche von Lisbeth Zogg Hohn und Danielle Cottier.
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Montag, 16. Dezember 2024: Staffel 9, Episode 3 (nur als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Pavel Kraus, wie sollen wir mit dem Wissen in unserer Kirchgemeinde umgehen?»
Pavel Kraus war in seiner Kirchgemeinde Liestal-Seltisberg Mitglied der Kirchenpflege. Er setzte sich dort dafür ein, dass Vergabungen nach klaren Kriterien gemacht werden.
In Strukturen denkt Kraus auch bei seiner Arbeit als Wissensmanager und Hochschullehrer. Der Ausgangspunkt der Beschäftigung mit dem Wissensmanagement ist die Erfahrung, dass in einer Organisation eine Person geht – und plötzlich weiss kaum jemand mehr, wie der Bereich funktionierte, für den sie zuständig war.
Seitdem Wissensmanagement ein Thema ist, setzte man auf Technologie: zuerst auf Datenbanken, heute auf künstliche Intelligenz. All diese Bemühungen haben sich laut Pavel Kraus als nicht zielführend erwiesen.
Wissen ist nicht gleich Information
Im Wissensmanagement unterscheidet man zwischen Wissen und Information. Wissen ist das, was ein Mensch zu einem Zeitpunkt im Kopf hat. Zur Information wird dieses Wissen, wenn es den Kopf der Person verlässt und auf passende Weise dokumentiert wird. «Wenn man diese Unterscheidung versteht, ist schon sehr viel gewonnen», sagt Kraus.
Wissensmanagement ist die Kunst «Conversation und Content» in der richtigen Balance zu halten. Es geht nicht ohne Gespräche, in der Wissen geteilt und – am besten strukturiert – festgehalten wird. Zentral ist der Austausch. Dafür gibt es bewährte Methoden wie Fishbowl oder Open Space, sagt Kraus, es kann aber auch sinnvoll sein, eine Fachperson beizuziehen, die gezielt Fragen stellt und den Prozess anleitet. Wenn das gelingt, können dann Tools wie KI helfen, die Dinge zusammenzufassen und darzustellen.
Wissenstransfer bei Angestellten
In der Kirchgemeinde ist Wissensmanagement und Wissenstransfer ein Thema, das viele Verantwortliche kennen, auch wenn sie nicht mit dem Begriff vertraut sind: Ein Pfarrer tritt eine neue Stelle an oder wird pensioniert, die Nachfolgerin kommt erst nach längerer Vakanz. Wie klappt nun das «Onboarding» der neuen Person, wie Kraus den Stellenantritt und Amtsübergabe bezeichnet.
Der erste Schritt ist, dass die neue Person einen Datenträger bekommt mit Dokumenten, wie der Vorgänger Gottesdienste gestaltet hat oder in anderen Bereichen gearbeitet hat. Das ist aber nur der eine Teil. Viel Wissen ist nicht struktureller, sondern atmosphärischer Art, sagt Kraus: An wen wendet man sich, wenn man einen Raum mieten will, wer hat Probleme mit wem, wie muss man mit dieser oder jener Person umgehen.
Generationenaustausch in der Kirchgemeinde
Ein zweites Feld für Wissenstransfer sieht Pavel Kraus in Angeboten der Kirchgemeinde selber: Wenn es gelingt, Formate zu schaffen, in der sich Generationen treffen und ins Gespräch kommen, dann könne das für die ganze Kirchgemeinde ein grosser Gewinn sein.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs in der Episode von «Aufwärts stolpern» diskutieren die Hosts Anna Näf und Lukas Huber mit Gast Pavel Kraus, wie dieser Wissenstransfer konkret geschehen kann.
Der in der Episode erwähnte Aufsatz «Wie Wissensmanagement-Projekte nachhaltig scheitern. Auf dem Weg zu einer Erfolgslogik» findet sich » auf Pavel Kraus’ Website.
Weitere Beiträge von Pavel Kraus finden sich » bei Linkedin.
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Montag, 25. November 2024: Staffel 9, Episode 2: » «Mission in der atheistischen Gesellschaft», mit Justus Geilhufe
Justus Geilhufe hat 2024 ein Buch mit dem Titel «Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche» geschrieben. An der Tagung des Landeskirchen-Forums vom 26. Oktober 2024 hielt er zwei Vorträge. Im ersten ging es um eine Beschreibung des Staatsatheismus in der DDR und deren Folgen auf die Gesellschaft und auf die Kirche (s. Bericht https://www.lkf.ch/blog/die-atheistische-gesellschaft). Den ersten Teil beschloss Geilhufe mit dem Satz, dass der einzige Auftrag der Kirche die Mission sei.
Den zweiten Vortrag beginnt Geilhufe mit der Beobachtung, dass das Wort Mission sehr vieles bedeuten kann. Ein wichtiges Stichwort ist dabei «Inkulturation». Auch diese kann verschiedene Formen annehmen. Manche überlegen sich, was für Formate die Kirche entwickeln muss, um die (in Ostdeutschland) 90 Prozent Kirchenfremden anzusprechen. Wenn von diesen niemand weiss, warum am Sonntagmorgen die Kirchenglocken läuten, kann man den Gottesdienst auf Samstagabend legen und Sofas in die Kirche stellen. «In Ostdeutschland merken wir, dass das nicht funktioniert.» Im Gegenteil: Die Masse der atheistischen Menschen wird immer grösser.
Andere kommen deshalb zum Schluss, dass Mission nicht heisst, dass die Zahl der Taufen steigt, sondern dass es gilt, zu entdecken, was von der Kirche in die Gesellschaft hineingewandert ist – eben: inkulturiert worden ist.
Mission heisst: vier Gitarrenakkorde
Geilhufe würdigt diese Überlegungen, definiert Mission aber als den Vorgang, in dem Menschen aus der Kirche hinaustreten und versuchen, Menschen dafür zu gewinnen, sich taufen zu lassen und Teil der christlichen Gemeinde zu werden. Er selber habe, als er das Pfarramt in Grosschirma angetreten hatte, sich das Ziel gesetzt, die Zahl der Taufen zu erhöhen. Die Grundidee: Er wollte Kontakt knüpfen zu den Menschen und ihnen dann den Weg in die Kirche bereiten. «Nur vom Biertrinken am Feuerwehrfest haben die Leute noch nicht den Weg in die Kirche gefunden.»
Geilhufe nahm die sächsische Tradition des Kinderchors auf. «Ich kann vier Gitarrenakkorde und habe darum Kinderlieder gesucht, die diese vier Akkorde hatten.»
Als es funktionierte mit dem Kinderchor, liess er sie im Gottesdienst singen; den Eltern bot er während dieser Zeit den Pfarrhof an und eine Kanne voller Kaffee. Mit den Kontakten, die sich aus dem Kinderchor ergaben, startete er den ersten Glaubenskurs.
Halbsätze und Andeutungen
Es geht also laut Geilhufe um eine Kontaktfläche und ein Angebot, mit dem Menschen den christlichen Glauben kennenlernen können. Die aktive Seite ist dabei er: «Niemand von diesen Eltern kam je zu mir und sagte: Herr Pfarrer, ich würde gerne etwas über den christlichen Glauben erfahren, gibt es bei Ihnen so etwas wie Glaubenskurse?»
Gelernt hat Geilhufe, auf Halbsätze und Andeutungen zu hören. Zum Beispiel, wenn am Ende des Leidgesprächs einer alten Frau, die als Einzige der Familie Mitglied der Kirche war, die Tochter unvermittelt sagt, dass sie in der Kindheit ein Jahr in der Kinderkirche gewesen sei. «Schlecht war das nicht.» Solche Sätze seien nicht zufällig.
Wegen solcher Sätze führt Geilhufe eine Liste mit Menschen, die er aufgrund dieser Gesten und Halbsätze erfasst. Wenn fünf oder sechs Menschen auf der Liste stehen, fragt er sie an, ob sie an dem Glaubenskurs teilnehmen wollen, den er in einem Monat startet.
Geilhufe verdeutlicht diese Einsicht mit drei Geschichten von Jesus, in der jeweils eine Person sich Jesus nähert; Bartimäus in Markus 10 zum Beispiel schreit einfach. Aber am Ende sagt Jesus: «Dein Glaube hat dir geholfen.»
In einer atheistischen Gesellschaft gelte es, diese Annäherungsversuche wahrzunehmen und mit einem Angebot zu beantworten. Man merke sehr schnell, wenn die Andeutung kein wirkliches Interesse gezeigt habe.
Die TradWifes
Dabei geht Geilhufe nicht nur bierernst vor. Auf seinem Instagramkanal habe er das Internet-Phänomen der «TradWifes» aufgenommen, worauf ein Jugendlicher ihn gefragt habe, wo er denn eine traditionelle Hausfrau – eine Tradwife – finde. Geilhufe habe ihm dann geantwortet, dazu müsse er zuerst selber traditionell werden, zum Beispiel indem er sich selber taufen lasse. Die Antwort sei gewesen: «Wann und wo?» Der junge Mensch starte bald einen Online-Glaubenskurs, schilderte Geilhufe unter dem Gelächter der Zuhörenden. Auch so etwas könne der Ausdruck eines Annäherungsversuchs sein, den ein junger Mensch vielleicht unternimmt.
Darum, schloss Geilhufe, habe er nicht die schiere Masse der Kirchenfremden vor Augen, sondern er suche nach Andeutungen, die er mit einem konkreten Angebot beantworte.
Seinen Glaubenskurs stellte Justus Geilhufe in einem der Workshops an der Tagung des Landeskirchen-Forums vom 26. Oktober 2024 vor.
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Montag, 4. November 2024: Staffel 9, Episode 1: » «Die atheistische Gesellschaft», mit Justus Geilhufe
Justus Geilhufe ist 1990 in Ostdeutschland geboren worden und ist heute Pfarrer in Sachsen. 2024 ist sein Buch «Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche» erschienen. An der Tagung des Landeskirchen-Forums vom 26. Oktober 2024 beschrieb er eindrücklich, wie sich der Staatsatheismus der DDR in der ostdeutschen Gesellschaft auswirkte. Er beschrieb eine Kirche, die zwar klein, aber überaus aktiv ist.
Die DDR habe zuerst die Zerstörung der Kirche aktiv und sichtbar angestrebt, sagte Geilhufe. Als sich die Regierung bewusst wurde, dass sie nicht so fest im Sattel sitzt und sich allenfalls Solidarität mit der unterdrückten Kirche einstellen könnte, stellte sie auf einen subtileren Kampf um. Sie begann, in die Biografie von Menschen einzugreifen, indem sie die Teilnahme an der Jugendweihe mit den Zukunftschancen von Jugendlichen verknüpfte. Du kannst dich schon konfirmieren lassen, aber wenn du dich nicht zum Staat stellst, stellt er sich auch nicht zu dir, sei die Botschaft gewesen. Niemand habe hungern müssen oder sei ins Gefängnis geworfen worden, aber ein Studium sei ohne Jugendweihe nicht möglich gewesen.
Der einzige Erfolg der DDR: die Schwächung der Kirche
Die Schwächung der Kirche sei das Einzige gewesen, was der DDR-Regime in ihrer Herrschaft überhaupt gelang, stellte Justus Geilhufe fest. Heute sind noch ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung Mitglied einer Kirche.
Wie sich der Alltagsatheismus in den letzten Jahrzehnten auswirkte, beschrieb Geilhufe eindrücklich anhand der alten Kriterien des Schönen, Wahren und Guten. Seine frühste Kindheitserinnerung sei, als er in der ersten Hälfte der 90-er Jahre mit dem Vater im Stadtzentrum von Dresden einer südamerikanischen Band zugehört habe. Plötzlich sei eine Horde von Rechtsradikalen gekommen und sie hätten der ausländischen Band die nackten Hintern zugedreht.
«(Der Andersdenkende) muss weg!»
Auch das Wahre habe in der atheistischen Gesellschaft Schaden genommen: «… muss weg» sei ein gängiges politisches Schlagwort geworden: «Merkel muss weg.». «Die Ampel muss weg.» Diese eliminatorische Sprache beschrieb Geilhufe als Folge des Atheismus: Es gebe nicht mehr eine absolute Wahrheit, die über uns Einzelpersonen und Gruppen steht, sondern immer mehr Menschen erwarten gar nicht, dass Menschen mit einer anderen Meinung ihnen etwas Sinnvolles mitzuteilen hätten; nein, andere Meinungen müssten zum Schweigen gebracht werden.
Auch wenn die Kirche in Ostdeutschland zu einer kleinen Minderheit geworden sind, die bald nicht mehr flächendeckend präsent sein kann, habe sie nicht das gemacht, was eigentlich zu erwarten gewesen sei: Sie hat sich nicht zurückgezogen, sie hat keine Mauern hochgezogen. Im Gegenteil: Der Anteil von Kirchenmitgliedern, die sich gesellschaftlich und politisch engagieren ist viel höher als ihr Anteil an der Gesamtgesellschaft, sagte Geilhufe. «Der ostdeutsche Christ wächst in seiner Kirchgemeinde mit dem Wissen auf, dass, wenn er nicht selber etwas tut, die Gemeinde nicht mehr existiert.» Mehr noch: «Jeder bei uns in der Kirche weiss, dass es nicht vier Hauptamtliche sind, die alles regeln, sondern dass es eigentlich keine Hauptamtlichen mehr gibt und dass wenn irgendetwas geschehen soll, dann hat das mit meiner eigenen Arbeitskraft und Lebenszeit zu tun.»
«Die einzige Aufgabe der Kirche ist Mission»
Die Frage sei, sagte Geilhufe zum Ende seines ersten Referats, was in dieser Situation der Auftrag der Kirche sei – und gab gleich die Pointe des zweiten Referats bekannt: «Die einzige Aufgabe, die wir haben, ist Mission.»
Das zweite Referat des ostdeutschen Pfarrers Justus Geilhufe wird in Kürze hier publiziert. Im weiteren Verlauf der Tagung konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehrere Workshops besuchen und es blieb viel Zeit für Gespräche.
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Die Sozialdiakonin Flavia Hüberli arbeitet bei der Innovationsstelle «Start-up Kirche» der reformierten Thurgauer Kirche. Sie kennt die Klagen von Überlastung, die verhindern, dass sich Kirchgemeinden mit der Zukunft beschäftigen, sie hat aber Wege gefunden, wie es dennoch gelingt. Davon erzählt sie hier.
Nach ihrem Studium am Theologisch-Diakonischen Seminar arbeitete Flavia Hüberli elf Jahre als Jugendarbeiterin. «Ich habe aber immer von Innovation geträumt», sagt sie im Podcast «Aufwärts stolpern». Mit Neuerungen beschäftigt sie sich jetzt hauptberuflich an der Innovationsstelle «Start-up Kirche» der reformierten Thurgauer Kirche.
Der Anfang war eher ernüchternd: «Ich war zu Beginn wohl etwas naiv. Ich dachte, ich bekomme viele Telefonanrufe von motivierten Menschen, die etwas aufbauen wollen.» Doch diese Art von Anrufen waren eher Einzelfälle. «Die Leute, die Probleme in Kirchgemeinden lösen helfen, waren dagegen wahnsinnig gefragt», sagt Hüberli. Sie habe oft Aussagen gehört wie: «Wenn wir dann endlich die neue Pfarrerin haben oder wenn das Kirchgemeindehaus umgebaut, dann können wir uns mit inhaltlichen Themen beschäftigen.»
Podcast-Co-Host Anna Näf fragt, was denn eine Kirchgemeinde braucht, um innovativ zu werden. Es seien oft einzelne Personen in einer Kirchgemeinde, die etwas Neues anfangen wollen, hat Hüberli beobachtet. Wenn Innovationen in ganzen Kirchgemeinden gelingen sollten, gelte: Die Beziehungen müssen gesund sein, die Kirchgemeinde muss Menschen erreichen wollen, die noch nicht da sind, und es brauche die Offenheit Veränderungen gegenüber.
Kaffee und Crêpes
Für die Kantonalkirche hat sie das Projekt Kaffeemobil umgesetzt: einen Autoanhänger mit Kaffeemaschine und zwei Crêpeplatten, den Kirchgemeinden für Jahrmärkte oder Dorffeste mieten können. «Ein Diakon hat mir nachher erzählt, dass er an einem Wochenende so viele Kurzgespräche geführt hat wie sonst in drei Monaten.» Diese positiven Erfahrungen könnten dann dazu führen, dass man auch an einem anderen Ort mutiger werde.
Die Frage stellt sich: Wo soll man anfangen? «Die meisten ahnen, dass man etwas unternehmen muss, wissen aber nicht, was», sagt Flavia Hüberli. Dazu kommt, dass der rasant wachsende Abstand zwischen Kirche und Gesellschaft Kirchgemeinden lähme. Und dann fehlen die Ressourcen: Zeit, Personal, Geld.
Angebote beenden
Wenn Hüberli zu einer Beratung eingeladen werde, redet sie nicht nur von Innovation, sondern auch von Exnovation: Man kann nicht immer neue Dinge anstossen, Kirchgemeinden müssen auch Dinge beenden, Angebote abschaffen.
Das allerdings ist keine Stärke der Kirche, kommentiert Podcast-Co-Host Lukas Huber. Hüberli widerspricht nicht, sagt aber: «Oft hilft es, wenn man in der Kirchenvorsteherschaft einfach noch einmal darüber redet. Manchmal klärt sich etwas ganz von alleine, wenn man im Gespräch merkt: Das ist ja nicht nur meine Idee.»
Klarer Fokus
Es falle einfacher, wenn man genau erklären kann, warum man ein Angebot beenden will, sagt Flavia Hüberli. «Es kann helfen, wenn man begründen kann, warum man jetzt zum Beispiel den Fokus auf Familien legt.»
Weiter sagt Hüberli: Man brauche Feingefühl, dass die Leute, die da sind, nicht das Gefühl haben, dass man ihnen etwas wegnimmt. Man kann das Neue auch tröpfchenweise einführen und das Alte noch eine gewisse Zeit weiterlaufen lassen, bis alle sehen, dass es funktioniert.
Aufhören ist das eine, abgeben das andere. Wenn ein Pfarrer von den Vorgängern die Tradition übernommen hat, im Jahr 100 schriftliche Glückwunschkärtchen von Hand zu schreiben, kann er einfach aufhören – oder vielleicht findet man jemanden, der das mit Leidenschaft macht.»
Die Befähigung von Freiwilligen ist Hüberli wichtig. Sie habe eine Kirchgemeinde beraten, in der Menschen eine neue Form von Gottesdienst ausprobieren wollten. Die Angestellten sagten, sie hätten keine Zeit dafür. Hüberli hat in der Folge mit 20 Freiwilligen das neue Format entwickelt. Es wird seit über einem Jahr vollständig durch Freiwillige getragen.
Prototyp statt Projekt
Die Innovationsexpertin unterscheidet bei dem Entwickeln von neuen Ideen und Formaten zwischen Prototypen und Projekten. Kirchgemeinden planten gewöhnlich Projekte: Ein Angebot wird mit einem Zeithorizont von Jahren geplant und dann ausgeschrieben. Dabei sei es oft sinnvoller, einfach einmal einen Prototypen durchzuführen. Für einen einmaligen Anlass finde man einfacher Mitstreiterinnen und Mitstreiter. «Und man ist viel mutiger.» Wenn der Prototyp ein Flop sei, sei das kein Problem. Wenn er aber gut herauskommt, kann man sich immer noch überlegen, ob man den Anlass – verbessert – wiederholt.
Im letzten Teil der «Aufwärts-stolpern»-Episode erzählt Flavia Hüberli von ihren Erfahrungen mit dem Projekt «Open Place» in Kreuzlingen, von der Freude über das Wachstum und den Herausforderungen in Sachen Strukturen, die ein wachsendes Projekt mit sich bringt.
Die ganze Episode mit Flavia Hüberli wurde ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht. Man kann man » hier nachhören.
» Die Fachstelle «Start-up Kirche»
» Der Werbetrailer für «Kaffeemobil – Kirche bei dir».
» Die Website des Projekts Open Place.
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Montag, 17. März 2025: Staffel 9, Episode 6 (ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Simon Obrist, was denkt der Beizer über die Kirche?»
Sozialdiakon und Gastronom Simon Obrist hat schon vieles von innen erlebt: unter anderem die Kirche und die Beiz. Er baute die Streetchurch auf, wurde später vom Jugendarbeiter zum Geschäftsführer der Cafébar «Zum Hinteren Hecht» in Winterthur. Der Kirchgemeinde mit Ambition rät er, sich zu entscheiden, ob sie einen Kirchenkaffee anbieten will oder ernsthafte Gastronomie.
Simon Obrist tanzt auf vielen Hochzeiten: Er hat als Sozialdiakon die Streetchurch mitaufgebaut, er arbeitete als Jugendarbeiter, heute ist er Geschäftsführer der Cafébar «Zum Hinteren Hecht» in Winterthur. Er sagt von sich: «Irgendwie zieht es mich immer an die Orte hin, wo ich ein Potential erkenne, was man tun könnte.» An der Gastronomie interessant sei das Gastgeber-Sein: die Kombination, an einem öffentlichen Ort Menschen zu begegnen, die er noch nicht kennt und andere Menschen immer wieder zu sehen, sie zu Stammgästen werden zu lassen.
2018 trat er die Stelle als Jugendarbeiter für junge Erwachsene in Winterthur Seen an. Bereits am ersten Tag seiner Anstellung fand ein Visionstag an, inklusive der Frage, was er denn vorhabe. «Das war für mich ein sehr steiler Einstieg, aber auch sehr gut», sagt er im Podcast «Aufwärts stolpern». Während dieses Visionstags habe es auch eine Sequenz gegeben, in der er mit den Freiwilligen des Bereichs Junge Erwachsene zusammensass, vor allem 18- bis 23-Jährige. Er sagte ihnen, dass er eine Cafébar aufbauen wollte. «Sie waren begeistert.» Als er dann auch herausfand, dass sie gewohnt waren, anzupacken, und gut vernetzt waren in Winterthur, ging es los. Sie überlegten zu sechst, wie das Konzept einer solchen Cafébar aussehen müsste, damit es funktioniert.
Der moderne Dorfplatz
Das Stichwort Einsamkeit sei ein wichtiger Treiber der Überlegungen gewesen, in der Coronazeit, aber auch generell. Das Leitbild war der Dorfplatz von früher, wo man sich nicht zu einer Mitgliedschaft verpflichten oder zu einer bestimmten Zeit auftauchen musste, sondern wo man einfach Teil einer Gemeinschaft war, wenn man erschien. «Wir wollten eine offene Gastfreundschaftskultur pflegen.» Darum gab es von Anfang an und bis heute keinen Konsumationszwang. Dafür kann man einem anderen künftigen Gast einen Kaffee spendieren, worauf eine alte italienische Lire-Münze in eine Kaffeetasse gelegt wird, mit der ein Gast ohne Geld einen Kaffee bezahlen kann.
Gastfreundschaft sollte nicht nur ein Wort sein: «Wir haben immer gesagt: Man soll alleine hereinkommen und mit Freunden hinausgehen.»
Allerdings wurde das Projekt auch mit den wirtschaftlichen Realitäten konfrontiert, was dazu führte, dass sich das Projekt von der Kirche löste und zu einem Verein wurde. Und neun Monate später kam Corona.
Pläne schmieden an Tisch 1
Trotzdem hat sich der «Hecht» gehalten. Und seit November 2024 gibt es «Tisch 1»: freitags zwischen neun und elf Uhr sitzen Simon Obrist und eine Kollegin an Tisch 1, um Kaffee zu trinken und Pläne zu schmieden, erzählt der Hecht-Geschäftsführer.
«Der Aufbau einer Gemeinschaft ist auch das Geschäft der Kirchgemeinde. Wie gelingt das?», will Aufwärts-stolpern-Co-Host Anna Näf von Simon Obrist wissen. «Am einfachsten ist es, wenn man schon eine Basis von ein paar Freunden hat und dort gute Idee bringt.» Zentral sei auch, dass von Anfang an klar ist, dass es nur geht, wenn alle gemeinsam anpacken.
Ein Paradebeispiel dafür sei der Cevi, sagt Obrist: Der Aufwand ist enorm, um Kindern jeden Samstagnachmittag ein attraktives Programm anzubieten. Das funktioniere nur, weil die Leiterinnen und Leiter selber erlebt haben, wie toll es war, als sie Kind waren, und weil sie es als Team gut zusammen haben.
Was hat die Beiz mit Kirche zu tun?
Co-Host Lukas Huber stellt die Frage, die Simon Obrist schon oft gehört hat: «Was hat der ‹Hecht› mit Kirche zu tun?» Antwort: «Nichts. Und alles.» Der «Hecht» ist heute strukturell nicht mit der Kirche verhängt, trotzdem sei die Idee dazu in der Kirchgemeinde entstanden. «Geblieben ist, dass es nicht um Gastwirtschaft geht, sondern um Gastfreundschaft. Was wir machen, hat viel mit einem guten Zusammenleben zu tun.» Eine Reich-Gottes-Perspektive ins Spiel zu bringen sei wichtiger als etwas «kirchlich» zu nennen.
Simon Obrist plädiert dafür, die Kategorien von aussen und innen aufzugeben. «Mit mir kann man über alles reden.»
Da stellt sich die Frage: Sollte jede Kirchgemeinde eine Cafébar betreiben? Simon Obrist erinnert an die Entwicklung vor 100 Jahren, als überall Kirchgemeinde-Häuser gebaut wurden. Nun habe man überall überdimensionierte Kirchgemeinde-Häuser mit grossen Foyers. «Aber dort erwartet einen niemand.»
Wenn man davon ausgehe, dass heute die Leute nach schön gestalteten Räumen fragen, die mit Menschen gefüllt sind, stelle sich die Frage, ob Cafébars die Nachfolger der Kirchgemeinde-Häuser seien. «Ob sich das allerdings im Kirchgemeinde-Haus umsetzen lässt, und ob das Kirchgemeinde-Haus am richtigen Ort liegt, müsste man überlegen.»
Professionell oder gar nicht
Wenn eine Kirchgemeinde entscheidet, sich in die Gastronomie zu investieren, sagt Obrist, sollte sie das professionell machen – nicht mit einer Kapsel-Kaffeemaschine, Chips und «Biberli». Und die Cafébar müsse an einem zentralen und attraktiven Ort situiert sein. Dazu müsse sichergestellt werden, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine gastfreundliche Haltung haben.
Zum Schluss der Podcast-Episode gefragt, was ihm Hoffnung für die Kirche gebe, sagt Simon Obrist: «Meine persönlichen Erlebnisse mit den Worten der Bibel. Sie haben unglaubliche Kraft. Sie kommen von aussen und machen etwas mit einem Menschen.»
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Die » Website der Cafébar «Zum Hinteren Hecht».
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Montag, 17. Februar 2025: Staffel 9, Episode 5 (ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Martin Benz, was macht man, wenn Glaube und Kirche nicht mehr passen?»
Podcaster und Buchautor Martin Benz bezeichnet sich selber als «Umzugshelfer». Er unterstützt Menschen, die spüren, dass Glaube und Kirche nicht mehr ins eigene Leben passen. Drei grosse Fragen helfen bei Dekonstruktion und Rekonstruktion: Was will ich mitnehmen? Was entsorgen? Was neu anschaffen?
«Glaube ist kein Standpunkt, sondern eine Reise», sagt der ehemalige Gemeindegründer und Freikirchenpastor Martin Benz. Er hat nach Jahrzehnten seinen Job als kirchlicher Angestellter an den Nagel gehängt und arbeitet heute als Podcaster, Buchautor und «Umzugshelfer», wie er seine Aufgabe beschreibt.
Martin Benz’ Podcast Movecast (Link: movecast.de) beschäftigt sich mit der Glaubensentwicklung von Menschen. Er habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass auch sehr engagierte Christinnen und Christen irgendwann anfangen, den eigenen Glauben zu hinterfragen. Das könne daran liegen, dass sich mit den Lebensjahren auch das Denken weiterentwickelt, Auslöser einer Glaubenskrise könne aber auch ein Bruch im Leben sein wie etwa eine Scheidung. Dann stelle sich die Frage: «Wie könnte Glauben unter den neuen Umständen aussehen?»
Dekonstruktion als landeskirchliches Thema
Dekonstruktion sei ein grosses Thema in Freikirchen, wo sich Menschen von einem engen Glauben abwenden. Aber auch in Landeskirchen könnten Menschen irgendwann zum Schluss kommen, dass der Glaube nicht mehr passt. Wer durch Lebensumstände in eine persönliche Krise gerät, merkt unter Umständen: «Darauf war ich nicht vorbereitet, mein Glaube trägt ja gar nicht», wie es Martin Benz in Episode 09-05 des Podcasts «Aufwärts stolpern» beschreibt.
Von Podcast-Co-Host Lukas Huber gefragt, was er als Pfarrer antworten solle, wenn freikirchlich geprägte Menschen in seiner Kirchgemeinde auftauchen, rät Martin Benz, drei Fragen zu stellen:
• «Was willst du mitnehmen von dem, was du bisher geglaubt hast?»
• «Was entsorgst du besser?»
• «Was solltest du neu anschaffen?»
Zudem sei die ehrliche Frage hilfreich:«Findest du bei uns, was dir so kostbar ist, und sind wir der richtige Ort für dich?»
Jugendarbeiterin und Co-Host Anna Näf fragt Martin Benz, wie in einer kirchlichen Jugendarbeit Glaubensvermittlung aussehen müsste, die eine spätere Dekonstruktion überflüssig mache. Das sei wohl gar nicht möglich. Jeder Glaube ist zuerst ein übernommener Glaube; er könne von Eltern, von der Kirchgemeinde oder auch von der Jugendarbeiterin übernommen werden. Darum müsse der Glaube immer einen Reifungsprozess durchlaufen. Dabei sei möglich, dass alles einigermassen harmonisch mitreift, es könne aber auch sein, dass Einiges dekonstruiert werden müsse.
Wie entwickeln sich die Menschen in meiner Kirchgemeinde?
Allerdings sagt Martin Benz klar: «Je gesunder ein Glaube ist, der vermittelt wurde, desto weniger Toxisches muss später entsorgt werden.» Er empfiehlt kirchlich Engagierten, sich zu fragen, ob die Menschen in der eigenen Jugendarbeit oder in der Kirchgemeinde hartherziger, verurteilender und ängstlicher werden oder im Gegenteil offener, liebevoller und grosszügiger. Daran, wie sich Menschen entwickeln, könnten die Verantwortlichen ablesen, ob ihr Wirken positive Auswirkungen habe.
Anna Näf fragt Martin Benz, ob sich rund um seinen Podcast so etwas wie eine digitale Kirche gebildet habe. «Ja. Es ist eine neue Art von Kirche entstanden, aber es ist keine ausreichende Art von Kirche.»
Seine Rückmeldungen zeigten: Leute machten traumatische Erfahrungen in Kirchen. Da könne die Movecast-Community helfen: Dass man nicht alleine ist, tröstet. Wenn aber eine Podcast-Community ein langfristiger Kirchenersatz bleibe, entziehe man sich der Gemeinschaft und Verantwortlichkeit anderen gegenüber. Dabei braucht man verbindliche Beziehungen, um zu wachsen. «Ich möchte Menschen dahin führen, dass sie wieder Freude an einer physischen Gemeinschaft haben.»
Kirche sollte weniger machen
Seine Erfahrung als Podcaster und Buchautor haben ihn gelehrt: «Neue Inhalte braucht neue Formen.» Gleichzeitig sagt er: «Ich bin ziemlich ratlos, wie so eine Kirche aussieht.» Er selber würde, wenn er wieder eine Stelle in einer Kirchgemeinde anträte, nach 30 Jahren als Pastor wieder in die alten Muster rutschen. «Ich habe noch keine Idee, wie man es anders machen könnte.»
Klar ist für Martin Benz, dass weniger mehr ist. In den letzten Jahrzehnten sei im Leben von vielen Menschen Freiraum zur Mangelware geworden. «Wir arbeiten zwar immer weniger lang, brauchen aber immer mehr Zeit zur Regeneration.» Zur Arbeit sei sehr viel Anderes gekommen, das Energie kostet. Die Alltagsmüdigkeit führe zur Gemeindemüdigkeit. «Bei der Arbeit kann man nicht sparen, in der Familie auch nicht mehr, also geht man nur noch einmal im Monat in den Gottesdienst.»
Einen Ausweg sieht Martin Benz in einem Bild aus dem Alten Testament: Man dürfe das Feld nicht bis zum Rand abernten; man sollte also nicht das Letzte aus dem Leben rausholen wollen, sondern noch etwas stehen lassen für die Zeit, in dem das Leben überraschend zusätzlich Zeit einfordert.
Vor allem: Kirche sollte das Leben zum Blühen bringen
Ausgehend vom theologischen Konzept des Reichs Gottes sagt Martin Benz: «Gott will das Leben zum Blühen bringen. Eine Kirchgemeinde, die dabei hilft, wird ungeheuer attraktiv sein.» Das wäre sein oberstes Ziel, wenn er noch einmal in einer Kirchgemeinde arbeiten würde. Allerdings brauche es auch eine Ausweitung des Begriffs Kirche. Wenn damit nur Gottesdienst gemeint ist, seien vor allem jene gefragt, die gut reden können. Wenn aber auch bei Seniorenbesuchen das Leben zum Blühen gebracht werden kann oder in einer Suppenküche, können viel mehr Menschen mitwirken.
Gefragt, was ihm den Hoffnung für die Kirche gibt, sagt Martin Benz: «Dass sie schrumpft.» Es tue der Kirche gut, nicht mehr Mehrheitskirche zu sein. «Die Mehrheit zu repräsentieren macht unglaublich anfällig für Machtausübung und Äusserlichkeit.» Innerlichkeit und Kraft liege in der Minderheitenposition.
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Der Podcast «Movecast» von Martin Benz findet sich » hier.
» Hier ein Verzeichnis der Bücher von Martin Benz.
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Montag, 20. Januar 2025: Staffel 9, Episode 4 (ausschliesslich als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Daniela Zillig, wie ist der Sommer im Feld?»»
«Sommer im Feld ist unser Experimentierraum, unser Freiraum, um auszuprobieren, in welche Richtung sich die Kirche entwickeln könnte, sagt Daniela Zillig im Podcast «Aufwärts stolpern» des Landeskirchen-Forums. Sie seit 2014 Präsidentin der Kirchenvorsteherschaft der Kirchgemeinde Flawil und hat seither viel erlebt – und bewegt.
Seit Jahren wird im Sommer » der Park vor der Kirche umgestaltet zu einer Gastronomiezone, und im Portal der Kirche steht drei Monate lang ein Bartresen inklusive Geschirrspüler. Während dieser Zeit finden die kirchlichen Veranstaltungen an der frischen Luft statt: Gottesdienste und gemeinsame Essen, die Feldbeiz ist aber auch unter der Woche geöffnet und kann kann als Plattform von anderen Veranstaltern aus dem Dorf oder darüber hinaus genutzt werden.
Aufwärts-stolpern-Co-Host und Pfarrer Lukas Huber wendet ein, dass sich «seine» Kirche nicht für ein Projekt wie «Sommer im Feld» eignen würde. Daniela Zillig bestätigt, dass sie mit dem Aussenraum der Kirche Glück gehabt hätten, sagt aber auch: «Eine schwellenlose, gastliche Kirche kann man überall verwirklichen. Dafür braucht es nur einen Tisch und vielleicht etwas mehr als ein Glas Wasser.» Es brauche Menschen mit der richtigen Haltung. Eine veränderte Haltung zeigte sich im Fall der Kirchgemeinde Flawil darin, dass sie als erstes den Hag um das Gelände abrissen, damit man nicht den Eingang zu «Sommer im Feld» suchen müsse.
Viele Mitarbeiter sind nicht Kirchenmitglieder
Gegen 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten im Verlauf des Sommers mit: von den Personen, die Abtrocknungstücher waschen, über Menschen, die die gesamte Infrastruktur auf- und wieder abbauen, bis zu den Leuten hinter der Bar. Jeweils am Montag können sich die Interessierten in ein Terminumfrage-System eintragen. «Bei uns muss man sich nicht vier Monate im Voraus zu einem regelmässigen Einsatz verpflichten», sagt Zillig. Die Atmosphäre sei sehr familiär, nicht zuletzt, weil auch Eltern mitarbeiten können, während sie ihre Kinder auf dem Areal spielen lassen. Aber auch Kinder können mitarbeiten. «Sie erleben sich so als selbstwirksam, was ihr Selbstvertrauen stärkt. Und sie arbeiten dann auch bei anderen Anlässen mit.»
Dabei zeigt sich: In der Feldbeiz arbeiten sehr viele Menschen mit, die sonst nicht sehr engagiert sind in der Kirche. «Viele sind auch nicht Mitglieder der Kirche.»
Für die Angestellten der Kirchgemeinde Flawil habe sich aus dem Projekt «Sommer im Feld» eine Fokussierung der Arbeit ergeben. Wenn schon die ganze Infrastruktur stehe, lege man halt ein Erwachsenenangebot auf den Sommer. Und die Arbeitsbereiche der Angestellten hätten angepasst werden müssen.
Lange Geschichte
Doch wie kam es zu diesen Veränderungen? Nachdem die Kirchenvorsteherschaft in Flawil 2012 stark verjüngt und erneuert worden war, nahm sich die Behörde zuerst drei Jahre Zeit, um mit dem » Beratungsunternehmen Generationenwelten von Lisbeth Zogg Hohn und Danielle Cottier zu überlegen, in welche Richtung sich die Kirchgemeinde entwickeln solle. Die Kirchgemeinde definierte das eigene Indentitätsprofil, die Betriebsorganisation, die Angebote, die Kommunikation und die Räume. Dieser Prozess nahm nicht nur viel Zeit in Anspruch, sondern es brauchte auch viel Kraft, sagt Zillig um möglichst viele der Gemeindemitglieder mit auf den Weg zu nehmen.
Alltagskirche, Kulturkirche, Lernkirche und Feierkirche: Diese vier Felder des Konzepts Generationenkirche sind jetzt in Flawil gleichwertig. «Im Zentrum steht ein niederschwelliger Begegnungsort.» Überall kommen Menschen zusammen, und die vier Arten von Kirche werden bewusst gepflegt. «Du bist der genau gleich gute Christ, wenn du nicht in die Feierkirche kommst, sondern in der Alltagskirche tätig bist.»
Verbunden damit ist eine intensive Beschäftigung mit verschiedenen Zielgruppen und ihren Bedürfnissen. «Was bedeutet es, wenn man die Kirche mit einem Kinderwagen fast nicht betreten kann oder der Rollator in der Türe stecken bleibt?»
Aus diesen Überlegungen hätten sie eine Art Landkarte erstellt, in der eingezeichnet wurde, was gut läuft und welches Angebot angepasst werden sollte. Wichtig war, dass ein Angebot auch scheitern darf. Aus diesen Überlegungen entstanden auch mehrere Bauprojekte, die zurzeit angegangen werden.
Co-Host Anna Näf fragt Daniela Zillig, wie sie als Angestellte und Kirchenvorsteherschaft die Freiwilligen begleiten. Wichtig sei, dass die Angestellten die mühsame Arbeit machen wie Sitzungen einberufen und Protokoll schreiben, damit die Freiwilligen ihre Talente und ihre Zeit dort einsetzen, wo es ihnen entspricht. Zudem haben die Nicht-Angestellten viel Freiheit, ihre Arbeit selbstbestimmt zu machen.
Das Konzept der Generationenkirche wird gut beschrieben im » Buch «Gastliche Kirche von Lisbeth Zogg Hohn und Danielle Cottier.
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Montag, 16. Dezember 2024: Staffel 9, Episode 3 (nur als Audio-Podcast veröffentlicht): » «Pavel Kraus, wie sollen wir mit dem Wissen in unserer Kirchgemeinde umgehen?»
Pavel Kraus war in seiner Kirchgemeinde Liestal-Seltisberg Mitglied der Kirchenpflege. Er setzte sich dort dafür ein, dass Vergabungen nach klaren Kriterien gemacht werden.
In Strukturen denkt Kraus auch bei seiner Arbeit als Wissensmanager und Hochschullehrer. Der Ausgangspunkt der Beschäftigung mit dem Wissensmanagement ist die Erfahrung, dass in einer Organisation eine Person geht – und plötzlich weiss kaum jemand mehr, wie der Bereich funktionierte, für den sie zuständig war.
Seitdem Wissensmanagement ein Thema ist, setzte man auf Technologie: zuerst auf Datenbanken, heute auf künstliche Intelligenz. All diese Bemühungen haben sich laut Pavel Kraus als nicht zielführend erwiesen.
Wissen ist nicht gleich Information
Im Wissensmanagement unterscheidet man zwischen Wissen und Information. Wissen ist das, was ein Mensch zu einem Zeitpunkt im Kopf hat. Zur Information wird dieses Wissen, wenn es den Kopf der Person verlässt und auf passende Weise dokumentiert wird. «Wenn man diese Unterscheidung versteht, ist schon sehr viel gewonnen», sagt Kraus.
Wissensmanagement ist die Kunst «Conversation und Content» in der richtigen Balance zu halten. Es geht nicht ohne Gespräche, in der Wissen geteilt und – am besten strukturiert – festgehalten wird. Zentral ist der Austausch. Dafür gibt es bewährte Methoden wie Fishbowl oder Open Space, sagt Kraus, es kann aber auch sinnvoll sein, eine Fachperson beizuziehen, die gezielt Fragen stellt und den Prozess anleitet. Wenn das gelingt, können dann Tools wie KI helfen, die Dinge zusammenzufassen und darzustellen.
Wissenstransfer bei Angestellten
In der Kirchgemeinde ist Wissensmanagement und Wissenstransfer ein Thema, das viele Verantwortliche kennen, auch wenn sie nicht mit dem Begriff vertraut sind: Ein Pfarrer tritt eine neue Stelle an oder wird pensioniert, die Nachfolgerin kommt erst nach längerer Vakanz. Wie klappt nun das «Onboarding» der neuen Person, wie Kraus den Stellenantritt und Amtsübergabe bezeichnet.
Der erste Schritt ist, dass die neue Person einen Datenträger bekommt mit Dokumenten, wie der Vorgänger Gottesdienste gestaltet hat oder in anderen Bereichen gearbeitet hat. Das ist aber nur der eine Teil. Viel Wissen ist nicht struktureller, sondern atmosphärischer Art, sagt Kraus: An wen wendet man sich, wenn man einen Raum mieten will, wer hat Probleme mit wem, wie muss man mit dieser oder jener Person umgehen.
Generationenaustausch in der Kirchgemeinde
Ein zweites Feld für Wissenstransfer sieht Pavel Kraus in Angeboten der Kirchgemeinde selber: Wenn es gelingt, Formate zu schaffen, in der sich Generationen treffen und ins Gespräch kommen, dann könne das für die ganze Kirchgemeinde ein grosser Gewinn sein.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs in der Episode von «Aufwärts stolpern» diskutieren die Hosts Anna Näf und Lukas Huber mit Gast Pavel Kraus, wie dieser Wissenstransfer konkret geschehen kann.
Der in der Episode erwähnte Aufsatz «Wie Wissensmanagement-Projekte nachhaltig scheitern. Auf dem Weg zu einer Erfolgslogik» findet sich » auf Pavel Kraus’ Website.
Weitere Beiträge von Pavel Kraus finden sich » bei Linkedin.
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Montag, 25. November 2024: Staffel 9, Episode 2: » «Mission in der atheistischen Gesellschaft», mit Justus Geilhufe
Justus Geilhufe hat 2024 ein Buch mit dem Titel «Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche» geschrieben. An der Tagung des Landeskirchen-Forums vom 26. Oktober 2024 hielt er zwei Vorträge. Im ersten ging es um eine Beschreibung des Staatsatheismus in der DDR und deren Folgen auf die Gesellschaft und auf die Kirche (s. Bericht https://www.lkf.ch/blog/die-atheistische-gesellschaft). Den ersten Teil beschloss Geilhufe mit dem Satz, dass der einzige Auftrag der Kirche die Mission sei.
Den zweiten Vortrag beginnt Geilhufe mit der Beobachtung, dass das Wort Mission sehr vieles bedeuten kann. Ein wichtiges Stichwort ist dabei «Inkulturation». Auch diese kann verschiedene Formen annehmen. Manche überlegen sich, was für Formate die Kirche entwickeln muss, um die (in Ostdeutschland) 90 Prozent Kirchenfremden anzusprechen. Wenn von diesen niemand weiss, warum am Sonntagmorgen die Kirchenglocken läuten, kann man den Gottesdienst auf Samstagabend legen und Sofas in die Kirche stellen. «In Ostdeutschland merken wir, dass das nicht funktioniert.» Im Gegenteil: Die Masse der atheistischen Menschen wird immer grösser.
Andere kommen deshalb zum Schluss, dass Mission nicht heisst, dass die Zahl der Taufen steigt, sondern dass es gilt, zu entdecken, was von der Kirche in die Gesellschaft hineingewandert ist – eben: inkulturiert worden ist.
Mission heisst: vier Gitarrenakkorde
Geilhufe würdigt diese Überlegungen, definiert Mission aber als den Vorgang, in dem Menschen aus der Kirche hinaustreten und versuchen, Menschen dafür zu gewinnen, sich taufen zu lassen und Teil der christlichen Gemeinde zu werden. Er selber habe, als er das Pfarramt in Grosschirma angetreten hatte, sich das Ziel gesetzt, die Zahl der Taufen zu erhöhen. Die Grundidee: Er wollte Kontakt knüpfen zu den Menschen und ihnen dann den Weg in die Kirche bereiten. «Nur vom Biertrinken am Feuerwehrfest haben die Leute noch nicht den Weg in die Kirche gefunden.»
Geilhufe nahm die sächsische Tradition des Kinderchors auf. «Ich kann vier Gitarrenakkorde und habe darum Kinderlieder gesucht, die diese vier Akkorde hatten.»
Als es funktionierte mit dem Kinderchor, liess er sie im Gottesdienst singen; den Eltern bot er während dieser Zeit den Pfarrhof an und eine Kanne voller Kaffee. Mit den Kontakten, die sich aus dem Kinderchor ergaben, startete er den ersten Glaubenskurs.
Halbsätze und Andeutungen
Es geht also laut Geilhufe um eine Kontaktfläche und ein Angebot, mit dem Menschen den christlichen Glauben kennenlernen können. Die aktive Seite ist dabei er: «Niemand von diesen Eltern kam je zu mir und sagte: Herr Pfarrer, ich würde gerne etwas über den christlichen Glauben erfahren, gibt es bei Ihnen so etwas wie Glaubenskurse?»
Gelernt hat Geilhufe, auf Halbsätze und Andeutungen zu hören. Zum Beispiel, wenn am Ende des Leidgesprächs einer alten Frau, die als Einzige der Familie Mitglied der Kirche war, die Tochter unvermittelt sagt, dass sie in der Kindheit ein Jahr in der Kinderkirche gewesen sei. «Schlecht war das nicht.» Solche Sätze seien nicht zufällig.
Wegen solcher Sätze führt Geilhufe eine Liste mit Menschen, die er aufgrund dieser Gesten und Halbsätze erfasst. Wenn fünf oder sechs Menschen auf der Liste stehen, fragt er sie an, ob sie an dem Glaubenskurs teilnehmen wollen, den er in einem Monat startet.
Geilhufe verdeutlicht diese Einsicht mit drei Geschichten von Jesus, in der jeweils eine Person sich Jesus nähert; Bartimäus in Markus 10 zum Beispiel schreit einfach. Aber am Ende sagt Jesus: «Dein Glaube hat dir geholfen.»
In einer atheistischen Gesellschaft gelte es, diese Annäherungsversuche wahrzunehmen und mit einem Angebot zu beantworten. Man merke sehr schnell, wenn die Andeutung kein wirkliches Interesse gezeigt habe.
Die TradWifes
Dabei geht Geilhufe nicht nur bierernst vor. Auf seinem Instagramkanal habe er das Internet-Phänomen der «TradWifes» aufgenommen, worauf ein Jugendlicher ihn gefragt habe, wo er denn eine traditionelle Hausfrau – eine Tradwife – finde. Geilhufe habe ihm dann geantwortet, dazu müsse er zuerst selber traditionell werden, zum Beispiel indem er sich selber taufen lasse. Die Antwort sei gewesen: «Wann und wo?» Der junge Mensch starte bald einen Online-Glaubenskurs, schilderte Geilhufe unter dem Gelächter der Zuhörenden. Auch so etwas könne der Ausdruck eines Annäherungsversuchs sein, den ein junger Mensch vielleicht unternimmt.
Darum, schloss Geilhufe, habe er nicht die schiere Masse der Kirchenfremden vor Augen, sondern er suche nach Andeutungen, die er mit einem konkreten Angebot beantworte.
Seinen Glaubenskurs stellte Justus Geilhufe in einem der Workshops an der Tagung des Landeskirchen-Forums vom 26. Oktober 2024 vor.
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Montag, 4. November 2024: Staffel 9, Episode 1: » «Die atheistische Gesellschaft», mit Justus Geilhufe
Justus Geilhufe ist 1990 in Ostdeutschland geboren worden und ist heute Pfarrer in Sachsen. 2024 ist sein Buch «Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche» erschienen. An der Tagung des Landeskirchen-Forums vom 26. Oktober 2024 beschrieb er eindrücklich, wie sich der Staatsatheismus der DDR in der ostdeutschen Gesellschaft auswirkte. Er beschrieb eine Kirche, die zwar klein, aber überaus aktiv ist.
Die DDR habe zuerst die Zerstörung der Kirche aktiv und sichtbar angestrebt, sagte Geilhufe. Als sich die Regierung bewusst wurde, dass sie nicht so fest im Sattel sitzt und sich allenfalls Solidarität mit der unterdrückten Kirche einstellen könnte, stellte sie auf einen subtileren Kampf um. Sie begann, in die Biografie von Menschen einzugreifen, indem sie die Teilnahme an der Jugendweihe mit den Zukunftschancen von Jugendlichen verknüpfte. Du kannst dich schon konfirmieren lassen, aber wenn du dich nicht zum Staat stellst, stellt er sich auch nicht zu dir, sei die Botschaft gewesen. Niemand habe hungern müssen oder sei ins Gefängnis geworfen worden, aber ein Studium sei ohne Jugendweihe nicht möglich gewesen.
Der einzige Erfolg der DDR: die Schwächung der Kirche
Die Schwächung der Kirche sei das Einzige gewesen, was der DDR-Regime in ihrer Herrschaft überhaupt gelang, stellte Justus Geilhufe fest. Heute sind noch ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung Mitglied einer Kirche.
Wie sich der Alltagsatheismus in den letzten Jahrzehnten auswirkte, beschrieb Geilhufe eindrücklich anhand der alten Kriterien des Schönen, Wahren und Guten. Seine frühste Kindheitserinnerung sei, als er in der ersten Hälfte der 90-er Jahre mit dem Vater im Stadtzentrum von Dresden einer südamerikanischen Band zugehört habe. Plötzlich sei eine Horde von Rechtsradikalen gekommen und sie hätten der ausländischen Band die nackten Hintern zugedreht.
«(Der Andersdenkende) muss weg!»
Auch das Wahre habe in der atheistischen Gesellschaft Schaden genommen: «… muss weg» sei ein gängiges politisches Schlagwort geworden: «Merkel muss weg.». «Die Ampel muss weg.» Diese eliminatorische Sprache beschrieb Geilhufe als Folge des Atheismus: Es gebe nicht mehr eine absolute Wahrheit, die über uns Einzelpersonen und Gruppen steht, sondern immer mehr Menschen erwarten gar nicht, dass Menschen mit einer anderen Meinung ihnen etwas Sinnvolles mitzuteilen hätten; nein, andere Meinungen müssten zum Schweigen gebracht werden.
Auch wenn die Kirche in Ostdeutschland zu einer kleinen Minderheit geworden sind, die bald nicht mehr flächendeckend präsent sein kann, habe sie nicht das gemacht, was eigentlich zu erwarten gewesen sei: Sie hat sich nicht zurückgezogen, sie hat keine Mauern hochgezogen. Im Gegenteil: Der Anteil von Kirchenmitgliedern, die sich gesellschaftlich und politisch engagieren ist viel höher als ihr Anteil an der Gesamtgesellschaft, sagte Geilhufe. «Der ostdeutsche Christ wächst in seiner Kirchgemeinde mit dem Wissen auf, dass, wenn er nicht selber etwas tut, die Gemeinde nicht mehr existiert.» Mehr noch: «Jeder bei uns in der Kirche weiss, dass es nicht vier Hauptamtliche sind, die alles regeln, sondern dass es eigentlich keine Hauptamtlichen mehr gibt und dass wenn irgendetwas geschehen soll, dann hat das mit meiner eigenen Arbeitskraft und Lebenszeit zu tun.»
«Die einzige Aufgabe der Kirche ist Mission»
Die Frage sei, sagte Geilhufe zum Ende seines ersten Referats, was in dieser Situation der Auftrag der Kirche sei – und gab gleich die Pointe des zweiten Referats bekannt: «Die einzige Aufgabe, die wir haben, ist Mission.»
Das zweite Referat des ostdeutschen Pfarrers Justus Geilhufe wird in Kürze hier publiziert. Im weiteren Verlauf der Tagung konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehrere Workshops besuchen und es blieb viel Zeit für Gespräche.
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Staffel 8 über Bücher
Montag, 16. September 2024: Staffel 8, Episode 8: » «Mich haut nichts um»
Die deutsche Psychiaterin Mirriam Preiss erwähnt in ihrem Buch «Resilienz» die Kirche kein einziges Mal – und doch kann, was sie schreibt, sehr hilfreich sein in der Kirchgemeinde mit Ambitionen. Was Menschen hilft, ihre Arbeit gut und wirksam zu machen, ist ihr Thema. Um das zu verdeutlichen, beschreibt Priess auch ausführlich das Gegenteil: die Spirale gegen unten in Beziehungen.
Dass ihr Buch aktuell ist, zeigt eine » Studie der Uni Greifswald aus dem Jahr 2020 – publiziert noch vor der Corona-Krise. 13 Prozent der Pfarrerinnen und Pfarrer der Mitteldeutschen Kirche litten aktuell an Burnout, ein weiteres Drittel sind akut burnout-gefährdet.
Burnout steht am Ende einer vierstufigen Entwicklung zum Schlechten, schreibt Priess. Diese Entwicklung habe immer mit Beziehungen zu tun, nicht mit der reinen Arbeitsmenge. Priess geht vom Begriff Dialog aus: Dialog ist die Fähigkeit, Dinge sachliche und auf Augenhöhe zu verhandeln. Dialog zeichnet sich dadurch aus, dass man anders aus einer Diskussion hinausgeht als wie man sie begann, weil man neue Gesichtspunkte und Argumente hörte und diese gemeinsam erörterte.
Vier Phasen bis zum Abgrund
Wenn aber der Dialog und die Augenhöhe verloren geht, fangen die Probleme mit ersten Stufe an: der Alarmphase. Priess beschreibt, dass viele Leute in dieser Phase noch gar nicht merken, dass der Dialog auf Augenhöhe verloren ging. Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Gedanken vermehrt um die Frage drehen, wie man die aktuelle Bedrohung abwehren kann.
Die zweite Phase ist die Widerstandsphase. Es geht im Argumentieren um Angriff, Verteidigung und Abwehr. Es treten oft erste körperliche Symptome auf. Weil diese schnell das Wohlbefinden stören können, sucht man eine Diagnose für die Symptome. Diese Verschiebung schwächt die eigene Resilienz aber zusätzlich, schreibt Priess, weil man auf der einen Seite in der Situation bleibt, aber gleichzeitig vor ihr flieht, indem man sich den Magenschmerzen, dem Kopfweh oder den Schlafstörungen widmet. Priess rät dazu, gerade in dieser Phase einen klaren Kopf zu bewahren, der Verschiebung der Probleme nicht nachzugeben, sondern eine Entscheidung zu fällen: Entweder es gelingt, den Dialog wieder aufzunehmen, oder man verlässt die Situation – im Sinne einer klaren Trennung und nicht im Sinne einer Flucht.
Wenn die Situation nicht so geklärt wird, dass wieder ein Dialog auf Augenhöhe stattfinden kann, folgt die Erschöpfungsphase: Die Gedanken kreisen nur noch um die Symptome, häufig wird gar kein Zusammenhang mehr hergestellt zwischen den Symptomen und der Konfliktsituation.
Die vierte Eskalationsstufe ist die Rückzugsphase. Priess meint damit nicht den Rückzug aus der Situation, sondern die endgültige Aufgabe der eigenen Position.
Schuldfrage aufgeben – nach Verantwortung fragen
Wenn jemand sich dieser Spirale gegen unten entziehen und in Richtung Resilienz gehen will, gilt es, die Schuldfrage aufzugeben. Es bringt nichts, dem Arbeitskollegen seine Schuld vorzuhalten und ihn dazu bringen zu wollen, die Schuld zuzugeben. Noch weniger hilfreich ist es, sich zu rächen. Rache führe nur zu einer weiteren Schwächung der eigenen Person.
Der einzig sinnvolle Weg ist, die Schuldfrage zu verlassen und nach Verantwortung zu fragen: Was ist mein Anteil an der Eskalation, und vor allem: Was brauche ich, damit ich mir selber und anderen wieder auf Augenhöhe begegnen kann? Priess schreibt: «Resilientes Leben heisst, einen einfachen Grundsatz zu befolgen: Ich begegne dem System, in dem ich mich befinde, im Dialog und auf Augenhöhe – und wenn mir dies nicht möglich ist, verlasse ich es und suche mir ein neues.»
Der Dialog auf Augenhöhe ist das wichtigste Stichwort von Priess. Das kann eine Herausforderung sein, weil Menschen «innere Realitäten» mit sich tragen; innere Realitäten sind unverarbeitete schädigende Erfahrungen aus der Vergangenheit, die unsere Sicht auf die Welt, auf uns selber und auf andere prägen. Innere Realitäten können früh in der Kindheit entstanden sein, durch traumatische Ereignisse – oder durch langsam sich entwickelnde Ohnmachtserfahrungen. «Ob im beruflichen oder im privaten Bereich, gerade in langen Beziehungen sollte darauf geachtet erden, konsequent von Beginn an die Augenhöhe zu halten – und die damit verbundenen vermeintlichen Anstrengungen in Kauf zu nehmen – anstatt durch den inneren Rückzug unbemerkt innere Realitäten zu produzieren und sich dadurch unnötig zu schwächen oder zu erschöpfen.»
Zum Schluss der Episode geht es darum, dass es unter Umständen sinnvoll sein kann, sich in einer Therapie oder in der Seelsorge diesen inneren Realitäten zu stellen, um in Zukunft seine Arbeit – auch in der Kirchgemeinde – im Dialog und auf Augenhöhe tun zu können.
Mit dieser Episode schliessen die beiden Hosts Lukas P. Huber und Anna Näf die achte Staffel des Podcasts «Aufwärts stolpern» ab.
Lukas Huber hat eine » deutsche Zusammenfassung des Buchs «Resilienz» erstellt.
Die ganze Episode kann man » hier anhören.
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Montag, 16. September 2024: Staffel 8, Episode 7: » «Alles hat ein Ende …»
Kirchgemeinden mit Ambitionen bauen gerne auf. Sie überlegen sich, wie sie noch mehr Menschen erreichen können, sie starten neue Projekte. Wenn parallel nicht Dinge beendet werden, führt der permanente Aufbau unweigerlich zur Erschöpfung aller Beteiligten.
Doch wie beendet man Dinge? Und warum fällt das Aufhören so schwer? Henry Cloud beschreibt die Zusammenhänge in seinem Buch «Necessary Endings» (2011). Bei einem Angebot zum Beispiel, das man selber gestartet hat, fällt es schwer, einzusehen, dass es einmal seine Zeit hatte, jetzt aber nicht mehr sinnvoll weitergeführt werden sollte. Das gilt speziell für Veranstaltungsformate, die in der Vergangenheit sehr erfolgreich waren.
Menschen haben auch Mühe, Dinge zu beenden, weil sie sich dann unter Umständen als Versager vorkommen, sagt Psychologe Cloud. Wer Dinge – oder auch Beziehungen – nicht bewusst beendet, steht in der Gefahr, ungünstige Verhaltensweisen zu wiederholen.
Es wächst mehr als man brauchen kann
Im kirchlichen wie im privaten Leben gilt die Regel: Es wächst mehr als man brauchen kann. Darum muss der Winzer seine Reben beschneiden – und die Kirchgemeinde ihre Angebote.
Im Podcast «Aufwärts stolpern» bemerkt Co-Host Anna Näf, dass es da eine Spannung gibt: Bei welchem Angebot muss man Ausdauer haben, um es zum Erfolg zu bringen, welches Angebot sollte man möglichst schnell beenden?
Objektive Kriterien – und Beschäftigung mit der eigenen Angst
Laut Henry Cloud braucht es zur Unterscheidung auf der einen Seite äussere Kriterien. Hoffnung alleine ist keine Strategie. Welche Massnahmen müssen also getroffen werden, um das Projekt zum Erfolg zu führen? Auf der anderen Seite lohnt es sich für Menschen mit Ambitionen, wenn sie sich mit sich selber beschäftigen: Was macht mir Angst, dass es mir schwer fällt, Dinge realistisch anzusehen und bei Bedarf einfach zu beenden?
Dabei, sagt Henry Cloud, hilft es, wenn man zwischen Schmerz und Schaden zu unterscheiden lernt: Sich einer harten Realität zu stellen kann schmerzhaft sein, es ist aber kein Schaden. Umgekehrt kann etwas weiterzuführen Schmerzen verhindern, aber es kann gleichzeitig der Kirchgemeinde oder auch im Privaten schaden.
Um zu beurteilen, ob ein Angebot noch sinnvoll weitergeführt werden soll, hilft eine klare Vision: Passt das Angebot noch zur Richtung, in die wir gehen wollen? Sinnvoll kann auch sein, einem Angebot klare Kriterien zu setzen: Wenn in zwei Monaten nicht 15 Personen kommen, wird das Angebot beendet.
Beenden als Normalzustand
Wer gut im Beenden werden will, sollte lernen, das Beenden innerlich zu «normalisieren». Henry Cloud argumentiert psychologisch: Wenn ein Mensch in einer gefährlichen Situation steckt, werden Kampf- oder Fluchtreflexe geweckt und es kommt zu einem Tunnelblick. Umgekehrt: Wer einer Herausforderung entspannt begegnet, kann die ganzen geistigen und emotionalen Ressourcen darauf verwenden, die Herausforderung möglichst gut zu meistern. Das heisst: Wer es schafft, das Beenden als normalen Teil des Lebens anzuschauen, kann entspannt alle Optionen prüfen und kluge Entscheidungen treffen.
Ein Praxisbeispiel
In der Podcast-Folge zum Buch «Necessary Endings» berichtet Co-Host Lukas Huber als Praxisbeispiel von einem gross aufgezogenen Jugendgottesdienstes, den er zusammen mit dem katholischen Pastoralraum und der Chrischonagemeinde des Nachbarorts startete. Nach ein paar guten Jahren kamen weniger Teenager und er merkte, dass die Zeit des Angebots abgelaufen war; es wurde beendet. Anderthalb Jahre später startete die Junge Kirche Klettgau ihren eigenen Gottesdienst für junge Erwachsene – ein Angebot, das immer noch läuft und viele junge Menschen anzieht.
Um zu prüfen, ob ein Angebot sinnvoll ist, sei eine realistische, hoffnungslose und motivierte Haltung am besten, empfiehlt Cloud weiter. Auf Wunder zu hoffen, ist nicht hilfreich. Was wird sich realistischerweise ändern, sodass das Angebot weitergeführt werden sollte?
Und wenn es um Menschen geht?
Wenn es um Menschen geht, sagt Cloud, dass die Vergangenheit die beste Voraussage der Zukunft ist. Es ist sinnvoller, sich auf eine verrückte Idee einer Person einzulassen, die in der Vergangenheit bewiesen hat, dass sie Dinge durchziehen kann, als einer einigermassen gut klingenden Idee einer Person zu vertrauen, die in der Vergangenheit gezeigt hat, dass sie mit ihren Projekten scheitert.
Henry Cloud beschreibt in der Zusammenarbeit drei Arten von Menschen: Weise Menschen hören sich Kritik an und ändern ihr Verhalten. Mit ihnen kann man gut zusammenarbeiten. Törichte Menschen weisen Kritik von sich und geben allen anderen die Schuld. Wer mit Menschen zu tun hat, die die dieses Verhalten wiederholt an den Tag leben, sollte nicht mit ihnen diskutieren, weil das nur als Herumnörgeln ankommt. Törichten Menschen sollte man Grenzen setzen und sie Konsequenzen spüren lassen. Es gibt aber auch böse Menschen, die anderen oder einer Organisation bewusst schaden wollen. Vor ihnen muss man sich – und die Kirchgemeinde – schützen; die Beziehung kann nicht weitergehen.
Zum Schluss der Episode geht es darum, dass man sich von Projekten – ähnlich wie von Menschen – bewusst verabschieden sollte: dankbar auf das schauen, was einmal gut war und auch betrauern, dass es jetzt zu Ende geht.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Necessary Endings», erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
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Montag, 26. August 2024: Staffel 8, Episode 6: » «Lasst die Kirche im Dorf!»
Jesus war ein Landei, sagt der amerikanische Pfarrer Donnie Griggs in seinem Buch «Small Town Jesus». Er stemmt sich damit gegen den Trend, vor allem an die Städte zu denken, wenn es um die Zukunft von Kirche geht. Die Kirchgemeinde auf dem Land ist auch das Thema von «Rural Church Rescue» von Jon Sanders.
Gleich zwei Bücher über die Kirche im Dorf sind Thema im Podcast «Aufwärts stolpern»: Anna Näf und Lukas Huber besprechen ihre Erkenntnisse aus «Small Town Jesus» von Donnie Griggs aus dem Jahr 2016 und «Rural Church Rescue» von Jon Sanders (2018).
Beide Autoren sind/waren Pfarrer in amerikanischen ländlichen Gebieten. Beide betonen: Die Herausforderungen für Kirchgemeinden auf dem Land sind mindestens so gross – und bedeutend! – wie in der Stadt oder der Agglomeration. Griggs betont, dass laut den Evangelien Jesus nie in den angesagten Grossstädten Tiberias und Sepphoris war. Jesus war ein Landei und hatte einen ländlichen Akzent.
Das Dorf ist eine eigene Welt
Griggs glaubt nicht an die Trickle-Down-Theorie: dass man die Städte (und deren Kirchen) stärken muss und der dort erzielte Fortschritt dann langsam auch aufs umliegende Land heruntertröpfelt. Die Gemeinde auf dem Land ist eine ganz eigene Welt, der man auf spezifische Art gerecht werden müsse. So sei etwa der Spielraum für Fehler im Dorf deutlich kleiner als in der Stadt. Man begegnet sich auf dem Land immer wieder.
Donnie Griggs ist aber keiner, der das Land verklärt. Im ländlichen Raum gibt es sehr wohl Verhaltensweisen und Denkformen, die gut mit dem Evangelium zusammengehen, aber auch solche, die ihm diametral widersprechen, zum Beispiel Rassismus. Dass das Argument «wir von hier» alles andere schlägt, ist zumindest ambivalent; die Idee, dass in kleinen Orten nichts Grosses geschehen könne, gehört für Griggs zu den Themen, die die Kirche vor Ort bekämpfen muss. Allerdings reiche es nicht, auf der Oberfläche der Handlungen (und der Worte) zu bleiben; man müsse als Kirchgemeinde vor Ort die Mentalität dahinter verstehen, um sie wirkungsvoll zu überwinden.
Lukas Huber und Anna Näf reden in Episode 08-06 von «Aufwärts stolpern» auch über das Buch «Rural Church Rescue» des Pfarrers und Feuerwehrmanns Jon Sanders, Dieser nimmt als roten Faden seines Buchs das Akronym «Rescue» und schreibt über sechs Themen. Es gehe auch auf dem Land um die Mission der Kirche, sagt Sanders, nicht darum, ein kuscheliger Sozialverein zu sein.
Kontrovers diskutieren die beiden Hosts den zweiten Punkt von Sanders, dass Angestellte starke Führung ausüben sollten. Anna Näf bemerkt, dass in akuten Notsituationen klare Führungsstrukturen nötig seien, dass Sanders aber vielleicht zu stark von seinem Erleben in der Feuerwehr auf die Kirchgemeinde schliesst. Die meisten Kirchgemeinden sind nicht in einer akuten Notsituation – sondern eher in einer langsam vor sich hin schwelenden Krise, wie Lukas Huber ergänzt. Dem Punkt von Sanders, dass nicht zu viele Kommissionen das kirchliche Leben träge machen sollten, könne er schon zustimmen.
Die Vision muss Angst machen
Die dritte These von Sanders beschäftigt sich mit der Vision. Wenn die Vision dem Pfarrer und der Pfarrerin keine Angst mache, sei sie zu klein. Und wenn die Person, die für die Finanzen verantwortlich ist, keine schlaflosen Nächte habe, weil sie nicht wisse, wie die Vision finanziert werden soll: dann ist die Vision ebenfalls zu klein, sagt Sanders.
Die beiden Hosts sind sich speziell bei dem Thema Vision einig, dass einige Aussagen von Jon Sanders nicht nur für Kirchgemeinden im ländlichen Raum gelten. Zum Beispiel, dass es die Funktion einer starken Vision nicht nur ist, Menschen anzulocken, sondern auch, andere Menschen abzustossen. Oder die Grundregel für das Kommunizieren der Vision: Wenn es der Pfarrperson langsam zum Hals heraushängt, die Vision permanent zu wiederholen, beginnen die Leute erst, sie zu begreifen.
Sanders schreibt im weiteren davon, dass es auch auf dem Land gilt, Menschen zu gewinnen. Nicht hilfreich ist es, Mitarbeiter zu suchen mit dem Argument, es sei ein kleiner Job, der nur wenig Zeit in Anspruch nehme. Gute Leute seien schon beschäftigt – auch im Dorf. Ihnen müsse man eine grosse Herausforderung präsentieren und sie dann fragen, ob sie sie in Angriff nehmen wollten.
Zum Schluss der Episode geht es darum, dass es speziell im Dorf bei Veränderungen gilt, die Vergangenheit zu ehren – und dann mutig in die Zukunft zu gehen.
Eine » kurze deutsche Zusammenfassung des Buchs «Small Town Jesus», erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
Eine » deutsche Zusammenfassung des Buchs «Rural Church Rescue», erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
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Montag, 5. August 2024: Staffel 8, Episode 5: » «Wenn die Kräfte nachlassen»
Eine Kirchgemeinde mit Ambitionen wird geprägt von Menschen mit Ambitionen. Zwei Bücher können helfen, mit den eigenen Ambitionen sinnvoll umzugehen und sich so zu organisieren, dass man auch gute Arbeit leistet, wenn die Kräfte der jungen Jahre nachlassen.
In seinem Buch «From Strength to Strength» schreibt der amerikanische Soziologe Arthur C. Brooks, dass es ausgerechnet Menschen mit grossen Zielen sind, die in der zweiten Lebenshälfte unglücklich werden. Der Mensch sei nicht dafür gemacht, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Wer aber als junger Mensch ambitioniert und erfolgreich arbeitet, merkt, dass es ab 30 Jahren bergab geht mit der Fähigkeit, sich stark zu konzentrieren und Dinge gegen alle Widerstände zu bewegen. Wer sich damit nicht abfindet, hat verloren.
Durchbrüche wurden in der Geschichte gewöhnlich durch junge Menschen erzielt. Die ersten Jahrzehnte des Lebens seien geprägt durch die «fluide Intelligenz», schreibt Arthur Brooks. Sein Bild dafür ist eine Bibliothek mit wenigen Büchern: Der Bibliothekar kann sie ganz schnell hervorholen. Doch ab 30 – mit zunehmender Lebenserfahrung – wird die Bibliothek grösser und das Hervorholen der Bücher wird zunehmend langsamer.
Der Sprung auf die zweite Intelligenz
Diesem Abwärtstrend der fluiden Intelligenz kann man sich mit aller Gewalt entgegenstellen, man kann immer mehr arbeiten und auch sonst einen ungesunden Lebensstil pflegen. Oder man akzeptiert die Erkenntnisse der Hirnforschung und springt von der ersten – der fluiden – Intelligenz auf die zweite Kurve: die kristalline Intelligenz.
Die zweite Form der Intelligenz ist weniger prestigeträchtig und lukrativ, aber genauso befriedigend. Anstatt sich auf eine Innovation zu konzentrieren sieht man das grössere Bild und kann andere anleiten.
Um diesen Sprung zu schaffen müssen speziell erfolgsgetriebene Menschen lernen, zu akzeptieren, dass sie nicht mehr so speziell sind. Es sei sowieso eine Art Selbstobjektivierung, wenn man sich als erfolgreich und innovativ definiere – und dann merke, dass das nicht mehr so gut geht.
Der Weg auf die zweite Kurve gelingt dann, wenn man statt anzuhäufen auszumeisseln beginnt: Nicht mehr immer mehr haben wollen (Geld, Erfolg, Dinge), sondern immer weniger.
Arthur Brooks schlägt für die zweite Lebenshälfte eine neue Existenz-Mathematik vor: Befriedigung in der ersten Hälfte ist, wenn man bekommt, was man will. In der zweiten Hälfte gilt:
Befriedigung = Was du hast ÷ Was du willst
Der andere Brooks: «The Second Mountain»
In der Aufwärts-stolpern-Episode über «From Strength to Strength» besprechen die beiden Hosts Lukas Huber und Anna Näf ein weiteres Buch: «The Second Mountain» des ebenfalls amerikanischen Autors David Brooks – nicht verwandt mit Arthur Brooks.
David Brooks beschreibt die Herausforderung des Lebens so, dass es darum geht, zwei Berge zu besteigen. Der erste ist der Berg der Individuation, also dass man sich vom Elternhaus löst, ein eigenes Ego aufbaut, Karriere macht et cetera. Oben angekommen merkt man, dass das alles nicht ein Leben lang glücklich macht.
Hinter dem ersten Berg liegt ein Tal. Manche Menschen spüren die Leere von viel Geld von alleine, andere werden durch eine gesundheitliche oder beziehungsmässige Katastrophe vom ersten Berg heruntergeworfen. Wer den Weg durch die Wildnis des Tals durchschritten hat, sagt David Brooks, sei eingeladen, den zweiten Berg zu besteigen. Diesen zweiten Berg beschreibt der Wirtschaftsjournalist als Berg der Transzendenz des Ego.
Den zweiten Berg definiert David Brooks ausführlich durch vier Dinge:
• Man muss eine Berufung finden, die grösser ist als das eigene Ego;
• man solle verbindliche Beziehungen eingehen, in denen nicht das Ego im Mittelpunkt steht – er singt ein Loblied auf die Ehe, die der persönlichen Reifung und der Transzendieren des Ego zugunsten des grösseren Gemeinsamen dient
• es gilt, eine Philosophie und/oder einen Glauben zu finden. Er schreibt: «Religiös zu sein bedeutet für mich, die Wirklichkeit durch eine heilige Linse wahrzunehmen.»
• schliesslich solle man sich einer Gemeinschaft anschliessen, die sich für das Gute in der Welt einsetzen.
In der Aufwärts-stolpern-Episode sagt Anna Näf auf die Frage, was die Kirchgemeinde mit Ambitionen von diesen Büchern lernen kann, dass gerade die Kirche ist Ort, an dem sich Menschen sinnstiftend einbringen können. Lukas Huber ergänzt, dass die Bücher für einen Teil des Zeitgeists sprechen, der sagt, dass manche Menschen merken, wie leer das Ego und der persönliche Erfolg irgendwann werden. Das heisst, die Kirche kann an die Erfahrung vieler Menschen anknüpfen, wenn sie davon redet, dass es mehr gibt als der eigene Erfolg.
Eine deutsche » Zusammenfassung des Buchs «From Strength to Strength», erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
Eine deutsche » Zusammenfassung des Buchs «The Second Mountain», erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
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Montag, 15. Juli 2024: Staffel 8, Episode 4: » «The Starfish and the Spirit» sowie «Underground Church»
Im Buch «The Starfish and the Spirit» geht es um ein Bild der Kirche, das sowohl der Organisation der Landeskirchen und jener der amerikanischen Mega Churches diametral entgegensteht: Klein ist gut, vor allem, wenn sich die Mikrokirchen vervielfältigen; ein Leader wird man, wenn man andere für den Glauben gewinnen kann.
Die Autoren Lance Ford, Rob Wegner und Alan Hirsch gehen hart ins Gericht mit der aktuellen Kirchenkultur: Die Führungsstruktur sei in längst vergangenen Zeiten steckengeblieben: Klar definierte Prozesse und Anweisungen prägten das Leben vieler Kirchen – die bahnbrechende Erfindung der industriellen Revolution, um identische Blechteile in grosser Anzahl herzustellen –, und die charismatische Heldenfigur stehe zuoberst auf der Leiter – ein Erbe der Renaissance.
Das Buch «The Starfish and the Spirit» ist dagegen von einem Bild aus der Tierwelt geprägt: Sowohl Spinne wie Seestern haben einen zentralen Körper und Extremitäten, die in alle Richtungen gehen. Wenn man der Spinne den Kopf abschneidet, ist das Tier tot, wenn man einen Seestern teilt, werden zwei Seesterne daraus. Das Bild übernehmen sie vom einflussreichen Wirtschaftsbuch «The Starfish and the Spider» von Ori Brafman und Rod Beckstrom.
Das Bild passe perfekt zur Kirche, wie sie ursprünglich gedacht gewesen sei und noch heute funktionieren könne, argumentieren Ford, Wegner und Hirsch.
Nachfolge und Führung, Häuser und Drehscheiben
Ihr Seestern-Bild besteht aus fünf Elementen. Das Wichtigste: Die Mikrokirchen rufen Menschen in die Nachfolge. Nur wenn sich Menschen in die Nachfolge von Jesus Christus begeben, wird das Reich Gottes wachsen. Die Autoren schreiben: «Wenn wir in diesem Punkt versagen, müssen wir auch in allen anderen Punkten versagen.»
Wer es schafft, Menschen in die Nachfolge zu rufen, wird automatisch zum Leader, auch wenn er/sie es unter Umständen nicht einmal selber weiss. Es gilt die Grundregel: Die Nachfolge ist der Baum; dass Menschen Verantwortung übernehmen, ist die Frucht. Das Umgekehrte gilt nicht zwingend. Kirchen, die darauf fixiert sind, Menschen zu Leadern auszubilden, sie aber nicht in die Nachfolge rufen, merken unter Umständen irgendwann, dass sie die Falschen zu Verantwortungsträgern aufgebaut haben.
Erst bei den Elementen drei und vier unterscheidet sich das Seestern-Modell markant von anderen Kirchenkonzepten. Ihr Verständnis von Kirche ist nicht das einer zentral organisierten Organisation, die dann ins Kleine geht, sondern für sie besteht Kirche aus Häusern und Drehscheiben. Das sei schon von Anfang an so angelegt gewesen, argumentieren die Autoren: Die Urkirche in der Apostelgeschichte bestand aus Hausgemeinschaften und dem «Hub», der Drehscheibe in der Halle Salomos, wo die Apostel die Verantwortlichen der neu entstandenen Hauskirchen lehrten.
Diese Art von Kirche war sehr resistent, als in Apostelgeschichte 8 Stephans getötet wurde und weitere Treffen im Hub beim Tempeln nicht mehr möglich waren: Die Hauskirchen vermehrten sich einfach weiter. Paulus übernahm dieses Konzept von Hub und Häusern; in Apostelgeschichte 19 wird beschrieben, dass in Ephesus die Halle des Tyrannus die Drehscheibe für die Verantwortlichen der Hauskirchen der Gegend war.
Hauskreis ist nicht das Gleiche wie Hauskirche
Diese Häuser im Seestern-Modell unterscheiden sich von Hauskreisen, wie es sie auch in landeskirchlichen Gemeinden gibt. Hauskreise drehen sich um die Bedürfnisse der Teilnehmenden, bei stärker organisierten Kirchgemeinden vertiefen die Hauskreise die Predigt des zentralen Gottesdienstes. Im Seestern-Konzept *sind* die Häuser die Kirchen.
Neben dem reinen Seestern-Modell beschreiben die Autoren auch Zwischenformen. Das kommt den beiden Hosts des Podcasts «Aufwärts stolpern» entgegen. Sie stellen nämlich fest, dass eine reformierte Kirchgemeinde kein reine Seestern-Gemeinde werden könne. Die Mischform, die näher am Seestern-Modell ist, hingegen, kann durchaus ein Konstrukt sein, mit der ein Bereich einer Kirchgemeinde funktionieren kann, sagt Host Lukas Huber.
«Underground Church»
Neben «The Starfish and the Spirit» diskutieren die beiden Hosts auch das Buch «Underground Church» von Brian Sanders, der aus der gleichen Grundidee die Erfahrung des Kirchennetzwerks in Tampa (Florida) beschreibt mit den Erfahrungen, die die Verantwortlichen machten. Sanders behauptet: «Die Kirche ist, in ihrer stärksten Form, klein.»
Anna Näf zeigt sich sehr inspiriert von Brian Sanders Aussage, dass in einem Mikrokirchen-Kontext «Exzellenz» kein Wert sei, der forciert wird. Im Gegenteil: Es ist wichtiger, Menschen im Kirchennetzwerk nach vorne zu schieben, die vielleicht weniger gute Redner sind als die bestens ausgebildeten Theologinnen und Theologen. Es ist wichtiger, die Fähigkeiten von vielen hervorzuheben und sie zu ermutigen, sich einzubringen.
Lukas Huber hob die Idee in «The Starfish and the Spirit» hervor, dass die Grundform einer Seestern-Gemeinde der Kreis und nicht die Pyramide sei; das solle sich auch im Besprechungsraum zeigen. Die ideale Sitzform sei der Kreis, nicht das Rechteck. Und der Sitzungsleiter solle nicht oben am Tisch sitzen, sondern einfach irgendwo im Kreis.
Gegen den Schluss der Episode erzählt Lukas Huber die unterschiedlichen Kernbotschaften von verschiedenen Kirchenmodellen aus dem Seestern-Buch. Die Kernbotschaft von schrumpfenden und stagnierenden Kirchen ist: «Bitte bleibt!» Die Kernbotschaft von wachsenden (Gross-)Kirchgemeinden ist: «Bitte kommt!» Die Grundbotschaft von Mikrokirchen-Netzwerken ist: «Bitte geht!» (Gemeint ist natürlich: Geht und gründet neue Kirchen.)
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The Starfish and the Spirit», erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Eine deutsche Zusammenfassung von «Underground Church», erstellt von Lukas huber, findet sich » hier.
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Montag, 24. Juni 2024: Staffel 8, Episode 3: » «Trust»
Der amerikanische Psychologe und Klinikleiter Henry Cloud plädiert dafür, nicht jedem zu vertrauen – vor allem nicht in jedem Bereich. Und das ausgerechnet in einem Buch mit dem Titel «Trust». Vertrauen ist keine Angelegenheit von Ja oder Nein, führt er aus. Er beschreibt die Voraussetzungen für Vertrauen und was man tun kann, wenn das Vertrauen kaputt gegangen ist.
In einer Kirchgemeinde und speziell einem Pfarr- oder anderen Team kommt es sehr darauf an, ob man einander vertrauen kann oder nicht. Und wenn das Vertrauen einmal zerbrochen ist, kann es sehr schwierig werden, weiter zusammenzuarbeiten.
In der «Aufwärts-stolpern»-Episode über das Buch «Trust» von Dr. Henry Cloud starten die beiden Hosts Lukas P. Huber und Anna Näf mit dem zweiten Teil des Buchs: «The Model for Repairing Trust». Nach einem Vertrauensbruch gelte es als erstes, sich in Sicherheit zu bringen, schreibt Cloud, sonst komme man in Versuchung, dumme Entscheidungen zu treffen. Dann gelte es, in Richtung Vergebung zu gehen. Vergeben sei ein Geschenk an sich selber und habe mit der anderen Person noch gar nichts zu tun. Vergeben heisst, sich zu lösen von dem, was geschehen ist.
Auf Vergebung folgt Versöhnung – vielleicht
Die nächsten Schritte, die Cloud empfiehlt, haben es den Hosts sehr angetan. Er sei in einer religiösen Welt aufgewachsen, in der Vergebung und Versöhnung eigentlich ein und dasselbe gewesen sei, bekennt Lukas Huber. Nach der Vergebung aber, sagt Cloud, solle man sich zuerst überlegen, was man genau wolle. Zur Versöhnung brauche es nämlich den anderen – und wenn dieser nicht bereit sei, zu seinen Fehlern zu stehen und die Verantwortung für seine Taten und Worte zu übernehmen, sei eine Versöhnung gar nicht möglich. Die Versöhnung, mit anderen Worten, ist nach dem «obligatorischen» Vergeben (für den eigenen Seelenfrieden!) ein optionaler Schritt.
Ein letzter optionaler Schritt, der gut abgeklärt werden müsse, ist, ob man nach Vergebung und Versöhnung dem anderen wieder Vertrauen schenken wolle und könne. Dafür sei es nötig, sagt Cloud, die Merkmale des ersten Teils des Buchs (ein zweites Mal) zu ergründen – also nochmals durch die Voraussetzungen für Vertrauen zu gehen und schauen, ob Vertrauen eine Option ist.
Fünf Voraussetzungen für Vertrauen
Henry Cloud sagt, um jemandem zu vertrauen, brauche es fünf Vorraussetzungen. Viel emotionaler Ärger und grosse Enttäuschung kann folgen, wenn man diese nicht sauber abgeklärt hat, bevor man jemandem vertraut. Vertrauen muss man nämlich nur, wenn man in einer Position der Schwäche ist: Man braucht etwas von einem anderen Menschen – sonst wäre Vertrauen gar nicht nötig, man würde es sonst einfach selber machen.
1. Versteht die andere Person mich? Umgekehrt, wenn andere mir vertrauen sollen: Habe ich der anderen Person zeigen können, dass ich ihr zuhöre und verstehe, was ihr wichtig ist und was sie wertschätzt.
2. Wie steht es um ihre Motivation? Will sie das gleiche wie ich? Geht es ihr nur um sich selber oder auch um das, was mich bewegt? Dieser Punkt ist nicht unwesentlich in einer Kirchgemeinde: Ich kann zu 100 Prozent überzeugt sein, dass mich ein Arbeitskollege nie bestehlen würde, aber wenn er bei der Arbeit immer in eine andere Richtung zieht, kann das heissen, dass ich ihm nicht vertrauen kann.
3. Hat der die nötigen Fähigkeiten? Wenn man in einer Kirchgemeinde jemanden als zuverlässig und engagiert erlebt hat – heisst das, dass er auch ein gutes Mitglied der Kirchenpflege ist? Nicht unbedingt; er sollte auch die Fähigkeiten und Interessen mitbringen, die mit der neuen Aufgabe verbunden sind.
4. Wie sieht es mit ihrem Charakter aus? Dieser Punkt ist sehr trickreich. Wenn man einer Mitarbeiterin absolut das Portemonnaie anvertrauen könnte, sie aber unter Druck immer die Schuld bei anderen sieht, kann das unter Umständen das Vertrauen zerstören. Umgekehrt, sagt Cloud: Man will ja nicht mit einer Arbeitskollegin verheiratet sein, unter Umständen kann man ihr bei einem gemeinsamen Projekt in jenem Bereich durchaus vertrauen, der wichtig ist, auch wenn sie sonstige Charakterschwächen hat. Vertrauen ist also auch etwas Sektorielles: Es bezieht sich oft auf Themen und Bereiche, nicht auf das ganze Leben.
Der Punkt, an dem Anna Näf in der Podcast-Episode zurückzuckte, war das fünfte Merkmal Clouds: Leistungsbilanz. Gerade vor einem Glaubenshintergrund hat man doch den Impuls, jemandem eine zweite Chance zu geben, wenn er seinen Fehler einsieht und Besserung gelobt. Allerdings, werden sich die Hosts einig, das Versprechen, etwas nie mehr zu tun, kommt zum Beispiel süchtigen Menschen leicht von den Lippen. Ob jemand sein Verhalten aber wirklich gebessert hat – tja, das kann nur die Zeit zeigen, darum ist es manchmal nötig, die Leistungsbilanz anzuschauen.
Eine deutsche » Zusammenfassung des Buchs, erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
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Montag, 3. Juni 2024: Staffel 8, Episode 2: » «Reclaiming Glory»
Mark Clifton ist ein US-Gemeindegründer und -erneuerer. Seinem Buch «Reclaiming Glory» können die beiden Hosts des Podcasts «Aufwärts stolpern» einiges abgewinnen – auch wenn es Überlegungen sind, die sich an die amerikanische Freikirchen-Welt richten. Bei aller Begeisterung für innovative Projekte stellt sich ja die Frage, was mit Kirchgemeinden geschehen soll, denen es nicht gut geht. Lukas P. Huber und Anna Näf reden über das, was wir Schweizer Landeskirchler von diesem Buch lernen können – und was wir getrost in den USA lassen sollten.
Es mache Gott wenig Ehre im Quartier, wenn eine kriselnde Kirchgemeinde ihre Tore zumache, sagt der amerikanische Gemeindeerneuerer Mark Clifton. Er steigt also theologisch ziemlich hoch ein, wenn er darüber redet, was man mit Kirchgemeinden machen solle, denen es nicht gut geht.
Die Gemeindegründungsszene, speziell in den USA, hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder und sehr deutlich gesagt, dass innovative Kirchenleute kriselnde Kirchgemeinden links liegen und lieber eine neue Kirche gründen sollten. Das sei viel effektiver als sich mit einer Kirchgemeinde zu beschäftigen, die ja aus einem guten Grund nah am Abgrund steht.
Diesen Abgrund lotet Mark Clifton aus. Der Grund, warum Kirchgemeinden in der Krise seien, sei nicht fehlendes Geld oder mangelnde Mitgliederzahlen, das Problem liege darin, dass es den Kirchen nicht gelinge, Menschen in die Nachfolge von Christus zu rufen. Was wie eine Kritik an liberalen europäischen Kirchen tönt, schreibt aber Clifton im Hinblick auf die 85 Prozent der Kirchgemeinden seiner eigenen Denomination, denen es nicht gut geht. Nur 15 Prozent der Kirchen der südlichen Baptisten seien gesund und am wachsen.
Krankheit sieht man den Kirchgemeinden nicht unbedingt auf den ersten Blick an. Auch taumelnde Kirchgemeinden hätten meist viel kirchliche Aktivität aufzuweisen, nur richteten sich die Angebote an die bestehenden Mitglieder, die sich so selber beschäftigen.
Vier Lösungen – nur eine ist für uns interessant
Mark Clifton präsentiert vier Wege, wie Kirchen aus der Krise kämen:
1. Die kranke Kirche übergibt die Schlüssel ihrer Gebäude einer Gemeindeneugründung oder einem Ableger einer gut funktionierende Kirche.
2. Die kriselnde Kirche teilt die Gebäude mit einer Gemeinde-Neugründung. Vielleicht färbt ja etwas von der Dynamik der neuen Kirchgemeinde ab.
3. Die sterbende Kirchgemeinde fusioniert mit einer Gemeindeneugründung oder einer funktionierenden Kirchgemeinde, die einen neuen Ableger starten will. Das sei aber mit vielen Herausforderungen verbunden: Die «alten» Mitglieder müssten die Verantwortung den neuen, dynamischen Leuten abgeben. Wenn aber ein Neustart auf diese Weise gelinge, umfasse die neue Kirche gleich alle Generationen (im Unterschied zu einer Gemeindeneugründung, die sich gewöhnlich um ein sozial homogenes Gründungsteam schart).
4. Der kranken Kirchgemeinde gelingt ein Neustart von innen. Das geht gewöhnlich nur mit neuen Angestellten, sprich es kann wohl nur bei einem Personalwechsel funktioneren. Die neue Pfarrerin oder der neue Pfarrer muss dann beides tun: Hirte sein und ein Kirchen-Neugründer – ein spannungsvolles Unternehmen. Clifton sagt: Die anderen drei Ansätze sind wahrscheinlich erfolgreicher, aber der vierte Ansatz wird wohl immer häufiger versucht. Für Schweizer Landeskirchen, so sind sich die beiden Hosts in der entsprechenden Episode des Podcasts «Aufwärts stolpern» einig, kommt wohl nur dieser vierte Weg in Frage.
Sich auf junge Männer fokussieren – hä?!
Anna Näf und Lukas Huber diskutieren dann die sechs Neupflanzungs-Imperative von Mark Clifton. Unter ihnen, dass es für die Pfarrperson wichtig sei, die «alten» Mitglieder nicht zu beschuldigen, weil sie die Kirche so haben krank werden lassen, sondern dass es darum gehe, alle Anwesenden zu lieben. Einem anderen der sechs Imperative können die Hosts wenig abgewinnen: Es gelte, sagt Clifton, gezielt in junge Männer als Leader zu investieren. Da schlägt wohl viel amerikanische Haltung durch, sagt Anna Näf.
Lukas Huber fand dafür einleuchtend, was Clifton im letzten Teil des Buchs sagen: Wer eine Gemeinde erneuern wolle, braucht viel taktische Geduld: Dinge ertragen, von denen man sehe, dass sie nicht helfen, bis der Moment gekommen ist, um sie zu ändern.
Marcel Grob und Lukas Huber laden übrigens im September ein zu einem Lektüre-Austauschtreffen, an dem über die beiden Bücher «Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche» von Heinzpeter Hempelmann und «Reclaiming Glory» von Mark Clifton diskutiert wird. Das Lektüre-Austauschtreffen startet am Mittwoch, 11. September 2024 um 9.30 Uhr in der Stahlgiesserei Schaffhausen. Weitere Informationen finden sich » hier.
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Zum Buch «Reclaiming Glory» hat Lukas Huber eine Zusammenfassung geschrieben. Sie ist » hier herunterzuladen.
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Montag, 13. Mai 2024: Staffel 8, Episode 1: » «Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche»
Neu können Interessierte den Podcast des Landeskirchen-Forums, «Aufwärts stolpern», nicht nur anhören oder hier einen Bericht über die aktuelle Folge lesen, sondern künftig kann man die Podcast-Folgen auch schauen: auf YouTube. Die aktuelle Episode finde sich » hier
Die aktuelle Episode hat es in sich. Das, weil die Thesen des deutschen Theologen und Milieuforschers Heinzpeter Hempelmann provozieren. Er drischt heftig auf seine Landeskirche ein: Sie verstehe sich als Hüterin der Moral, doch sei ihre Moral oft stärker vom Milieu ihrer Akteure geprägt als von deren Theologie. Kirche erreiche von den zehn Milieus westlicher Kulturen nur zwei bis zweieinhalb. Sie sei darum nicht nur wegen der sinkenden Mitgliederzahlen, sondern auch aus Milieusicht schon lange keine «Volkskirche» mehr.
Die Kirche bilde auch die falschen Leute aus, und das erst noch falsch: Statt Grossstadt-kompatibler Entrepreneure bilde sie akademische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus, die beigebracht bekämen, nach dem Motto «je realitätsfremder, desto wissenschaftlicher» zu arbeiten.
Zudem wiege sich die Kirche im falschen Glauben, dass sie nicht untergehen könne. Und weil sie das glaubt, stolpert sie von Strukturanpassung zu Strukturanpassung, anstatt komplett neu anzusetzen und sich zu überlegen, was eigentlich noch hilft und was weg kann.
Wie die Kirche wieder Zukunft gewinnt
Hempelmann bleibt aber nicht bei der provozierenden Analyse stehen. Gott liebe das Schwache und er lasse die Kirche nicht los, schreibt er. Die Kirche allerdings müsse lernen, loszulassen. Zum Beispiel die Positionen und Privilegien. Ihr Selbstbild als gesellschaftlicher Player, der die öffentliche Diskussion massgeblich prägt zum Beispiel lasse sich nicht halten. Die Kirche werde zunehmend einen freikirchlichen Status mit «freiwilligkeitskirchlichen Merkmalen» einnehmen müssen.
Um diesen Übergang zu schaffen, wird die Kirche Bypässe legen am System vorbei: kleine kirchliche Strukturen, die sich nicht und die Institutionslogik der Kirche kümmern, sondern einfach einmal etwas machen. Diese neuen Formen von Gemeinde werden nicht gegen die Institution kämpfen, sondern einfach um sie herum arbeiten: nicht fragen, ob ein Abendmahl auch ohne ordinierter Pfarrer gefeiert werden darf, sondern es einfach machen.
Co-Host Lukas Huber bemerkt dazu, dass Hempelmann in seinem Buch natürlich nicht die Welt neu erfindet – die Logik dieser Bypässe ist in der anglikanischen Kirche in Form der Fresh Expressions of Church längst beschrieben. In diesem Prozess des kirchlichen Umbaus werde die Kirche dazu kommen, sagt Hempelmann, die Logik umzudrehen: nicht zu fragen, was man noch erhalten könne, sondern umgekehrt zu fragen: Was brauchen wir eigentlich noch und was hindert uns eher?
Was können wir evangelisch prägen?
Ein weiterer Punkt, den Hempelmann stark macht, ist das Stichwort «evangelisch prägen». In Deutschland werden viele Kitas, Kindergarten und Altersheime von Kirchgemeinden betrieben. Hempelmann fragt sich nun, ob die Kirche wirklich die Kraft habe, diese Institutionen evangelisch zu prägen. Wenn nicht, sagt er, solle die Kirche doch überlegen, ob sie diese – sehr wichtigen – Institutionen nicht anderen Trägern abgeben sollte. Co-Host Anna Näf fragt sich bei dieser These Hempelmann, ob sich damit nicht noch mehr Menschen von der Kirche entfremden würden.
Auch kirchliche Immobilien sind ein Thema in Hempelmanns Buch «Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche». Kirchgemeinde-Häuser seien oft Milieu-Gebäude mit Ekelschranken. Lukas Huber erzählt dazu, er habe in einem Kirchgemeinde-Haus ein Foto von einer grossen Filterkaffee-Maschine gemacht und in den Familienchat gestellt mit dem Kommentar: «Wie sage ich, dass ich in einem Kirchgemeinde-Haus bin, ohne zu sagen, dass ich in einem Kirchgemeinde-Haus bin?»
Die Häuserfrage verbindet Hempelmann im letzten Teil seines Buchs mit der Forderung, dass die Kirche aufmerksam Menschen aus anderen Lebenswelten ermutigt, in ihrem Milieu Gemeinde zu bauen. Auch wenn die Milieuforschung klar sagt, dass die Kirche nur zwei bis zweieinhalb Milieus erreicht, kann sie Gemeindeformate anerkennen und fördern, die aus anderen Milieus stammen und von Menschen aus anderen Lebenswelten verantwortet werden.
Schliesslich, schreibt Hempelmann: «Die Sache Jesu wird weitergehen, bis er am Ende selber kommt. Für Kirche und Christen bedeutet das: Wir können nicht verlieren. Wir dürfen etwas, wir können sogar uns riskieren, weil wir wissen: Wir können nur gewinnen.»
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Zum Buch «Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche» hat Lukas Huber eine Zusammenfassung geschrieben. Sie ist » hier zu finden.
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Die deutsche Psychiaterin Mirriam Preiss erwähnt in ihrem Buch «Resilienz» die Kirche kein einziges Mal – und doch kann, was sie schreibt, sehr hilfreich sein in der Kirchgemeinde mit Ambitionen. Was Menschen hilft, ihre Arbeit gut und wirksam zu machen, ist ihr Thema. Um das zu verdeutlichen, beschreibt Priess auch ausführlich das Gegenteil: die Spirale gegen unten in Beziehungen.
Dass ihr Buch aktuell ist, zeigt eine » Studie der Uni Greifswald aus dem Jahr 2020 – publiziert noch vor der Corona-Krise. 13 Prozent der Pfarrerinnen und Pfarrer der Mitteldeutschen Kirche litten aktuell an Burnout, ein weiteres Drittel sind akut burnout-gefährdet.
Burnout steht am Ende einer vierstufigen Entwicklung zum Schlechten, schreibt Priess. Diese Entwicklung habe immer mit Beziehungen zu tun, nicht mit der reinen Arbeitsmenge. Priess geht vom Begriff Dialog aus: Dialog ist die Fähigkeit, Dinge sachliche und auf Augenhöhe zu verhandeln. Dialog zeichnet sich dadurch aus, dass man anders aus einer Diskussion hinausgeht als wie man sie begann, weil man neue Gesichtspunkte und Argumente hörte und diese gemeinsam erörterte.
Vier Phasen bis zum Abgrund
Wenn aber der Dialog und die Augenhöhe verloren geht, fangen die Probleme mit ersten Stufe an: der Alarmphase. Priess beschreibt, dass viele Leute in dieser Phase noch gar nicht merken, dass der Dialog auf Augenhöhe verloren ging. Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Gedanken vermehrt um die Frage drehen, wie man die aktuelle Bedrohung abwehren kann.
Die zweite Phase ist die Widerstandsphase. Es geht im Argumentieren um Angriff, Verteidigung und Abwehr. Es treten oft erste körperliche Symptome auf. Weil diese schnell das Wohlbefinden stören können, sucht man eine Diagnose für die Symptome. Diese Verschiebung schwächt die eigene Resilienz aber zusätzlich, schreibt Priess, weil man auf der einen Seite in der Situation bleibt, aber gleichzeitig vor ihr flieht, indem man sich den Magenschmerzen, dem Kopfweh oder den Schlafstörungen widmet. Priess rät dazu, gerade in dieser Phase einen klaren Kopf zu bewahren, der Verschiebung der Probleme nicht nachzugeben, sondern eine Entscheidung zu fällen: Entweder es gelingt, den Dialog wieder aufzunehmen, oder man verlässt die Situation – im Sinne einer klaren Trennung und nicht im Sinne einer Flucht.
Wenn die Situation nicht so geklärt wird, dass wieder ein Dialog auf Augenhöhe stattfinden kann, folgt die Erschöpfungsphase: Die Gedanken kreisen nur noch um die Symptome, häufig wird gar kein Zusammenhang mehr hergestellt zwischen den Symptomen und der Konfliktsituation.
Die vierte Eskalationsstufe ist die Rückzugsphase. Priess meint damit nicht den Rückzug aus der Situation, sondern die endgültige Aufgabe der eigenen Position.
Schuldfrage aufgeben – nach Verantwortung fragen
Wenn jemand sich dieser Spirale gegen unten entziehen und in Richtung Resilienz gehen will, gilt es, die Schuldfrage aufzugeben. Es bringt nichts, dem Arbeitskollegen seine Schuld vorzuhalten und ihn dazu bringen zu wollen, die Schuld zuzugeben. Noch weniger hilfreich ist es, sich zu rächen. Rache führe nur zu einer weiteren Schwächung der eigenen Person.
Der einzig sinnvolle Weg ist, die Schuldfrage zu verlassen und nach Verantwortung zu fragen: Was ist mein Anteil an der Eskalation, und vor allem: Was brauche ich, damit ich mir selber und anderen wieder auf Augenhöhe begegnen kann? Priess schreibt: «Resilientes Leben heisst, einen einfachen Grundsatz zu befolgen: Ich begegne dem System, in dem ich mich befinde, im Dialog und auf Augenhöhe – und wenn mir dies nicht möglich ist, verlasse ich es und suche mir ein neues.»
Der Dialog auf Augenhöhe ist das wichtigste Stichwort von Priess. Das kann eine Herausforderung sein, weil Menschen «innere Realitäten» mit sich tragen; innere Realitäten sind unverarbeitete schädigende Erfahrungen aus der Vergangenheit, die unsere Sicht auf die Welt, auf uns selber und auf andere prägen. Innere Realitäten können früh in der Kindheit entstanden sein, durch traumatische Ereignisse – oder durch langsam sich entwickelnde Ohnmachtserfahrungen. «Ob im beruflichen oder im privaten Bereich, gerade in langen Beziehungen sollte darauf geachtet erden, konsequent von Beginn an die Augenhöhe zu halten – und die damit verbundenen vermeintlichen Anstrengungen in Kauf zu nehmen – anstatt durch den inneren Rückzug unbemerkt innere Realitäten zu produzieren und sich dadurch unnötig zu schwächen oder zu erschöpfen.»
Zum Schluss der Episode geht es darum, dass es unter Umständen sinnvoll sein kann, sich in einer Therapie oder in der Seelsorge diesen inneren Realitäten zu stellen, um in Zukunft seine Arbeit – auch in der Kirchgemeinde – im Dialog und auf Augenhöhe tun zu können.
Mit dieser Episode schliessen die beiden Hosts Lukas P. Huber und Anna Näf die achte Staffel des Podcasts «Aufwärts stolpern» ab.
Lukas Huber hat eine » deutsche Zusammenfassung des Buchs «Resilienz» erstellt.
Die ganze Episode kann man » hier anhören.
Die ganze Episode kann man » hier anschauen.
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Montag, 16. September 2024: Staffel 8, Episode 7: » «Alles hat ein Ende …»
Kirchgemeinden mit Ambitionen bauen gerne auf. Sie überlegen sich, wie sie noch mehr Menschen erreichen können, sie starten neue Projekte. Wenn parallel nicht Dinge beendet werden, führt der permanente Aufbau unweigerlich zur Erschöpfung aller Beteiligten.
Doch wie beendet man Dinge? Und warum fällt das Aufhören so schwer? Henry Cloud beschreibt die Zusammenhänge in seinem Buch «Necessary Endings» (2011). Bei einem Angebot zum Beispiel, das man selber gestartet hat, fällt es schwer, einzusehen, dass es einmal seine Zeit hatte, jetzt aber nicht mehr sinnvoll weitergeführt werden sollte. Das gilt speziell für Veranstaltungsformate, die in der Vergangenheit sehr erfolgreich waren.
Menschen haben auch Mühe, Dinge zu beenden, weil sie sich dann unter Umständen als Versager vorkommen, sagt Psychologe Cloud. Wer Dinge – oder auch Beziehungen – nicht bewusst beendet, steht in der Gefahr, ungünstige Verhaltensweisen zu wiederholen.
Es wächst mehr als man brauchen kann
Im kirchlichen wie im privaten Leben gilt die Regel: Es wächst mehr als man brauchen kann. Darum muss der Winzer seine Reben beschneiden – und die Kirchgemeinde ihre Angebote.
Im Podcast «Aufwärts stolpern» bemerkt Co-Host Anna Näf, dass es da eine Spannung gibt: Bei welchem Angebot muss man Ausdauer haben, um es zum Erfolg zu bringen, welches Angebot sollte man möglichst schnell beenden?
Objektive Kriterien – und Beschäftigung mit der eigenen Angst
Laut Henry Cloud braucht es zur Unterscheidung auf der einen Seite äussere Kriterien. Hoffnung alleine ist keine Strategie. Welche Massnahmen müssen also getroffen werden, um das Projekt zum Erfolg zu führen? Auf der anderen Seite lohnt es sich für Menschen mit Ambitionen, wenn sie sich mit sich selber beschäftigen: Was macht mir Angst, dass es mir schwer fällt, Dinge realistisch anzusehen und bei Bedarf einfach zu beenden?
Dabei, sagt Henry Cloud, hilft es, wenn man zwischen Schmerz und Schaden zu unterscheiden lernt: Sich einer harten Realität zu stellen kann schmerzhaft sein, es ist aber kein Schaden. Umgekehrt kann etwas weiterzuführen Schmerzen verhindern, aber es kann gleichzeitig der Kirchgemeinde oder auch im Privaten schaden.
Um zu beurteilen, ob ein Angebot noch sinnvoll weitergeführt werden soll, hilft eine klare Vision: Passt das Angebot noch zur Richtung, in die wir gehen wollen? Sinnvoll kann auch sein, einem Angebot klare Kriterien zu setzen: Wenn in zwei Monaten nicht 15 Personen kommen, wird das Angebot beendet.
Beenden als Normalzustand
Wer gut im Beenden werden will, sollte lernen, das Beenden innerlich zu «normalisieren». Henry Cloud argumentiert psychologisch: Wenn ein Mensch in einer gefährlichen Situation steckt, werden Kampf- oder Fluchtreflexe geweckt und es kommt zu einem Tunnelblick. Umgekehrt: Wer einer Herausforderung entspannt begegnet, kann die ganzen geistigen und emotionalen Ressourcen darauf verwenden, die Herausforderung möglichst gut zu meistern. Das heisst: Wer es schafft, das Beenden als normalen Teil des Lebens anzuschauen, kann entspannt alle Optionen prüfen und kluge Entscheidungen treffen.
Ein Praxisbeispiel
In der Podcast-Folge zum Buch «Necessary Endings» berichtet Co-Host Lukas Huber als Praxisbeispiel von einem gross aufgezogenen Jugendgottesdienstes, den er zusammen mit dem katholischen Pastoralraum und der Chrischonagemeinde des Nachbarorts startete. Nach ein paar guten Jahren kamen weniger Teenager und er merkte, dass die Zeit des Angebots abgelaufen war; es wurde beendet. Anderthalb Jahre später startete die Junge Kirche Klettgau ihren eigenen Gottesdienst für junge Erwachsene – ein Angebot, das immer noch läuft und viele junge Menschen anzieht.
Um zu prüfen, ob ein Angebot sinnvoll ist, sei eine realistische, hoffnungslose und motivierte Haltung am besten, empfiehlt Cloud weiter. Auf Wunder zu hoffen, ist nicht hilfreich. Was wird sich realistischerweise ändern, sodass das Angebot weitergeführt werden sollte?
Und wenn es um Menschen geht?
Wenn es um Menschen geht, sagt Cloud, dass die Vergangenheit die beste Voraussage der Zukunft ist. Es ist sinnvoller, sich auf eine verrückte Idee einer Person einzulassen, die in der Vergangenheit bewiesen hat, dass sie Dinge durchziehen kann, als einer einigermassen gut klingenden Idee einer Person zu vertrauen, die in der Vergangenheit gezeigt hat, dass sie mit ihren Projekten scheitert.
Henry Cloud beschreibt in der Zusammenarbeit drei Arten von Menschen: Weise Menschen hören sich Kritik an und ändern ihr Verhalten. Mit ihnen kann man gut zusammenarbeiten. Törichte Menschen weisen Kritik von sich und geben allen anderen die Schuld. Wer mit Menschen zu tun hat, die die dieses Verhalten wiederholt an den Tag leben, sollte nicht mit ihnen diskutieren, weil das nur als Herumnörgeln ankommt. Törichten Menschen sollte man Grenzen setzen und sie Konsequenzen spüren lassen. Es gibt aber auch böse Menschen, die anderen oder einer Organisation bewusst schaden wollen. Vor ihnen muss man sich – und die Kirchgemeinde – schützen; die Beziehung kann nicht weitergehen.
Zum Schluss der Episode geht es darum, dass man sich von Projekten – ähnlich wie von Menschen – bewusst verabschieden sollte: dankbar auf das schauen, was einmal gut war und auch betrauern, dass es jetzt zu Ende geht.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Necessary Endings», erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
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Montag, 26. August 2024: Staffel 8, Episode 6: » «Lasst die Kirche im Dorf!»
Jesus war ein Landei, sagt der amerikanische Pfarrer Donnie Griggs in seinem Buch «Small Town Jesus». Er stemmt sich damit gegen den Trend, vor allem an die Städte zu denken, wenn es um die Zukunft von Kirche geht. Die Kirchgemeinde auf dem Land ist auch das Thema von «Rural Church Rescue» von Jon Sanders.
Gleich zwei Bücher über die Kirche im Dorf sind Thema im Podcast «Aufwärts stolpern»: Anna Näf und Lukas Huber besprechen ihre Erkenntnisse aus «Small Town Jesus» von Donnie Griggs aus dem Jahr 2016 und «Rural Church Rescue» von Jon Sanders (2018).
Beide Autoren sind/waren Pfarrer in amerikanischen ländlichen Gebieten. Beide betonen: Die Herausforderungen für Kirchgemeinden auf dem Land sind mindestens so gross – und bedeutend! – wie in der Stadt oder der Agglomeration. Griggs betont, dass laut den Evangelien Jesus nie in den angesagten Grossstädten Tiberias und Sepphoris war. Jesus war ein Landei und hatte einen ländlichen Akzent.
Das Dorf ist eine eigene Welt
Griggs glaubt nicht an die Trickle-Down-Theorie: dass man die Städte (und deren Kirchen) stärken muss und der dort erzielte Fortschritt dann langsam auch aufs umliegende Land heruntertröpfelt. Die Gemeinde auf dem Land ist eine ganz eigene Welt, der man auf spezifische Art gerecht werden müsse. So sei etwa der Spielraum für Fehler im Dorf deutlich kleiner als in der Stadt. Man begegnet sich auf dem Land immer wieder.
Donnie Griggs ist aber keiner, der das Land verklärt. Im ländlichen Raum gibt es sehr wohl Verhaltensweisen und Denkformen, die gut mit dem Evangelium zusammengehen, aber auch solche, die ihm diametral widersprechen, zum Beispiel Rassismus. Dass das Argument «wir von hier» alles andere schlägt, ist zumindest ambivalent; die Idee, dass in kleinen Orten nichts Grosses geschehen könne, gehört für Griggs zu den Themen, die die Kirche vor Ort bekämpfen muss. Allerdings reiche es nicht, auf der Oberfläche der Handlungen (und der Worte) zu bleiben; man müsse als Kirchgemeinde vor Ort die Mentalität dahinter verstehen, um sie wirkungsvoll zu überwinden.
Lukas Huber und Anna Näf reden in Episode 08-06 von «Aufwärts stolpern» auch über das Buch «Rural Church Rescue» des Pfarrers und Feuerwehrmanns Jon Sanders, Dieser nimmt als roten Faden seines Buchs das Akronym «Rescue» und schreibt über sechs Themen. Es gehe auch auf dem Land um die Mission der Kirche, sagt Sanders, nicht darum, ein kuscheliger Sozialverein zu sein.
Kontrovers diskutieren die beiden Hosts den zweiten Punkt von Sanders, dass Angestellte starke Führung ausüben sollten. Anna Näf bemerkt, dass in akuten Notsituationen klare Führungsstrukturen nötig seien, dass Sanders aber vielleicht zu stark von seinem Erleben in der Feuerwehr auf die Kirchgemeinde schliesst. Die meisten Kirchgemeinden sind nicht in einer akuten Notsituation – sondern eher in einer langsam vor sich hin schwelenden Krise, wie Lukas Huber ergänzt. Dem Punkt von Sanders, dass nicht zu viele Kommissionen das kirchliche Leben träge machen sollten, könne er schon zustimmen.
Die Vision muss Angst machen
Die dritte These von Sanders beschäftigt sich mit der Vision. Wenn die Vision dem Pfarrer und der Pfarrerin keine Angst mache, sei sie zu klein. Und wenn die Person, die für die Finanzen verantwortlich ist, keine schlaflosen Nächte habe, weil sie nicht wisse, wie die Vision finanziert werden soll: dann ist die Vision ebenfalls zu klein, sagt Sanders.
Die beiden Hosts sind sich speziell bei dem Thema Vision einig, dass einige Aussagen von Jon Sanders nicht nur für Kirchgemeinden im ländlichen Raum gelten. Zum Beispiel, dass es die Funktion einer starken Vision nicht nur ist, Menschen anzulocken, sondern auch, andere Menschen abzustossen. Oder die Grundregel für das Kommunizieren der Vision: Wenn es der Pfarrperson langsam zum Hals heraushängt, die Vision permanent zu wiederholen, beginnen die Leute erst, sie zu begreifen.
Sanders schreibt im weiteren davon, dass es auch auf dem Land gilt, Menschen zu gewinnen. Nicht hilfreich ist es, Mitarbeiter zu suchen mit dem Argument, es sei ein kleiner Job, der nur wenig Zeit in Anspruch nehme. Gute Leute seien schon beschäftigt – auch im Dorf. Ihnen müsse man eine grosse Herausforderung präsentieren und sie dann fragen, ob sie sie in Angriff nehmen wollten.
Zum Schluss der Episode geht es darum, dass es speziell im Dorf bei Veränderungen gilt, die Vergangenheit zu ehren – und dann mutig in die Zukunft zu gehen.
Eine » kurze deutsche Zusammenfassung des Buchs «Small Town Jesus», erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
Eine » deutsche Zusammenfassung des Buchs «Rural Church Rescue», erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
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Montag, 5. August 2024: Staffel 8, Episode 5: » «Wenn die Kräfte nachlassen»
Eine Kirchgemeinde mit Ambitionen wird geprägt von Menschen mit Ambitionen. Zwei Bücher können helfen, mit den eigenen Ambitionen sinnvoll umzugehen und sich so zu organisieren, dass man auch gute Arbeit leistet, wenn die Kräfte der jungen Jahre nachlassen.
In seinem Buch «From Strength to Strength» schreibt der amerikanische Soziologe Arthur C. Brooks, dass es ausgerechnet Menschen mit grossen Zielen sind, die in der zweiten Lebenshälfte unglücklich werden. Der Mensch sei nicht dafür gemacht, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Wer aber als junger Mensch ambitioniert und erfolgreich arbeitet, merkt, dass es ab 30 Jahren bergab geht mit der Fähigkeit, sich stark zu konzentrieren und Dinge gegen alle Widerstände zu bewegen. Wer sich damit nicht abfindet, hat verloren.
Durchbrüche wurden in der Geschichte gewöhnlich durch junge Menschen erzielt. Die ersten Jahrzehnte des Lebens seien geprägt durch die «fluide Intelligenz», schreibt Arthur Brooks. Sein Bild dafür ist eine Bibliothek mit wenigen Büchern: Der Bibliothekar kann sie ganz schnell hervorholen. Doch ab 30 – mit zunehmender Lebenserfahrung – wird die Bibliothek grösser und das Hervorholen der Bücher wird zunehmend langsamer.
Der Sprung auf die zweite Intelligenz
Diesem Abwärtstrend der fluiden Intelligenz kann man sich mit aller Gewalt entgegenstellen, man kann immer mehr arbeiten und auch sonst einen ungesunden Lebensstil pflegen. Oder man akzeptiert die Erkenntnisse der Hirnforschung und springt von der ersten – der fluiden – Intelligenz auf die zweite Kurve: die kristalline Intelligenz.
Die zweite Form der Intelligenz ist weniger prestigeträchtig und lukrativ, aber genauso befriedigend. Anstatt sich auf eine Innovation zu konzentrieren sieht man das grössere Bild und kann andere anleiten.
Um diesen Sprung zu schaffen müssen speziell erfolgsgetriebene Menschen lernen, zu akzeptieren, dass sie nicht mehr so speziell sind. Es sei sowieso eine Art Selbstobjektivierung, wenn man sich als erfolgreich und innovativ definiere – und dann merke, dass das nicht mehr so gut geht.
Der Weg auf die zweite Kurve gelingt dann, wenn man statt anzuhäufen auszumeisseln beginnt: Nicht mehr immer mehr haben wollen (Geld, Erfolg, Dinge), sondern immer weniger.
Arthur Brooks schlägt für die zweite Lebenshälfte eine neue Existenz-Mathematik vor: Befriedigung in der ersten Hälfte ist, wenn man bekommt, was man will. In der zweiten Hälfte gilt:
Befriedigung = Was du hast ÷ Was du willst
Der andere Brooks: «The Second Mountain»
In der Aufwärts-stolpern-Episode über «From Strength to Strength» besprechen die beiden Hosts Lukas Huber und Anna Näf ein weiteres Buch: «The Second Mountain» des ebenfalls amerikanischen Autors David Brooks – nicht verwandt mit Arthur Brooks.
David Brooks beschreibt die Herausforderung des Lebens so, dass es darum geht, zwei Berge zu besteigen. Der erste ist der Berg der Individuation, also dass man sich vom Elternhaus löst, ein eigenes Ego aufbaut, Karriere macht et cetera. Oben angekommen merkt man, dass das alles nicht ein Leben lang glücklich macht.
Hinter dem ersten Berg liegt ein Tal. Manche Menschen spüren die Leere von viel Geld von alleine, andere werden durch eine gesundheitliche oder beziehungsmässige Katastrophe vom ersten Berg heruntergeworfen. Wer den Weg durch die Wildnis des Tals durchschritten hat, sagt David Brooks, sei eingeladen, den zweiten Berg zu besteigen. Diesen zweiten Berg beschreibt der Wirtschaftsjournalist als Berg der Transzendenz des Ego.
Den zweiten Berg definiert David Brooks ausführlich durch vier Dinge:
• Man muss eine Berufung finden, die grösser ist als das eigene Ego;
• man solle verbindliche Beziehungen eingehen, in denen nicht das Ego im Mittelpunkt steht – er singt ein Loblied auf die Ehe, die der persönlichen Reifung und der Transzendieren des Ego zugunsten des grösseren Gemeinsamen dient
• es gilt, eine Philosophie und/oder einen Glauben zu finden. Er schreibt: «Religiös zu sein bedeutet für mich, die Wirklichkeit durch eine heilige Linse wahrzunehmen.»
• schliesslich solle man sich einer Gemeinschaft anschliessen, die sich für das Gute in der Welt einsetzen.
In der Aufwärts-stolpern-Episode sagt Anna Näf auf die Frage, was die Kirchgemeinde mit Ambitionen von diesen Büchern lernen kann, dass gerade die Kirche ist Ort, an dem sich Menschen sinnstiftend einbringen können. Lukas Huber ergänzt, dass die Bücher für einen Teil des Zeitgeists sprechen, der sagt, dass manche Menschen merken, wie leer das Ego und der persönliche Erfolg irgendwann werden. Das heisst, die Kirche kann an die Erfahrung vieler Menschen anknüpfen, wenn sie davon redet, dass es mehr gibt als der eigene Erfolg.
Eine deutsche » Zusammenfassung des Buchs «From Strength to Strength», erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
Eine deutsche » Zusammenfassung des Buchs «The Second Mountain», erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
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Montag, 15. Juli 2024: Staffel 8, Episode 4: » «The Starfish and the Spirit» sowie «Underground Church»
Im Buch «The Starfish and the Spirit» geht es um ein Bild der Kirche, das sowohl der Organisation der Landeskirchen und jener der amerikanischen Mega Churches diametral entgegensteht: Klein ist gut, vor allem, wenn sich die Mikrokirchen vervielfältigen; ein Leader wird man, wenn man andere für den Glauben gewinnen kann.
Die Autoren Lance Ford, Rob Wegner und Alan Hirsch gehen hart ins Gericht mit der aktuellen Kirchenkultur: Die Führungsstruktur sei in längst vergangenen Zeiten steckengeblieben: Klar definierte Prozesse und Anweisungen prägten das Leben vieler Kirchen – die bahnbrechende Erfindung der industriellen Revolution, um identische Blechteile in grosser Anzahl herzustellen –, und die charismatische Heldenfigur stehe zuoberst auf der Leiter – ein Erbe der Renaissance.
Das Buch «The Starfish and the Spirit» ist dagegen von einem Bild aus der Tierwelt geprägt: Sowohl Spinne wie Seestern haben einen zentralen Körper und Extremitäten, die in alle Richtungen gehen. Wenn man der Spinne den Kopf abschneidet, ist das Tier tot, wenn man einen Seestern teilt, werden zwei Seesterne daraus. Das Bild übernehmen sie vom einflussreichen Wirtschaftsbuch «The Starfish and the Spider» von Ori Brafman und Rod Beckstrom.
Das Bild passe perfekt zur Kirche, wie sie ursprünglich gedacht gewesen sei und noch heute funktionieren könne, argumentieren Ford, Wegner und Hirsch.
Nachfolge und Führung, Häuser und Drehscheiben
Ihr Seestern-Bild besteht aus fünf Elementen. Das Wichtigste: Die Mikrokirchen rufen Menschen in die Nachfolge. Nur wenn sich Menschen in die Nachfolge von Jesus Christus begeben, wird das Reich Gottes wachsen. Die Autoren schreiben: «Wenn wir in diesem Punkt versagen, müssen wir auch in allen anderen Punkten versagen.»
Wer es schafft, Menschen in die Nachfolge zu rufen, wird automatisch zum Leader, auch wenn er/sie es unter Umständen nicht einmal selber weiss. Es gilt die Grundregel: Die Nachfolge ist der Baum; dass Menschen Verantwortung übernehmen, ist die Frucht. Das Umgekehrte gilt nicht zwingend. Kirchen, die darauf fixiert sind, Menschen zu Leadern auszubilden, sie aber nicht in die Nachfolge rufen, merken unter Umständen irgendwann, dass sie die Falschen zu Verantwortungsträgern aufgebaut haben.
Erst bei den Elementen drei und vier unterscheidet sich das Seestern-Modell markant von anderen Kirchenkonzepten. Ihr Verständnis von Kirche ist nicht das einer zentral organisierten Organisation, die dann ins Kleine geht, sondern für sie besteht Kirche aus Häusern und Drehscheiben. Das sei schon von Anfang an so angelegt gewesen, argumentieren die Autoren: Die Urkirche in der Apostelgeschichte bestand aus Hausgemeinschaften und dem «Hub», der Drehscheibe in der Halle Salomos, wo die Apostel die Verantwortlichen der neu entstandenen Hauskirchen lehrten.
Diese Art von Kirche war sehr resistent, als in Apostelgeschichte 8 Stephans getötet wurde und weitere Treffen im Hub beim Tempeln nicht mehr möglich waren: Die Hauskirchen vermehrten sich einfach weiter. Paulus übernahm dieses Konzept von Hub und Häusern; in Apostelgeschichte 19 wird beschrieben, dass in Ephesus die Halle des Tyrannus die Drehscheibe für die Verantwortlichen der Hauskirchen der Gegend war.
Hauskreis ist nicht das Gleiche wie Hauskirche
Diese Häuser im Seestern-Modell unterscheiden sich von Hauskreisen, wie es sie auch in landeskirchlichen Gemeinden gibt. Hauskreise drehen sich um die Bedürfnisse der Teilnehmenden, bei stärker organisierten Kirchgemeinden vertiefen die Hauskreise die Predigt des zentralen Gottesdienstes. Im Seestern-Konzept *sind* die Häuser die Kirchen.
Neben dem reinen Seestern-Modell beschreiben die Autoren auch Zwischenformen. Das kommt den beiden Hosts des Podcasts «Aufwärts stolpern» entgegen. Sie stellen nämlich fest, dass eine reformierte Kirchgemeinde kein reine Seestern-Gemeinde werden könne. Die Mischform, die näher am Seestern-Modell ist, hingegen, kann durchaus ein Konstrukt sein, mit der ein Bereich einer Kirchgemeinde funktionieren kann, sagt Host Lukas Huber.
«Underground Church»
Neben «The Starfish and the Spirit» diskutieren die beiden Hosts auch das Buch «Underground Church» von Brian Sanders, der aus der gleichen Grundidee die Erfahrung des Kirchennetzwerks in Tampa (Florida) beschreibt mit den Erfahrungen, die die Verantwortlichen machten. Sanders behauptet: «Die Kirche ist, in ihrer stärksten Form, klein.»
Anna Näf zeigt sich sehr inspiriert von Brian Sanders Aussage, dass in einem Mikrokirchen-Kontext «Exzellenz» kein Wert sei, der forciert wird. Im Gegenteil: Es ist wichtiger, Menschen im Kirchennetzwerk nach vorne zu schieben, die vielleicht weniger gute Redner sind als die bestens ausgebildeten Theologinnen und Theologen. Es ist wichtiger, die Fähigkeiten von vielen hervorzuheben und sie zu ermutigen, sich einzubringen.
Lukas Huber hob die Idee in «The Starfish and the Spirit» hervor, dass die Grundform einer Seestern-Gemeinde der Kreis und nicht die Pyramide sei; das solle sich auch im Besprechungsraum zeigen. Die ideale Sitzform sei der Kreis, nicht das Rechteck. Und der Sitzungsleiter solle nicht oben am Tisch sitzen, sondern einfach irgendwo im Kreis.
Gegen den Schluss der Episode erzählt Lukas Huber die unterschiedlichen Kernbotschaften von verschiedenen Kirchenmodellen aus dem Seestern-Buch. Die Kernbotschaft von schrumpfenden und stagnierenden Kirchen ist: «Bitte bleibt!» Die Kernbotschaft von wachsenden (Gross-)Kirchgemeinden ist: «Bitte kommt!» Die Grundbotschaft von Mikrokirchen-Netzwerken ist: «Bitte geht!» (Gemeint ist natürlich: Geht und gründet neue Kirchen.)
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The Starfish and the Spirit», erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Eine deutsche Zusammenfassung von «Underground Church», erstellt von Lukas huber, findet sich » hier.
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Montag, 24. Juni 2024: Staffel 8, Episode 3: » «Trust»
Der amerikanische Psychologe und Klinikleiter Henry Cloud plädiert dafür, nicht jedem zu vertrauen – vor allem nicht in jedem Bereich. Und das ausgerechnet in einem Buch mit dem Titel «Trust». Vertrauen ist keine Angelegenheit von Ja oder Nein, führt er aus. Er beschreibt die Voraussetzungen für Vertrauen und was man tun kann, wenn das Vertrauen kaputt gegangen ist.
In einer Kirchgemeinde und speziell einem Pfarr- oder anderen Team kommt es sehr darauf an, ob man einander vertrauen kann oder nicht. Und wenn das Vertrauen einmal zerbrochen ist, kann es sehr schwierig werden, weiter zusammenzuarbeiten.
In der «Aufwärts-stolpern»-Episode über das Buch «Trust» von Dr. Henry Cloud starten die beiden Hosts Lukas P. Huber und Anna Näf mit dem zweiten Teil des Buchs: «The Model for Repairing Trust». Nach einem Vertrauensbruch gelte es als erstes, sich in Sicherheit zu bringen, schreibt Cloud, sonst komme man in Versuchung, dumme Entscheidungen zu treffen. Dann gelte es, in Richtung Vergebung zu gehen. Vergeben sei ein Geschenk an sich selber und habe mit der anderen Person noch gar nichts zu tun. Vergeben heisst, sich zu lösen von dem, was geschehen ist.
Auf Vergebung folgt Versöhnung – vielleicht
Die nächsten Schritte, die Cloud empfiehlt, haben es den Hosts sehr angetan. Er sei in einer religiösen Welt aufgewachsen, in der Vergebung und Versöhnung eigentlich ein und dasselbe gewesen sei, bekennt Lukas Huber. Nach der Vergebung aber, sagt Cloud, solle man sich zuerst überlegen, was man genau wolle. Zur Versöhnung brauche es nämlich den anderen – und wenn dieser nicht bereit sei, zu seinen Fehlern zu stehen und die Verantwortung für seine Taten und Worte zu übernehmen, sei eine Versöhnung gar nicht möglich. Die Versöhnung, mit anderen Worten, ist nach dem «obligatorischen» Vergeben (für den eigenen Seelenfrieden!) ein optionaler Schritt.
Ein letzter optionaler Schritt, der gut abgeklärt werden müsse, ist, ob man nach Vergebung und Versöhnung dem anderen wieder Vertrauen schenken wolle und könne. Dafür sei es nötig, sagt Cloud, die Merkmale des ersten Teils des Buchs (ein zweites Mal) zu ergründen – also nochmals durch die Voraussetzungen für Vertrauen zu gehen und schauen, ob Vertrauen eine Option ist.
Fünf Voraussetzungen für Vertrauen
Henry Cloud sagt, um jemandem zu vertrauen, brauche es fünf Vorraussetzungen. Viel emotionaler Ärger und grosse Enttäuschung kann folgen, wenn man diese nicht sauber abgeklärt hat, bevor man jemandem vertraut. Vertrauen muss man nämlich nur, wenn man in einer Position der Schwäche ist: Man braucht etwas von einem anderen Menschen – sonst wäre Vertrauen gar nicht nötig, man würde es sonst einfach selber machen.
1. Versteht die andere Person mich? Umgekehrt, wenn andere mir vertrauen sollen: Habe ich der anderen Person zeigen können, dass ich ihr zuhöre und verstehe, was ihr wichtig ist und was sie wertschätzt.
2. Wie steht es um ihre Motivation? Will sie das gleiche wie ich? Geht es ihr nur um sich selber oder auch um das, was mich bewegt? Dieser Punkt ist nicht unwesentlich in einer Kirchgemeinde: Ich kann zu 100 Prozent überzeugt sein, dass mich ein Arbeitskollege nie bestehlen würde, aber wenn er bei der Arbeit immer in eine andere Richtung zieht, kann das heissen, dass ich ihm nicht vertrauen kann.
3. Hat der die nötigen Fähigkeiten? Wenn man in einer Kirchgemeinde jemanden als zuverlässig und engagiert erlebt hat – heisst das, dass er auch ein gutes Mitglied der Kirchenpflege ist? Nicht unbedingt; er sollte auch die Fähigkeiten und Interessen mitbringen, die mit der neuen Aufgabe verbunden sind.
4. Wie sieht es mit ihrem Charakter aus? Dieser Punkt ist sehr trickreich. Wenn man einer Mitarbeiterin absolut das Portemonnaie anvertrauen könnte, sie aber unter Druck immer die Schuld bei anderen sieht, kann das unter Umständen das Vertrauen zerstören. Umgekehrt, sagt Cloud: Man will ja nicht mit einer Arbeitskollegin verheiratet sein, unter Umständen kann man ihr bei einem gemeinsamen Projekt in jenem Bereich durchaus vertrauen, der wichtig ist, auch wenn sie sonstige Charakterschwächen hat. Vertrauen ist also auch etwas Sektorielles: Es bezieht sich oft auf Themen und Bereiche, nicht auf das ganze Leben.
Der Punkt, an dem Anna Näf in der Podcast-Episode zurückzuckte, war das fünfte Merkmal Clouds: Leistungsbilanz. Gerade vor einem Glaubenshintergrund hat man doch den Impuls, jemandem eine zweite Chance zu geben, wenn er seinen Fehler einsieht und Besserung gelobt. Allerdings, werden sich die Hosts einig, das Versprechen, etwas nie mehr zu tun, kommt zum Beispiel süchtigen Menschen leicht von den Lippen. Ob jemand sein Verhalten aber wirklich gebessert hat – tja, das kann nur die Zeit zeigen, darum ist es manchmal nötig, die Leistungsbilanz anzuschauen.
Eine deutsche » Zusammenfassung des Buchs, erstellt von Lukas Huber, findet sich hier.
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Montag, 3. Juni 2024: Staffel 8, Episode 2: » «Reclaiming Glory»
Mark Clifton ist ein US-Gemeindegründer und -erneuerer. Seinem Buch «Reclaiming Glory» können die beiden Hosts des Podcasts «Aufwärts stolpern» einiges abgewinnen – auch wenn es Überlegungen sind, die sich an die amerikanische Freikirchen-Welt richten. Bei aller Begeisterung für innovative Projekte stellt sich ja die Frage, was mit Kirchgemeinden geschehen soll, denen es nicht gut geht. Lukas P. Huber und Anna Näf reden über das, was wir Schweizer Landeskirchler von diesem Buch lernen können – und was wir getrost in den USA lassen sollten.
Es mache Gott wenig Ehre im Quartier, wenn eine kriselnde Kirchgemeinde ihre Tore zumache, sagt der amerikanische Gemeindeerneuerer Mark Clifton. Er steigt also theologisch ziemlich hoch ein, wenn er darüber redet, was man mit Kirchgemeinden machen solle, denen es nicht gut geht.
Die Gemeindegründungsszene, speziell in den USA, hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder und sehr deutlich gesagt, dass innovative Kirchenleute kriselnde Kirchgemeinden links liegen und lieber eine neue Kirche gründen sollten. Das sei viel effektiver als sich mit einer Kirchgemeinde zu beschäftigen, die ja aus einem guten Grund nah am Abgrund steht.
Diesen Abgrund lotet Mark Clifton aus. Der Grund, warum Kirchgemeinden in der Krise seien, sei nicht fehlendes Geld oder mangelnde Mitgliederzahlen, das Problem liege darin, dass es den Kirchen nicht gelinge, Menschen in die Nachfolge von Christus zu rufen. Was wie eine Kritik an liberalen europäischen Kirchen tönt, schreibt aber Clifton im Hinblick auf die 85 Prozent der Kirchgemeinden seiner eigenen Denomination, denen es nicht gut geht. Nur 15 Prozent der Kirchen der südlichen Baptisten seien gesund und am wachsen.
Krankheit sieht man den Kirchgemeinden nicht unbedingt auf den ersten Blick an. Auch taumelnde Kirchgemeinden hätten meist viel kirchliche Aktivität aufzuweisen, nur richteten sich die Angebote an die bestehenden Mitglieder, die sich so selber beschäftigen.
Vier Lösungen – nur eine ist für uns interessant
Mark Clifton präsentiert vier Wege, wie Kirchen aus der Krise kämen:
1. Die kranke Kirche übergibt die Schlüssel ihrer Gebäude einer Gemeindeneugründung oder einem Ableger einer gut funktionierende Kirche.
2. Die kriselnde Kirche teilt die Gebäude mit einer Gemeinde-Neugründung. Vielleicht färbt ja etwas von der Dynamik der neuen Kirchgemeinde ab.
3. Die sterbende Kirchgemeinde fusioniert mit einer Gemeindeneugründung oder einer funktionierenden Kirchgemeinde, die einen neuen Ableger starten will. Das sei aber mit vielen Herausforderungen verbunden: Die «alten» Mitglieder müssten die Verantwortung den neuen, dynamischen Leuten abgeben. Wenn aber ein Neustart auf diese Weise gelinge, umfasse die neue Kirche gleich alle Generationen (im Unterschied zu einer Gemeindeneugründung, die sich gewöhnlich um ein sozial homogenes Gründungsteam schart).
4. Der kranken Kirchgemeinde gelingt ein Neustart von innen. Das geht gewöhnlich nur mit neuen Angestellten, sprich es kann wohl nur bei einem Personalwechsel funktioneren. Die neue Pfarrerin oder der neue Pfarrer muss dann beides tun: Hirte sein und ein Kirchen-Neugründer – ein spannungsvolles Unternehmen. Clifton sagt: Die anderen drei Ansätze sind wahrscheinlich erfolgreicher, aber der vierte Ansatz wird wohl immer häufiger versucht. Für Schweizer Landeskirchen, so sind sich die beiden Hosts in der entsprechenden Episode des Podcasts «Aufwärts stolpern» einig, kommt wohl nur dieser vierte Weg in Frage.
Sich auf junge Männer fokussieren – hä?!
Anna Näf und Lukas Huber diskutieren dann die sechs Neupflanzungs-Imperative von Mark Clifton. Unter ihnen, dass es für die Pfarrperson wichtig sei, die «alten» Mitglieder nicht zu beschuldigen, weil sie die Kirche so haben krank werden lassen, sondern dass es darum gehe, alle Anwesenden zu lieben. Einem anderen der sechs Imperative können die Hosts wenig abgewinnen: Es gelte, sagt Clifton, gezielt in junge Männer als Leader zu investieren. Da schlägt wohl viel amerikanische Haltung durch, sagt Anna Näf.
Lukas Huber fand dafür einleuchtend, was Clifton im letzten Teil des Buchs sagen: Wer eine Gemeinde erneuern wolle, braucht viel taktische Geduld: Dinge ertragen, von denen man sehe, dass sie nicht helfen, bis der Moment gekommen ist, um sie zu ändern.
Marcel Grob und Lukas Huber laden übrigens im September ein zu einem Lektüre-Austauschtreffen, an dem über die beiden Bücher «Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche» von Heinzpeter Hempelmann und «Reclaiming Glory» von Mark Clifton diskutiert wird. Das Lektüre-Austauschtreffen startet am Mittwoch, 11. September 2024 um 9.30 Uhr in der Stahlgiesserei Schaffhausen. Weitere Informationen finden sich » hier.
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Zum Buch «Reclaiming Glory» hat Lukas Huber eine Zusammenfassung geschrieben. Sie ist » hier herunterzuladen.
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Montag, 13. Mai 2024: Staffel 8, Episode 1: » «Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche»
Neu können Interessierte den Podcast des Landeskirchen-Forums, «Aufwärts stolpern», nicht nur anhören oder hier einen Bericht über die aktuelle Folge lesen, sondern künftig kann man die Podcast-Folgen auch schauen: auf YouTube. Die aktuelle Episode finde sich » hier
Die aktuelle Episode hat es in sich. Das, weil die Thesen des deutschen Theologen und Milieuforschers Heinzpeter Hempelmann provozieren. Er drischt heftig auf seine Landeskirche ein: Sie verstehe sich als Hüterin der Moral, doch sei ihre Moral oft stärker vom Milieu ihrer Akteure geprägt als von deren Theologie. Kirche erreiche von den zehn Milieus westlicher Kulturen nur zwei bis zweieinhalb. Sie sei darum nicht nur wegen der sinkenden Mitgliederzahlen, sondern auch aus Milieusicht schon lange keine «Volkskirche» mehr.
Die Kirche bilde auch die falschen Leute aus, und das erst noch falsch: Statt Grossstadt-kompatibler Entrepreneure bilde sie akademische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus, die beigebracht bekämen, nach dem Motto «je realitätsfremder, desto wissenschaftlicher» zu arbeiten.
Zudem wiege sich die Kirche im falschen Glauben, dass sie nicht untergehen könne. Und weil sie das glaubt, stolpert sie von Strukturanpassung zu Strukturanpassung, anstatt komplett neu anzusetzen und sich zu überlegen, was eigentlich noch hilft und was weg kann.
Wie die Kirche wieder Zukunft gewinnt
Hempelmann bleibt aber nicht bei der provozierenden Analyse stehen. Gott liebe das Schwache und er lasse die Kirche nicht los, schreibt er. Die Kirche allerdings müsse lernen, loszulassen. Zum Beispiel die Positionen und Privilegien. Ihr Selbstbild als gesellschaftlicher Player, der die öffentliche Diskussion massgeblich prägt zum Beispiel lasse sich nicht halten. Die Kirche werde zunehmend einen freikirchlichen Status mit «freiwilligkeitskirchlichen Merkmalen» einnehmen müssen.
Um diesen Übergang zu schaffen, wird die Kirche Bypässe legen am System vorbei: kleine kirchliche Strukturen, die sich nicht und die Institutionslogik der Kirche kümmern, sondern einfach einmal etwas machen. Diese neuen Formen von Gemeinde werden nicht gegen die Institution kämpfen, sondern einfach um sie herum arbeiten: nicht fragen, ob ein Abendmahl auch ohne ordinierter Pfarrer gefeiert werden darf, sondern es einfach machen.
Co-Host Lukas Huber bemerkt dazu, dass Hempelmann in seinem Buch natürlich nicht die Welt neu erfindet – die Logik dieser Bypässe ist in der anglikanischen Kirche in Form der Fresh Expressions of Church längst beschrieben. In diesem Prozess des kirchlichen Umbaus werde die Kirche dazu kommen, sagt Hempelmann, die Logik umzudrehen: nicht zu fragen, was man noch erhalten könne, sondern umgekehrt zu fragen: Was brauchen wir eigentlich noch und was hindert uns eher?
Was können wir evangelisch prägen?
Ein weiterer Punkt, den Hempelmann stark macht, ist das Stichwort «evangelisch prägen». In Deutschland werden viele Kitas, Kindergarten und Altersheime von Kirchgemeinden betrieben. Hempelmann fragt sich nun, ob die Kirche wirklich die Kraft habe, diese Institutionen evangelisch zu prägen. Wenn nicht, sagt er, solle die Kirche doch überlegen, ob sie diese – sehr wichtigen – Institutionen nicht anderen Trägern abgeben sollte. Co-Host Anna Näf fragt sich bei dieser These Hempelmann, ob sich damit nicht noch mehr Menschen von der Kirche entfremden würden.
Auch kirchliche Immobilien sind ein Thema in Hempelmanns Buch «Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche». Kirchgemeinde-Häuser seien oft Milieu-Gebäude mit Ekelschranken. Lukas Huber erzählt dazu, er habe in einem Kirchgemeinde-Haus ein Foto von einer grossen Filterkaffee-Maschine gemacht und in den Familienchat gestellt mit dem Kommentar: «Wie sage ich, dass ich in einem Kirchgemeinde-Haus bin, ohne zu sagen, dass ich in einem Kirchgemeinde-Haus bin?»
Die Häuserfrage verbindet Hempelmann im letzten Teil seines Buchs mit der Forderung, dass die Kirche aufmerksam Menschen aus anderen Lebenswelten ermutigt, in ihrem Milieu Gemeinde zu bauen. Auch wenn die Milieuforschung klar sagt, dass die Kirche nur zwei bis zweieinhalb Milieus erreicht, kann sie Gemeindeformate anerkennen und fördern, die aus anderen Milieus stammen und von Menschen aus anderen Lebenswelten verantwortet werden.
Schliesslich, schreibt Hempelmann: «Die Sache Jesu wird weitergehen, bis er am Ende selber kommt. Für Kirche und Christen bedeutet das: Wir können nicht verlieren. Wir dürfen etwas, wir können sogar uns riskieren, weil wir wissen: Wir können nur gewinnen.»
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Zum Buch «Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche» hat Lukas Huber eine Zusammenfassung geschrieben. Sie ist » hier zu finden.
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Staffel 6 mit Gästen und Staffel 7: Rückblick auf Staffel 6
STAFFEL 7
Montag, 21. April 2024: Staffel 7, Episode 4: » «Wie viel investieren wir in Menschen?»
Kirche besteht aus Menschen. Kirchenleitende stellen sich darum die Frage: Wie viel investieren wir in Menschen? Für » Daniel Frischknecht in Episode 06-07 des LKF-Podcasts «Aufwärts stolpern» ist klar: Jede Kirchgemeinde braucht einen Mitarbeiterentwickler – eine Ansprechperson für alle Engagierten, die sie wahrnimmt, ihnen zuhört und sie fördert. Daniel Frischknecht hat dabei einen Trend festgestellt: Heute wollen Menschen mitarbeiten und dann gecoacht werden, sie wollen nicht zuerst in einen Kurs gehen und dann mitarbeiten.
» Werner Näf hat in Episode 06-03 bekannt, dass er es als Pfarrer zuerst hat lernen müssen, ein gewisses Chaos in der Kirchgemeinde zuzulassen, wenn Menschen Verantwortung übernehmen sollen.
Von der Chance, dass Leiterförderung ein Selbstläufer wird, sprach » Diana Abzieher in Episode 06-08 – wenn man ein » Weiterbildungsmodul wie «Zusammen auf Kurs» über mehrere Jahre hinweg anbietet. Jugendlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern solle man das gleiche Gewicht geben wie Erwachsenen.
Investieren, wenn die Ressourcen fehlen
Co-Host Lukas Huber hat ein Paradoxon beobachtet: Ausgerechnet jene Kirchgemeinden sollten eigentlich gezielt Menschen schulen, denen die Ressourcen wegbrechen: Kirchgemeinden, die zum Beispiel keine Angestellten mehr finden, weil der Arbeitsmarkt ausgetrocknet ist.
Co-Host Anna Näf schildert eine weitere Beobachtung: Die Kirche versuche angesichts der Kirchenaustritte, sich bei den Noch-Mitgliedern in Erinnerung zu rufen statt in jene Menschen zu investieren, die sich engagieren wollten – dabei könnten ausgerechnet diese Mulitplikatoren der Idee sein, dass Kirche wichtig ist.
Die Delle im mittleren Alter
Wenn sich die reformierte Kirche dem Allgemeinen Priestertum verschrieben hat, bleibt die Frage, wen man für eine Mitarbeit gewinnen kann. Daniel Frischknecht hat schliesslich die Erfahrung gemacht, dass die Menschen im mittleren Alter am wenigsten Zeit und Kraft haben, sich zu engagieren. Kein Wunder, dass Diana Abzieher bei Kindern und Teenagern ansetzt.
Lukas Huber bringt die Buchbesprechung von » Daniels Ims Buch «No Silver Bullets» in Episode 05-03 ins Spiel: Der Mensch lerne zu 10 Prozent durch formale Bildung, zu 20 Prozent durch Coaching und zu 70 Prozent durchs Tun. Pfarrerinnen und Pfarrer müssten darum den Mut finden, Leute machen zu lassen. Lukas Huber berichtet von seinem Studienurlaub letzten Herbst: Für diese Zeit habe er ein Gottesdienst-Team gefragt, ob sie den Gottesdienst ohne ihn gestalten. «Und nachher bin ich einfach nicht wieder eingestiegen.» Anna Näf hat das erlebt, als es darum ging, einen Jugendraum neu zu gestalten: «Ich konnte letztes Mal nicht dabei sein, und ich glaube, sie kamen viel schneller voran als wenn ich den Ton angegeben hätte.»
Zwei Gottesdienste ohne Pfarrer
Werner Näf in der Kirchgemeinde Gächlingen hatte dazu einen mutigen Vorschlag, erzählt Lukas Huber: Im Gottesdienst-Programm für 2024 wurden für zwei Gottesdienste einfach keine Pfarrperson bestimmt, sondern er habe der Kirchgemeinde gesagt, da müssten sie schauen, dass es ein guter Gottesdienst wird. Mindestens für den ersten der beiden hätten sich zwei Personen zusammengetan, berichtet Lukas Huber.
Zum Schluss der Episode geht es um die drei Ziele, die Lukas Huber verfolgt in der Jugendarbeit: Junge Menschen sollen geistlich wachsen und religiös sprachfähig werden, sie sollen in ihren Führungskompetenzen wachsen und im sonstigen Leben zu reifen Persönlichkeiten werden.
Montag, 1. April 2024: Staffel 7, Episode 3: » «Wie arbeiten wir zusammen?»
«Fixe Strukturen geben keine Stabilität», sagte Werner Näf in » Episode 06-03 des LKF-Podcasts «Aufwärts stolpern» – eine sehr provozierende Antwort auf die Frage, wie die Zusammenarbeit von Kirchgemeinden gestaltet werden soll. Gelingende Zusammenarbeit finde dort statt, wo die Beziehungen gut sind und man einfach einmal zusammenarbeite in Bereichen, in denen es passt. «Lasst die Strukturen, wie sie sind», sagt der Pfarrer und Internet-Unternehmer, der durch seine geschäftliche Tätigkeit Einblick in die Funktionsweise von Kirchgemeinden der ganzen Schweiz hatte – speziell von fusionierten Kirchgemeinden. Wenn sich die Zusammenarbeit einmal bewährt hat, sei die Anpassung der Strukturen gewöhnlich ganz einfach. Ein weiterer Tipp von Werner Näf: andere Kirchenstände/Kirchenpflege zum Pizzaessen ohne Traktanden einladen statt mit einem Organisationsentwickler lange Sitzungen zu machen.
In » Episode 06-02 sprach Franziska Huber von den Ressourcen-Verteilkämpfen, die den Kirchgemeinden bevorstehen und die es unter Umständen schwieriger macht, zusammenzuarbeiten. Eine wichtige Problemanzeige.
Freiheit hilft
» Jugendarbeiter Enrico Pezzoni beschrieb in Episode 06-06, wie das gemeinsame Gross-Feriencamp Refresh zu vielen fruchtbaren Diskussionen unter Pfarrerinnen und Jugendarbeitern führten. Angestellte von vielen, auch sehr unterschiedlich geprägten Kirchgemeinden arbeiteten im Zusammenhang mit dem Camp zusammen und lernten sich schätzen.
Gerade die Erfahrungen des Refresh-Camp der St.-Galler Kirche bringen Podcast-Co-Host Lukas Huber dazu, ein Plädoyer für die Freiheit zu halten: Wenn Kirchgemeinden fusioniert sind, müssen die Angestellten und alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeit auf Gedeih und Verderb miteinander klar kommen – oder können es auch nicht zusammen. Wenn Strukturen von unten her gestaltet werden, gibt es meist noch andere Möglichkeiten, sich anders zu orientieren, wenn die Zusammenarbeit nicht klappt.
Regiolokale Kirchenentwicklung
» Michael Herbst und Hans-Hermann Pompe haben in ihrem Heft «Regiolokale Kirchenentwicklung betont, dass Kirchgemeinden sich regional profilieren sollten – und dass gleichzeitig das lokale geistliche Leben stehen und gestärkt werden soll. Auch sie kommen zum Schluss dass die Beziehungen entscheidend sind, ob diese Ausrichtung gelingt.
Co-Host Anna Näf erzählt von den regelmässigen Treffen von sieben Winterthurer Kirchgemeinden unter dem Stichwort «Beer and Brainstorm», bei denen Pfarrer und Jugendarbeiterinnen ohne Traktandenlisten und Protokoll zusammen essen und austauschen.
Kultur der Grosszügigkeit
Den Weg zu guter Zusammenarbeit sieht Lukas Huber darin, dass Kirchgemeinden eine Kultur der Grosszügigkeit pflegen – zum Beispiel in finanzieller Hinsicht. Unter Umständen ist eine grosszügige Haltung langfristig günstiger als eine Konfliktberatung.
Daneben habe die Frage, wie Strukturen und Beziehungen gestaltet werden, auch eine geistliche Seite, behauptet Lukas Huber weiter. Er beobachte, dass es für den Gemeindebau viel Vertrauen in das Unverfügbare brauche. Er argwöhnt, dass manche Menschen stattdessen lieber an den Strukturen arbeiten, weil man das kann man auch ohne Vertrauen auf Gott tun kann. Gelingende Zusammenarbeit über die Grenzen hinaus braucht aber viel Vertrauen.
Die Episode schliesst mit dem Postulat, dass auch eine Kantonalkirche ihren Beitrag an eine gelingende Zusammenarbeit von Kirchgemeinden leisten kann: indem sie Orte schafft, in denen sich Menschen ungezwungen treffen und einander vertrauen lernen.
Montag, 11. März 2024: Staffel 7, Episode 2: » «Ist das Kommt-zu-uns-Konzept am Ende?»
Immer wieder haben Interviewgäste in Staffel 6 darüber gesprochen, dass es in Kirchgemeinden eine Spannung zwischen innen und aussen gibt, zwischen Einladung und Selber Hinausgehen. Pfarrer Bernhard Jungen hat in » Episode 06-01 eindrücklich erzählt, wie seine Kirchgemeinde attraktive Gottesdienst-Angebote startete, dass er dann aber mit Unbehagen feststellte, dass die Kirche Menschen in die Kirche bringt, sie dann aber nicht mehr hinauslasse. Das sei aber gar nicht gut, sagte Jungen, seither geht er mit seiner Unfassbar zu den Menschen.
In » Episode 06-02 sprach Franziska Huber ebenfalls davon, dass es wichtig sei, hinauszugehen – nicht mit einem missionarischen Anliegen, sondern im Vertrauen darauf, dass Gott schon in den Menschen am Wirken ist.
Schliesslich stellte » Uwe Habenicht in Episode 06-09 fest, dass die Spiritualität nicht automatisch verschwindet, wenn jemand aus der Kirche austritt – dass aber das Kirchengebäude bei solchen Menschen kein Anknüpfungspunkt mehr sein könne. Darum lade er zum Beispiel ein, am Lagerfeuer zu philosophieren.
Weniger Geld für Kirchengebäude
In amerikanischen Kirchen spiegle sich dieser Kulturwandel in den Ausgaben, die für den Kirchenbau getätigt werden, sagt Aufwärts-stolpern-Co-Host Lukas Huber. Zwischen 2002 und 2022 seien die Ausgaben für Kirchenbauten von 8,7 Milliarden auf 2,7 Milliarden gesunken, wobei die Gottesdienst-Räumlichkeiten massiv schrumpften zugunsten von «non-traditional space» (» Quelle: der Podcast «Revitalize and Replant»). Es könne sehr wohl ein Teil des Nach-aussen-Gehen-Konzepts sein, kirchliche Gebäude für andere Anbieter und Anliegen zu öffnen; seine Kirchgemeinde zum Beispiel habe das Dachgeschoss des Mesmerhuus gegenüber der Kirche Löhningen ausgebaut; dort findet jetzt der offene Jugendtreff Check-in statt – betrieben von der Kirchgemeinde.
Co-Host Anna Näf war vor Jahren angestellt für den Check-in Löhningen. Sie schildert, wie zu Beginn nicht viele Kinder in den offenen Jugendtreff kamen – bis das Team das Mesmerhuus verliess und auf den Spielplatz bei der Schule gingen. Von da an seien die Besucherzahlen regelrecht explodiert. Nachdem die Beziehungen da waren, kamen die Kinder auch ins Mesmerhuus.
Nur körperlich hinausgehen reicht nicht
Allerdings reicht es noch nicht, die Kirchengebäude physisch zu verlassen. Das tun die Zeugen Jehovas auch, sagt Anna Näf. Es brauche auch einen mentalen Wandel: weniger die Bibel exegetisch sauber auslegen, sondern mehr das Leben biblisch auslegen.
Lukas Huber schildert die Erfahrungen seiner Kirchgemeinde mit einer Kontextanalyse, die am laufen ist. Sie hätten gemerkt, dass Beziehungen ein Thema sind im Dorf. Die Frage ist jetzt: Gibt es da die Möglichkeit, mit einem anderen Engagierten im Dorf zusammenzuarbeiten, um Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen?
Also, fragt sich Anna Näf etwas skeptisch: Sollte man die Leute eher ins Dorf hinausschicken statt sie für kirchliche Anlässe anzufragen? Das ist für eine kirchliche Jugendarbeiterin nicht so einfach, das sie darauf angewiesen ist, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihre Angebote zu finden. Lukas Huber gibt auch zu bedenken, dass es möglicherweise einen Unterschied gebe zwischen 14- und 40-Jährigen: Junge Menschen wachsen im Glauben, wenn sie in einer verbindlichen Gemeinschaft mit anderen leben – also viel Zeit «drinnen» verbringen. Vielleicht sollten sie erst später «hinausgeschickt» werden?
Was, wenn man kein Vereinsmeier ist
Die Ausrichtung nach aussen muss sich am Ende im konkreten Leben ausdrücken, sind sich beide Hosts einig. Er sei kein Vereinsmeier, bekennt Lukas Huber, er gehe darum nicht in den Turnverein, auch wenn das eine gute Möglichkeit wäre, mit anderen unterwegs zu sein; er gehe dafür oft einfach im Dorf spazieren und lasse praktisch kein Adventsfenster in seinen Dörfern aus.
Anna Näf schliesst die Episode mit der Erkenntnis ab, dass es wohl einen bewussten Wandel in der Kirchgemeinde brauche. Dazu sei aber eine gute Verwurzelung im eigenen, persönlichen Glauben nötig.
Montag, 19. Februar 2024: Staffel 7, Episode 1: » «Was ist Kirche?»
Keine einfache Frage, aber eine, die sich immer wieder zu stellen lohnt
Im Rückblick auf Staffel 6 des Podcasts «Aufwärts stolpern» fragen sich die Hosts Anna Näf und Lukas Huber: «Was ist Kirche?» Diese Frage ist nicht nur für Insider wichtig; ihr sei diese Frage auch von Nicht-Kirchenmenschen gestellt worden, sagt Anna. Die Frage zu beantworten ist aber gar nicht so einfach …
Gleich mehrfach kam in Staffel 6 des LKF-Podcasts «Aufwärts stolpern» die Frage auf, was denn Kirche sei. Zum Beispiel in » Episode 06-01 mit Bernhard Jungen. Kirche habe die Tendenz, Menschen hineinzuziehen und ihnen wenig Zeit zu lassen, Kontakte ausserhalb zu pflegen, sagte der ehemalige Gemeindepfarrer und heutige Projektleiter der Unfassbar. Dabei werde nicht selten Gott auch beim Biertrinken an der Unfassbar thematisiert – und spürbar.
In » Episode 06-02 mit Franziska Huber kam die Frage aus Sicht der Berner Kantonalkirche auf: Wie kirchlich muss denn ein Projekt sein, damit es von der Kantonalkirche unterstützt wird? Franziska Huber stellt eine Gegenfrage: Ist ein Seniorennachmittag ohne religiöses Programm kirchlich? Sie kommt zum Schluss: Ob ein Projekt kirchlich ist, können nur die Projektverantwortlichen definieren.
» Monika Wilhelm in Episode 06-04 hat im Projekt Orbit in der Zusammenarbeit mit anderen erlebt, wie Menschen in Diskussionen über biblische Themen plötzlich sagen, dass sie das, was die Theologin Monika Wilhelm sagt, genau auch denken und wollen.
Schliesslich stellte » Uwe Habenicht in Episode 06-09 in seinem Buch «Freestyle Religion» fest, dass die Spiritualität nicht automatisch verschwindet, wenn jemand aus der Kirche austritt. Was ist also Kirche?
«Selbstsäkularisierung der Kirche»
Anna Näf stellt in der aktuellen Episode fest, dass es gut ist, wenn man sich die Frage überhaupt stellt, was Kirche sei – auch in der alltäglichen kirchlichen Arbeit. Lukas Huber stellt die Frage in den Zusammenhang dessen, was er Selbstsäkularisierung der Kirche nennt: dass gar nicht mehr darüber gesprochen wird, was denn das geistliche Konzept eines kirchlichen Bereichs sei.
Im offenen Jugendtreff seiner Kirchgemeinde zum Beispiel gebe es keine religiösen Inputs und es wird nicht gebetet, insofern könnte man die Frage stellen, ob der » «Check-in» überhaupt Kirche sei. Der Jugendtreff sei aber eingebunden in ein geistliches Konzept der Jugendarbeit, das mache das Kirchliche aus; die Leiterinnen und Leiter etwa kommen aus der Jugendarbeit und haben genügend geistliches Handwerkszeug und Erfahrung, um kompetent über geistliche Themen zu reden, wenn sie denn einmal aufkommen.
Statt Gesinnungsprüfung Fragen stellen
Umgekehrt, sagt Lukas Huber, ist es wirklich schwierig, von aussen zu beurteilen, was Kirche ist. Die » Mitteldeutsche Kirche hat von insgesamt sieben drei klar geistliche Merkmale für einen Erprobungsraum definiert. Trotzdem sagt Lukas mit Franziska Huber: Eine Gesinnungsprüfung sei in der schweizerischen, bekenntnisfreien Kirche nicht denk- und wünschbar.
Seine Kantonalkirche hat in dieser Frage folgende Lösung gefunden: Wer einen Antrag an den » Entwicklungsfonds stellt, muss mit Hinweis auf die geistliche Definition der Kirche in der Verfassung im Antrag die Frage beantworten: «Inwiefern hilft dieses Projekt, dem Auftrag der Evang.-ref. Kirche des Kantons Schaffhausen näherzukommen?» So könnten Antragsteller ihr geistliches Profil schärfen.
STAFFEL 6
Montag, 29. Januar 2024: Staffel 6, Episode 9: » «Uwe Habenicht, wie bleiben wir fröhlich bei der Arbeit?»»
Uwe Habenicht ist Pfarrer in der Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West und Autor von «Freestyle Religion».
Die Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West hat immer wieder für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Uwe Habenicht begründet das so: Wir leben ein einer Aufmerksamkeitsgesellschaft. Die Kirche kann nicht einfach ihre Arbeit machen, sondern muss auffallen, um wahrgenommen zu werden, sie muss Klischees durchbrechen. Im Fall seiner Kirchgemeinde kommt die Lust dazu, Neues auszuprobieren und zu schauen, was geschieht, wenn man etwas Ungewohntes macht.
Uwe Habenichts hat festgestellt, dass man nicht die Tradition hochhalten und dann plötzlich etwas ganz Neues machen kann, sondern dass die Lust spürbar sein muss, auch im Kleinen zu experimentieren. «Jeder Gottesdienst braucht mindestens eine Ecke, wo es etwas Überraschendes gibt.» Daneben braucht es auch grosse Aktionen, in denen das ganze Team einen Effort leistet, um aufzufallen.
Dem Arbeiten im Team in solchen Angelegenheiten kann Uwe viel abgewinnen. Es helfe, wenn man mit anderen Dingen planen könne und verschiedene Sichten auf ein Problem höre. Auch seine Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West bestehe aus einem zusammengewürfelten Team, das aber gemeinsam überlegt, in welche Richtung sie sich entwickeln wollen.
«Wie habt ihr in der Kirchgemeinde ein Klima geschafft, in dem Innovation möglich ist?», will Lukas wissen. Humor helfe, sagt Uwe. Es gelte in der Kirchgemeinde, was auch für die Küche zutreffe: «Es macht nur Freude, wenn auch einmal etwas in die Hose gehen kann.» Wenn einmal in einem Gottesdienst ein Element vorkommt, das nicht funktioniert, sei das doch nicht tragisch, man ändere es einfach wieder ab.
So sei das 2017 gewesen, als er gerade frisch in die Kirchgemeinde kam. Im Reformationstheater mit vielen Stationen und sehr vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe es ganz viele Beteiligungsmöglichkeiten gegeben. In den letzten Jahren haben sie predigtfreie Gottesdienste ausprobiert. Jahre später zersägten sie eine Kanzel, machten einen Abendmahlstisch daraus und feierten Gottesdienst um diesen Tisch herum.
Wichtig ist, dass man auch Fehler machen darf. «Ich mache sehr viele Fehler», bekennt Uwe Habenicht. Als Beispiel nennt er den grossen Banner für die Konzernverantwortungsinitiative, die sie am Kirchturm aufhängten. «Das war keine gute dialogische Form», sagt er.
Wenn Fehler geschehen, müsse man «schütteln»: zum Fehler stehen, das Geschehene analysieren und dann abschütteln. Wenn die Beziehung gut sei, sei eine Kirchgemeinde ziemlich fehlertolerant.
Anna fragt, was es braucht, dass wir fröhlich bleiben bei der Arbeit. Der kollegiale Austausch sei zentral. Wenn es gelinge, eine Kultur zu schaffen, in der man über seine Niederlagen reden kann, könne daraus Unglaubliches entstehen. Also: zuerst von sich erzählen, dann die Traktandenliste angehen.
Angesprochen auf sein Buch «Freestyle Religion», plädiert Uwe Habenicht zuerst für eine neue Form, mit Kirchenaustritten umzugehen: sie rituell zu bewältigen, statt die Austritte einfach herunterzulesen und betreten dreinzuschauen. Dann erklärt er die Grundthese seines Buchs: Es gebe neben dem kirchgemeindlichen Christentum auch den privaten Glauben und die öffentliche religiöse Diskussion. Es sei Aufgabe der Kirche, ein Gleichgewicht zu finden und allen drei Bereichen gerecht zu werden. Eine eigene Frömmigkeitskultur zu entwickeln sei auch eine wichtige Aufgabe für Pfarrerinnen und Pfarrer.
Montag, 8. Januar 2024: Staffel 6, Episode 8: » «Diana Abzieher, was braucht es, damit sich junge Menschen in der Kirche engagieren?»
» Diana Abzieher ist verantwortlich für den Leiterförderungskurs » «Zusammen auf Kurs» der Zürcher Landeskirche.
Sie hat, könnte man sagen, eine klassische kirchliche Karriere durchlaufen: Sie ist in Bayern mit der Kirche aufgewachsen; als sie zu alt wurde für den Kindergottesdienst, wurde sie angefragt, ob sie mitleiten will. Sie entwickelte sich weiter und wurde schliesslich Hauptamtliche.
Die Leiterschulung, die sie selber erlebte, war für sie ein tolles Erlebnis. «Ich habe mich weiterentwickelt und selber viel gelernt», sagt sie über ihre Zeit. Aus Dankbarkeit für die guten und bleibenden Beziehungen, die sie während der Zeit ihrer eigenen Leitungsförderung, hat sie sich dann weiter für die Kirche engagiert.
Wichtig während der Leiterschulung, die Diana Abzieher in Bayern anbot, war die Gemeinschaft unter den Teilnehmenden und dass sie Raum bekamen, selber Erfahrungen zu machen.
Die drei Ausbildungsgänge von «Zusammen auf Kurs» entstanden aus dem Vorgängerprojekt «Pace». Die Zak-Kurse berücksichtigen neuere kirchliche Entwicklungen wie die Regionalisierung. Zak legt grossen Weg auf die Beziehungen – auf Beziehungen, die über die Jugendarbeit hinaus gehen und in die Kirchgemeinde hinein führen wollen.
Bei der Entwicklung des Zürcher Leitermaterials «Zusammen auf Kurs» habe sie eigene Erfahrungen einfliessen lassen und auch die Unterlagen von anderen Kantonalkirche berücksichtigt.
Von Lukas gefragt, ob sie die Kirchgemeinden stark motivieren mussten, einen Zak-Kurs anzubieten, sagt Diana, das komme sehr auf die Grösse der Kirchgemeinde an. Grössere Kirchgemeinden hätten mehr Jugendliche und oft grössere personelle Ressourcen. Kleinere Kirchgemeinden sollten sich bei Bedarf zusammenschliessen, um einen Kurs anbieten zu können. Wichtig sei, dass aus jeder Kirchgemeinde eine Kontaktperson komme, mit der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Beziehung aufbauen können.
Anna fragt Diana, ob eine Kirchgemeinde zuerst ein Programm für Teenager brauche, um eine Leiterschulung anzubieten, oder ob es auch einen Sinn ergebe, direkt mit der Leiterförderung zu beginnen. «Sowohl als auch», sagt Diana. Wenn es eine Handvoll Jugendlicher gibt in einer Kirchgemeinde, die etwas machen wollen, könne man eine Jugendkommission gründen und mit den Jugendlichen zusammen andenken, wie eine kirchliche Jugendarbeit aussehen könnte. Schliesslich könnten Jugendliche am besten Gleichaltrige ansprechen und motivieren, an einem Angebot teilzunehmen.
Es gebe Kirchgemeinden, bei denen Zak-Leiterförderung ein Selbstläufer geworden seien, berichtet Diana. Wenn das gelinge, könne die Situation eintreten, dass sich jüngere Teenager aus eigenem Antrieb melden und auch Leiterinnen und Leiter werden wollen. «Dann hast du gewonnen», fasst Lukas zusammen.
Auf die Motivation der interessierten Kirchgemeinden angesprochen, sagt Diana: Die einen Kirchgemeinden wollten den Jugendlichen einfach etwas mitgeben an Fähigkeiten, andere wollten einfach ausprobieren, ob ein Team entsteht, wieder andere wollten gezielt Nachwuchs fördern für die Zukunft der Kirchgemeinde.
«Gibt es falsche Gründe, Jugendarbeit zu machen?», will Anna wissen. «Nein, überhaupt nicht.», sagt Diana entschieden. Wer Jugendlichen die Möglichkeit gibt, sich zu entwickeln, macht alles richtig.
Sollte denn eine Kirchgemeinde in die Jugendarbeit und in die Leiterförderung investieren, fragt Lukas nach: «Ja, auf jeden Fall!» Gerade in der heutigen Zeit, die für Jugendliche sehr herausfordernd sei, sei es wichtig, dass die Kirchgemeinde Sorge trägt zu ihren jugendlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Eine strukturierte Leiterschulung gewährleiste pädagogisches und methodisches Grundlagenwissen.
«Hat der Zak-Kurs zum Ziel, die Jugendarbeiter zu ersetzen?», fragt Anna. Der Zak-Kurs sei speziell in Kirchgemeinden ohne Jugendarbeiterin oder Jugendarbeit eine gute Chance, eine eigene Jugendarbeit aufzubauen. In den anderen Kirchgemeinden führe die Leiterschulung zu einem Rollenwechsel: Der Jugendarbeiter kann entlastet werden und erhält Freiraum, um andere Aufgaben zu übernehmen, zum Beispiel im Bereich Coaching.
Was braucht eine Kirchgemeinde, damit Leiterförderung gelingt? Zusammenarbeit auf allen Stufen, sagt Diana Abzieher, und eine gemeinsame Stossrichtung in der Kirchgemeinde, damit Jugendliche sehen, wie Teamarbeit funktionieren kann. Fehlertoleranz sei ebenfalls wichtig, damit sich Jugendliche weiterentwickeln können. Schliesslich müssten sie auch in die Diskussionsprozesse in der Entwicklung der Kirchgemeinde einbezogen werden. Darum ist auch die offizielle Anerkennung und Einsetzung der neuen Leiter im Sonntagsgottesdienst wichtig: Damit die Jugendleiter in der Kirchgemeinde sichtbar werden.
Natürlich sollten die Jugendliche ihre eigenen Räume haben, wo sie miteinander unterwegs sein können, gleichzeitig sollten sie Teil der Kirchgemeinde sein.
Auf die Erfahrung von » Daniel Frischknecht in Episode 06-07 angesprochen, dass heute die Leute nicht mehr zuerst in einen Kurs gehen wollen, sagt Diana Abzieher, das sei tatsächlich in manchen Kirchgemeinden Praxis. Sie selber plädiert dafür, Teenager zuerst eine Kurs machen zu lassen, damit sie eine gute Wissensbasis für ihre Tätigkeit haben. Sie sieht die Gefahr, dass Jugendliche negative Erfahrungen machen und die Leitung dann aufgeben. Nach dem Kursbesuch ist dann aber die weitere Begleitung schon wichtig.
Montag, 18. Dezember 2023: Staffel 6, Episode 7: » «Daniel Frischknecht, was macht ein Mitarbeiterentwickler?»
Daniel Frischknecht ist ausgebildeter Coach und engagiert sich seit 30 Jahren für die Kirchgemeinde Bischofszell-Hauptwil, die letzten 10 Jahre als angestellter Mitarbeiterentwickler, zurzeit mit einem Pensum von 50 Prozent.
Dass Daniel vom Jugendarbeiter zum Mitarbeiterentwickler wurde, hatte mit ihm selber zu tun: «Ich hatte immer mehr Freude, wenn ich andere erfolgreich machen kann als wenn ich selber erfolgreich bin.» Darum übernahm er zwar die Jugendarbeit in einer Vakanzzeit, fand aber keine Erfüllung darin, Angebote zu leiten. Darum entwickelter er sich weiter als Coach und Seelsorger. Parallel dazu wuchs die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 150 auf 300 Personen, darum schuf die Kirchenvorsteherschaft die Stelle als Mitarbeiterentwickler.
Seine Aufgabe ist es seither, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammenzubringen, sie zu einem Team werden zu lassen und zu schulen. Dann übergibt er die Teams den vollzeitlich Angestellten, die mit ihnen weiterarbeiten. Gleichzeitig unterstützt er auch Leute aus der Kirchgemeinde, wenn sie Ideen haben.
In dieser Sandwich-Position zwischen Behörde, Angestellten und Menschen, die sich engagieren wollen, hat er eine wichtige Funktion als Vermittler zwischen Ideen, Vorstellungen und theologischen Überzeugungen.
Er bringt in der grossen und komplexen Kirchgemeinde auch Teams ins Gespräch miteinander und berät Einzelpersonen in Krisensituationen.
Wie denn das konkret aussieht, will Lukas wissen, zum Beispiel in der Jungschar. Die Jungschar arbeite sehr selbständig, aber er habe es mit der Hauptleitung dann zu tun, wenn es darum geht, neue Leiter einzuführen und zu schulen. Als ausgebildeter Koch gehe er auch mit in Ferienlager, um mit Jungen zusammen zu kochen und sie gleichzeitig zu schulen. Ein weiteres Beispiel: Ein Pfarrer habe zwei Taufgespräche mit religiös sehr unterschiedlichen Familien gehabt, bei denen beide Mütter fanden, es sollte doch ein Angebot für ganz kleine Kinder geben. Daniel brachte die beiden Mütter zusammen und entwickelte mit ihnen in zwei Monaten das neue Angebot «Müslitreff», zu dem unterdessen 15 Personen kommen. Er musste auch kurzfristig ein Budget für das neue Angebot auftreiben.
Lukas fragt, wie man denn überhaupt auf ihn kommt, wenn es um neue Ideen geht. Er sei halt schon seit 30 Jahren in der Kirchgemeinde aktiv, kenne über seine Tätigkeit imTennisclub und anderswo auch sonst viele Menschen. Das wäre anders, wenn man einfach jemanden anstellen würde für diese Aufgabe.
«Werden 18- und 70-Jährige gleich begleitet?», will Anna wissen. Bei den Jüngsten – im Ferienlager-Kochteam kommen 10-Jährige mit – gehe es um Spass und um die Vermittlung des persönlichen Glaubens, sagt Daniel Frischknecht, bei Alten gehe es oft mehr darum, herauszufinden, was sie brauchen, um ihre Arbeit machen zu können. Ihre Erfahrungen für die Kirchgemeinde fruchtbar zu machen, zum Beispiel in der Seniorenarbeit, das sei ebenfalls wichtig.
Wenn Daniel Frischknecht Menschen berät, habe er eine innere Liste von Werkzeugen im Kopf, die er bei Bedarf gebrauche. Er führe auch eine lange Liste vom Lücken, die er füllen sollte. Er strapaziere oft seine Telefonliste von 2000 Personen, die er auf seinem Mobiltelefon habe. «Oft muss man 50 Telefonanrufe machen, bis man eine Zusage erhält, da gibt es nichts zu beschönigen. Allerdings sind auch die anderen 49 Anrufe nicht für die Katz, weil es gute Gespräche sind und man Rückmeldungen erhält.»
Funktioniert das überhaupt, wenn er Leute sucht für Angebote, an denen er dann gar nicht mitarbeitet. Wenn man gut vernetzt ist, geht das, sagt Daniel Frischknecht. Auch Schulungen versuche er, so oft es geht, nicht selber zu leiten, sondern die Schulung mit einer Teamleitung zu planen und alles bereitzustellen, die konkrete Durchführung dann aber den Gruppen zu überlassen.
Ab welcher Grösse es denn einen Mitarbeiterentwickler braucht, fragt Lukas «Jede Kirchgemeinde braucht eine Person, die zu 100 Prozent Ansprechsperson ist für die freiwillig Mitarbeitenden.» Es brauche je nach Grösse der Kirchgemeinde dafür nicht einen Angestellten, aber jemanden, der die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertschätzt und verdankt. Das solle besser nicht eine Pfarrerin oder ein Diakon sein, weil diese eine klar umrissene Funktion hätten. Es könne auch eine freiwillige Person sei, die diese sensible Aufgabe übernimmt.
Ob denn nicht einfach die Hauptleiterin eines Teams diese Funktion übernehmen könne, fragt Anna. Das komme auf das Konzept der Kirchgemeinde an. Eine neutrale Person habe ein objektiveres Bild der Situation. Wenn eine Mitarbeiterin nur mit dem für ihr Team zuständigen Pfarrer zu tun habe, sei das nicht gut für die Gesamtkirchgemeinde. Menschen sollten ihre Begabungen nicht einer Person zur Verfügung stellen, sondern der Kirchgemeinde. In ihrer Kirchgemeinde gebe es ein Gesamtkonzept für die Betreuung der Mitarbeitenden, so werden alle einbezogen in das Ganze der Kirchgemeinde.
Einen dedizierten Mitarbeiterentwickler zu haben, sei auch aus einem weiteren Grund sinnvoll: Er könne auch mit Menschen reden und sie fragen, ob es nach fünf Konflager vielleicht einmal Zeit sei, eine andere Aufgabe zu übernehmen – Entwicklung eben.
Mit dem Konzept der Gartengespräche (s. Episode mit Thomas Bucher) kann Daniel Frischknecht sehr viel anfangen, weil mit diesen Gesprächen Menschen entwickelt werden – gleichzeitig gebe es Angebote, für die man einfach Menschen suchen müsse.
Was hat sich verändert in den letzten 30 Jahren in Sachen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Vor zehn Jahren sei es klar gewesen, sagt Daniel Frischknecht, dass er Kurse anbiete: Kochkurse, Lektoren-Schulungen und so weiter. Dann fingen die Leute an, sich selber Wissen auf YouTube und anderen digitalen Kanälen anzueignen. Aber sie hätten deswegen noch nicht die Kultur der Kirchgemeinde gekannt. Seither brauche es mehr Begleitung und Schulung «on the job». Nicht zuerst ein Kurs und dann Mitarbeit, sondern zuerst Mitarbeit und dann individuelle Förderung.
Zudem sei sei Corona gut zu sehen, dass Menschen nichts mehr machen, das ihnen keinen Spass macht, auch wenn sie es schon zehn Jahre lang gemacht haben. Und alles sei viel kurzfristiger geworden.
Seine Stelle als Mitarbeiterentwickler ist ausschliesslich durch Spendengelder finanziert. Er wird gleich bezahlt wie ein Sozialdiakon.
Hinweis auf die » Episode über das Buch «No Silver Bullets von Daniel Im
Hinweis auf die » Episode mit Thomas Bucher, bei der Gartengespräche ein Thema war.
Montag, 27. November 2023: Staffel 6, Episode 6: » «Enrico Pezzoni, sind Camps nötig für Kirchgemeinden mit Ambitionen?»
Das erste » «Refresh»-Camp fand 2018 statt. Der Sozialdiakon » Enrico Pezzoni aus Altstätten (SG) arbeitete von Beginn an im Organisationskomitee des kantonalen Gross-Camps der St. Galler Kirche. Am ersten Refresh-Camp nahmen 300 Personen aus rund 20 Kirchgemeinden teil.
Eingeladen in das Refresh-Camp sind – je nach Kirchgemeinde – Konfirmandinnen und Konfirmanden oder einfach Teenager und junge Erwachsene, die dabei sein wollen. Im Camp geschieht das Wichtigste der Jugendarbeit, sagt Enrico Pezzoni: Es werden Beziehungen geknüpft, nicht zuletzt, weil alle im «Ferien-Modus» sind: Teilnehmende und Leitende.
Im Camp gibt es viel Freizeit und jeden Morgen ein geistliches Programm mit Musik und Inputs über Gott sowie Kleingruppen.
Das grosse «Refresh»-Camp hatte von Anfang zu Ziel, dass auch kleine Kirchgemeinden ein attraktives Ferienlager anbieten kann. «Das Refresh ist also eine Art Entwicklungshilfe?», fragt Anna. Ja, sagt Enrico Pezzoni. Ihm selber sind die «kleinen» Camps der drei Kirchgemeinden, in denen er arbeitet, fast wichtiger als das grosse Refresh-Camp, wo man gar nicht alle kennenlernen kann. Wobei: «Kleine« Camps umfassen 60 bis 80 Teilnehmende.
Das Gross-Camp umgekehrt hat eine zusätzliche Ebene, hat Enrico Pezzoni beobachtet: Weil die Hauptverantwortlichen vieler Kirchgemeinden beteiligt sind, treffen sich bei der Vorbereitung viele Pfarrerinnen und Sozialdiakone. Das hat dazu geführt, dass das gegenseitige Verständnis gewachsen ist: zum Beispiel für die verschiedenen Frömmigkeitsstile und die Art, wie man Jugendarbeit betreibt. «Es ist viel Einheit gewachsen.» Das Ziel sei von Anfang gewesen, die Vielfalt schätzen zu lernen. «Diese Vielfalt ist ein grosser Reichtum», sagt Enrico Pezzoni.
Von Lukas gefragt, was wirklich wichtig, damit das Camp Wirkung zeigt, sagt Enrico Pezzoni: «das Gebet». Er gehe jeweils ans Frühgebet der Kirchgemeinde, er versorge betende Senioren mit den Informationen, damit sie beten. Auch die Leiterinnen und Leiter motiviere er, Gott zu suchen als Vorbereitung auf ein Camp. Dabei gebe es verschiedene «Muttersprachen» in der Zwiesprache mit Gott: Bibel lesen, Worship-Musik hören, in die Natur gehen.
Mit dem Refresh-Camp werden auch junge Menschen geschult: Während des Camps gibt es immer eine dreiviertelstündige Leiterschulung.
Direkt an das Refresh-Camp wird ein «Youth Alpha»-Jugendglaubenskurs angeboten. Bei den Leuten, die Enrico Pezzoni für die Mitarbeit anfragt, ist die Teilnahme am anschliessendden Youth Alpha Voraussetzung. Zwischen 50 und 80 Teilnehmerinnen hätten sie jeweils im «Youth Alpha» zählen können, sagt Enrico Pezzoni.
Auch wenn Enrico Pezzoni in dieser Episode sehr für die Camp-Arbeit wirbt, findet er es für noch viel wichtiger, dass die Verantwortlichen in den Kirchgemeinden Gott im Gebet suchen mit der Frage, was genau bei ihnen das Beste ist.
Montag, 6. November 2023: Staffel 6, Episode 5: » «Erwin Weibel, wie merke ich, dass etwas ändern muss?»
Erwin Weibel ist Pastor der Täufergemeinde Diessbach b. Büren und » Coach. Als Organisationsberater hat er es auch viel mit reformierten Kirchgemeinden zu tun.
An der Tagung des Landeskirchenforums vom 28. Oktober 2023 mit dem Titel «Erneuerung im Wandel: Gewohntes loslassen – Neues wagen» hielt Erwin Weibel ein Referat. Er beschreibt darin, wie sich ein Merkmal durch seine ganze langjährige Zeit als Pastor durchzieht: der konstante Wandel. Es gebe zwei Arten, über Wandel und Stabilität nachzudenken: Herrscht Stabilität, die von Episoden von Wandel unterbrochen werden, oder ist im Gegenteil das Normale der Wandel, der von kurzen Episoden von Stabilität unterbrochen wird.
Weibel plädiert dafür, sich dem «Camping-Gott» anzuschliessen: Bei ihm selbst gebe es zwar keinen Wandel, aber er «zelte» unter den Menschen, wie es im Johannes-Evangelium heisst. Formen und die Gestalt der Kirche sind an einem zeitlichen Kontext orientiert, mit dem Gott mitgeht. Das heisst: In der Kirche braucht es konstant Veränderung.
Um die Veränderung gut bewältigen zu können, braucht es eine klare Identität, eine Vision und eine Strategie. Um diese zu finden, lohnt es sich, andere Menschen einzubeziehen.
Anzeichen, dass Veränderungen anstehen, gibt es mehrere: ein Generationenkonflikt zum Beispiel, oder wenn die Verkörperung einer Idee und einer Vision abnimmt und zu Papier wird: Dann wird nämlich aus einer Funktion eine Position. Nun geht es nicht mehr darum, was genau die Aufgabe ist, sondern es wird bei einem personellen Wechsel jemand für die gleiche Position gesucht. «Wenn zu viel Geld vorhanden ist, überlegt man nicht, welcher Funktion die neue Person dienen soll, sondern man stellt ‹copy-paste› jemand mit der gleichen Position an, ohne zu überlegen, was eigentlich gebraucht wird für die Zukunft.»
Weibel zeichnet eine Gauss-Kurve an den Flipchart (wie in der » Episode über «The Unstuck Church»): Wandel soll man einleiten, *bevor* eine Kirchgemeinde/ein Projekt auf dem Scheitelpunkt ist; ist sie auf dem Höhepunkt, ist die ganze Organisation nämlich schon ziemlich starr und die Vision zu Papier geworden.
Wer als Führungsperson beim Einleiten einer Veränderung auf 80 Prozent Zustimmung stösst, hat seine Führungsaufgabe nicht wahrgenommen, sagt Weibel weiter.
Es braucht in einer Kirchgemeinde die Ergänzung: Neben den «Pionieren» gibt es auch «Siedler», und beide sind aufeinander angewiesen.
Das Schlusswort des Vortrags von Erwin Weibel lautet: Bleib. Häufige Wechsel ermüden eine Kirchgemeinde, darum ist es besser, zu bleiben und den Wandel zu verkörpern anstatt eine neue Stelle anzutreten.
Montag, 16. Oktober 2023: Staffel 6, Episode 4: » «Monika Wilhelm, kann man Innovation lernen?»
Sie sei eine begeisterte Spielerin, so beschreibt sich Monika Wilhelm von A+W. Beim Spielen gehe es um Gewinnen und Verlieren, es brauche eine gute Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen.
Bei » A+W ist sie für die Weiterbildung der Deutschschweizer Pfarrerinnen und Pfarrer angestellt mit dem Spezialthema Innovation. Was es denn für Fähigkeiten brauche, um kirchliche Projekte gut zu starten, fragt Anna sie. Teamfähigkeit sagt Monika Wilhelm als erstes, dann aber sei auch wichtig, dass man neugierig und flexibel sei und noch ein paar weitere Dinge.
Das sei jetzt aber ziemlich viel, sagt Lukas, was man können sollte. Ob man denn etwas davon auch lernen könne? Man kann, nur, weil man etwas Innovatives vorhat, nicht eine andere Person werden, aber man kann an der eigenen Haltung arbeiten und sehr wohl von anderen lernen.
Sie selber habe als junge Frau viel von der Jungschar profitiert, im Theologiestudium dann das theoretische Wissen mitbekommen und im Zusammenhang mit der Dissertation gelernt, dieses Wissen als Diskussionsbeitrag zu präsentieren, mit dem andere dann weiterarbeiten.
Anna will wissen, was für Themen immer wieder kommen, wenn sie es mit innovativen Projekten zu tun hat. Die Frage der Strukturen sei wichtig: Wie hängen Projekte, die gekommen sind, um zu bleiben, mit den Kirchgemeinden zusammen, die ja die Basis der Landeskirchen sind. Da bestehe Klärungsbedarf. Dann hat Monika Wilhelm beobachtet, dass man bei Projekten immer frage, was denn daran kirchlich sei, während man das bei Senioren-Mittagstischen nicht tue.
Der Kirchgemeinde mit Ambitionen rät Monika Wilhelm, möglichst viele Menschen den Satz «Wir sind Kirche» nahezubringen. Das heisst: Sie zu ermutigen, sich einzubringen und mitzuarbeiten.
Montag, 18. September 2023: Staffel 6, Episode 3: » «Werner Näf, wie hängt das Digitale mit dem Analogen zusammen?»
Werner Näf ist Annas Vater und ein Freund von Lukas. Werner Näf ist Geschäftsführer von » https://kirchenweb.ch, einer Firma, die für Kirchgemeinden den Internet-Auftritt gestaltet und das digitale Zusammenarbeiten ermöglicht. Gelernt hat er: Eine digitale Präsenz kann fehlende analoge Relevanz nicht überdecken: Das Digitale muss auf den analogen Beziehungen berufen, so sagt es die Kirchenweb-Kommunikationspyramide. Dann aber kann kluges digitales Handwerkszeug die Zusammenarbeit sehr erleichtern.
Dafür hat Werner Näf Gemeindebau-Theologie in seine Software gegossen: Im Normalfall wird eine seiner Seiten nicht von einer Person zentral verwaltet, sondern viele Menschen können zum digitalen Leben beitragen: Sie können Räume buchen und Berichte schreiben. Dabei gilt im Digitalen, was auch im Analogen zählt: Die Abläufe müssen geklärt sein, dann können sie digitalisiert und vereinfacht werden.
Kirchgemeinden funktionieren ganz unterschiedlich. Was Werner Näf gelernt hat: Ein Kontrollgeist hilft nicht bei der Digitalisierung (und im Gemeindebau auch nicht). Fixe Strukturen geben keine Sicherheit, wenn die Beziehungen in einer Kirchgemeinde nicht funktionieren. Je weniger Strukturen vorgegeben sind, desto besser kann man zusammenarbeiten.
Werner Näf hat in der digitalen Beratung Kirchgemeinden erlebt, in denen eine Fusion noch nach Jahrzehnten nicht verarbeitet ist und andere, die wegen der Strukturen komplett blockiert sind. Er hat darum eine radikale Empfehlung: «Lasst die Strukturen einfach, wie sie sind.» Kirchgemeinden sollten lieber über die bestehenden Strukturen hinweg Beziehungen pflegen und Vertrauen wachsen lassen. Wenn man dann genügend lang und gut zusammengearbeitet hat, geht es dann ganz einfach, wenn man am Ende die Strukturen dem Leben anpasst.
Wie wächst Vertrauen?, fragt Anna. Werner Näf stellt diese Frage in den Bereich der persönlichen Heiligung: «Gönne ich dem anderen seinen Erfolg? Verschenke ich Vertrauen, ohne Angst zu haben?» Ohne Grosszügigkeit gehe es nicht. In seiner Kirchgemeinde setze der Kirchenstand auf Pizza statt Coaching: die benachbarten Kirchenstände zu einem Essen einladen wie unter Freunden baue Misstrauen ab und erleichtere die Zusammenarbeit wesentlich.
Auf die Beobachtung von Lukas, dass die Strukturdiskussionen manchmal ziemlich technokratisch geführt werden, sagt Werner Näf: «Dieser Ansatz stammt aus dem 19. Jahrhundert.» Auch in der Firmenführungsliteratur gebe es diesen stark mechanisch orientierten Ansatz. Heute denke man auch bei Firmen stärker organisch. «Aber in manchen Kirchgemeinden ist das mechanisch-hierarchische Weltbild noch stark verankert.» Manche Kirchgemeinden seien da nicht up-to-date, was das allgemein-gesellschaftliche Nachdenken über diese Fragen angehe.
Werner Näf ist seit Jahren Pfarrer der kleinen Kirchgemeinde Gächlingen (» https://ref-sh.ch/werner.naef). Was er denn als Gemeindepfarrer gelernt habe, fragt ihn Lukas. «Etwas vom Wichtigsten war: Ich muss mehr Chaos akzeptieren.» Michael Moynagh habe geschrieben, bei innovativen Projekten sei der richtige Ort an der Kante, wo man mit einem kleinen Schritt weiter im Chaos versinken würde.
Montag, 28. August 2023: Staffel 6, Episode 2: » «Franziska Huber, wie kommt Kirche in Bewegung?»
Franziska Huber ist Beauftragte für Theologie der Kantonalkirche Bern-Jura-Solothurn und leitet «Kirche in Bewegung». Ihr Herzensanliegen für Kircheneninnovation kommt aus ihrer persönlichen Geschichte: Sie ist komplett unkirchlich aufgewachsen und studierte wegen der thematischen Vielfalt Interreligiöse Studien und Theologie. Als sie gleich zu Beginn im Fach Dogmatik ein Spezialgebiet für die Prüfung angeben musste, dabei aber nicht einmal wusste, was das Wort «Dogmatik» bedeutet, machte sie eine Art Fremdheitserfahrung, die ihre weitere kirchliche Karriere prägte.
Seit sie bei der Kirche angestellt ist, setzt sie sich dafür ein, dass Menschen neben den klassischen Formen von Kirche auch andere Zugänge vorfinden. Dabei treibt sie kein missionarisches Anliegen an, sondern der Glaube, dass Menschen, die unabhängig von kirchlichen Bemühungen von Gott angesprochen werden, kirchliche Formen antreffen sollten, die ihnen entsprechen.
Ihre Kirche sei in den letzten Jahrzehnten stark von strukturellen Fragen geprägt gewesen. 2019 startete sie mit einem Team eine Tagung über Kirchenentwicklung. Von Thomas Schlegel übernahm sie die Idee der Erprobungsräume, doch dann kam Corona, und viele Kirchgemeinden wurden notgedrungen innovativ. Die Homepage » https://www.kircheinbewegung.ch widerspiegelte innovative Projekte von Kirchgemeinden und anderen kirchlichen Akteuren.
Bald wurde Franziska Huber aber etwas klar. Die Mitteldeutsche Kirche fördert zwar Innovation, nur: Was geschieht, wenn die Ressourcen abnehmen und es nicht mehr reicht für das Bestehende und das Neue? Daraus entwickelte sie drei Phasen der Förderung von innovativen Projekten:
Franziska Huber sieht vermehrt Ressourcenkämpfe auf die Kirche zukommen. Eine inhaltliche Definition, was Kirche sei, helfe in dieser Frage nicht. Am Ende könnten nur die Projektverantwortlichen selber definieren, ob sie Kirche sein wollten; schliesslich gehöre die Kirche nicht uns, sondern Christus.
Unter Kirchgemeinden gebe es grosse Unterschiede: Es gibt Kirchgemeinden, die höchst innovativ sind – 50 Prozente der Projekte, die die Kantonalkirche fördert, finden mit Kirchgemeinden statt, 30 Prozent stammen von Kirchgemeinden, 20 Prozent agieren völlig losgelöst von Kirchgemeinden.
Franziska Hubers Erfahrung mit «Kirche in Bewegung» zeigt: Innovation entsteht, wenn die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist – das kann man nicht erzwingen. Offenheit helfe, eine gemeinsame Vision ebenfalls. Schliesslich braucht es den Mut, Dinge loszulassen.
Montag, 7. August 2023: Staffel 6, Episode 1: » «Bernhard Jungen, du Unfassbarer …»
Ein Traum im Schlaf liess den langjährigen Pfarrer Bernhard Jungen seine Stelle in der reformierten Kirchgemeinde in Ittigen bei Bern kündigen, obwohl er dem Kirchgemeinderat zugesagt hatte, bis zur Pensionierung zu bleiben.
Der Traum war nicht nur eine übernatürliche Berufung in einen neuen Lebensabschnitt, der Wechsel hatte sich – mindestens im Rückblick – abgezeichnet. Er sei immer mehr in die Rolle eines «Senior Pastor» gekommen, der im Hintergrund die Fäden zieht. Doch sein Gabenprofil entspreche eher dem Pionier, der Dinge nicht nur entwirft, sondern auch umsetzt.
Wenn er in der Kirchgemeinde nicht viel Freiheit gehabt hätte, Neues anzureissen – wie die Come-in-Gottesdienste oder die Lebensgemeinschaft Casapella – wäre er schon viel früher als mit 57 Jahren gegangen, sagt Bernhard Jungen auf die Beobachtung von Anna, dass innovative Menschen sich oft ausserhalb der verfassten Kirchgemeinde einbringen.
Lukas möchte wissen: Was kann die Kirchgemeinde mit Ambitionen vom Projekt der Unfassbar lernen? Sie solle Menschen mit unkonventionellen Ideen freisetzen und nicht vereinnahmen. Überhaupt neigten Kirchgemeinden dazu, selbstverliebt Menschen an sich zu binden, sagt Bernhard Jungen, anstatt dass sie Zeit hätten, im Quartier Beziehungen zu pflegen.
Wie man die Angst vor dem Stolpern loswerde, fragt Anna. «Gar nicht», sagt Bernhard Jungen, man kann sie nur überwinden. Es habe ihn über ein Jahr gekostet, bis das Unfassbar-Konzept entworfen gewesen sei. Unvorhersehbares zu akzeptieren habe er lernen müssen, und das rate er auch Kirchgemeinden.
Und noch einen Rat hat Bernhard Jungen: Kirchgemeinden sollten die Angst um die Zukunft loslassen. Schliesslich habe ihr Meister gezeigt, dass es durch das Sterben zum Leben gehe. Darum sollten Kirchgemeinden auch fröhlich Angebote einstellen.
Im Gespräch mit Anna und Lukas erzählt er schliesslich, warum ihn die aktuelle Zeit an die Apostelgeschichte erinnert.
Montag, 21. April 2024: Staffel 7, Episode 4: » «Wie viel investieren wir in Menschen?»
Kirche besteht aus Menschen. Kirchenleitende stellen sich darum die Frage: Wie viel investieren wir in Menschen? Für » Daniel Frischknecht in Episode 06-07 des LKF-Podcasts «Aufwärts stolpern» ist klar: Jede Kirchgemeinde braucht einen Mitarbeiterentwickler – eine Ansprechperson für alle Engagierten, die sie wahrnimmt, ihnen zuhört und sie fördert. Daniel Frischknecht hat dabei einen Trend festgestellt: Heute wollen Menschen mitarbeiten und dann gecoacht werden, sie wollen nicht zuerst in einen Kurs gehen und dann mitarbeiten.
» Werner Näf hat in Episode 06-03 bekannt, dass er es als Pfarrer zuerst hat lernen müssen, ein gewisses Chaos in der Kirchgemeinde zuzulassen, wenn Menschen Verantwortung übernehmen sollen.
Von der Chance, dass Leiterförderung ein Selbstläufer wird, sprach » Diana Abzieher in Episode 06-08 – wenn man ein » Weiterbildungsmodul wie «Zusammen auf Kurs» über mehrere Jahre hinweg anbietet. Jugendlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern solle man das gleiche Gewicht geben wie Erwachsenen.
Investieren, wenn die Ressourcen fehlen
Co-Host Lukas Huber hat ein Paradoxon beobachtet: Ausgerechnet jene Kirchgemeinden sollten eigentlich gezielt Menschen schulen, denen die Ressourcen wegbrechen: Kirchgemeinden, die zum Beispiel keine Angestellten mehr finden, weil der Arbeitsmarkt ausgetrocknet ist.
Co-Host Anna Näf schildert eine weitere Beobachtung: Die Kirche versuche angesichts der Kirchenaustritte, sich bei den Noch-Mitgliedern in Erinnerung zu rufen statt in jene Menschen zu investieren, die sich engagieren wollten – dabei könnten ausgerechnet diese Mulitplikatoren der Idee sein, dass Kirche wichtig ist.
Die Delle im mittleren Alter
Wenn sich die reformierte Kirche dem Allgemeinen Priestertum verschrieben hat, bleibt die Frage, wen man für eine Mitarbeit gewinnen kann. Daniel Frischknecht hat schliesslich die Erfahrung gemacht, dass die Menschen im mittleren Alter am wenigsten Zeit und Kraft haben, sich zu engagieren. Kein Wunder, dass Diana Abzieher bei Kindern und Teenagern ansetzt.
Lukas Huber bringt die Buchbesprechung von » Daniels Ims Buch «No Silver Bullets» in Episode 05-03 ins Spiel: Der Mensch lerne zu 10 Prozent durch formale Bildung, zu 20 Prozent durch Coaching und zu 70 Prozent durchs Tun. Pfarrerinnen und Pfarrer müssten darum den Mut finden, Leute machen zu lassen. Lukas Huber berichtet von seinem Studienurlaub letzten Herbst: Für diese Zeit habe er ein Gottesdienst-Team gefragt, ob sie den Gottesdienst ohne ihn gestalten. «Und nachher bin ich einfach nicht wieder eingestiegen.» Anna Näf hat das erlebt, als es darum ging, einen Jugendraum neu zu gestalten: «Ich konnte letztes Mal nicht dabei sein, und ich glaube, sie kamen viel schneller voran als wenn ich den Ton angegeben hätte.»
Zwei Gottesdienste ohne Pfarrer
Werner Näf in der Kirchgemeinde Gächlingen hatte dazu einen mutigen Vorschlag, erzählt Lukas Huber: Im Gottesdienst-Programm für 2024 wurden für zwei Gottesdienste einfach keine Pfarrperson bestimmt, sondern er habe der Kirchgemeinde gesagt, da müssten sie schauen, dass es ein guter Gottesdienst wird. Mindestens für den ersten der beiden hätten sich zwei Personen zusammengetan, berichtet Lukas Huber.
Zum Schluss der Episode geht es um die drei Ziele, die Lukas Huber verfolgt in der Jugendarbeit: Junge Menschen sollen geistlich wachsen und religiös sprachfähig werden, sie sollen in ihren Führungskompetenzen wachsen und im sonstigen Leben zu reifen Persönlichkeiten werden.
Montag, 1. April 2024: Staffel 7, Episode 3: » «Wie arbeiten wir zusammen?»
«Fixe Strukturen geben keine Stabilität», sagte Werner Näf in » Episode 06-03 des LKF-Podcasts «Aufwärts stolpern» – eine sehr provozierende Antwort auf die Frage, wie die Zusammenarbeit von Kirchgemeinden gestaltet werden soll. Gelingende Zusammenarbeit finde dort statt, wo die Beziehungen gut sind und man einfach einmal zusammenarbeite in Bereichen, in denen es passt. «Lasst die Strukturen, wie sie sind», sagt der Pfarrer und Internet-Unternehmer, der durch seine geschäftliche Tätigkeit Einblick in die Funktionsweise von Kirchgemeinden der ganzen Schweiz hatte – speziell von fusionierten Kirchgemeinden. Wenn sich die Zusammenarbeit einmal bewährt hat, sei die Anpassung der Strukturen gewöhnlich ganz einfach. Ein weiterer Tipp von Werner Näf: andere Kirchenstände/Kirchenpflege zum Pizzaessen ohne Traktanden einladen statt mit einem Organisationsentwickler lange Sitzungen zu machen.
In » Episode 06-02 sprach Franziska Huber von den Ressourcen-Verteilkämpfen, die den Kirchgemeinden bevorstehen und die es unter Umständen schwieriger macht, zusammenzuarbeiten. Eine wichtige Problemanzeige.
Freiheit hilft
» Jugendarbeiter Enrico Pezzoni beschrieb in Episode 06-06, wie das gemeinsame Gross-Feriencamp Refresh zu vielen fruchtbaren Diskussionen unter Pfarrerinnen und Jugendarbeitern führten. Angestellte von vielen, auch sehr unterschiedlich geprägten Kirchgemeinden arbeiteten im Zusammenhang mit dem Camp zusammen und lernten sich schätzen.
Gerade die Erfahrungen des Refresh-Camp der St.-Galler Kirche bringen Podcast-Co-Host Lukas Huber dazu, ein Plädoyer für die Freiheit zu halten: Wenn Kirchgemeinden fusioniert sind, müssen die Angestellten und alle anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeit auf Gedeih und Verderb miteinander klar kommen – oder können es auch nicht zusammen. Wenn Strukturen von unten her gestaltet werden, gibt es meist noch andere Möglichkeiten, sich anders zu orientieren, wenn die Zusammenarbeit nicht klappt.
Regiolokale Kirchenentwicklung
» Michael Herbst und Hans-Hermann Pompe haben in ihrem Heft «Regiolokale Kirchenentwicklung betont, dass Kirchgemeinden sich regional profilieren sollten – und dass gleichzeitig das lokale geistliche Leben stehen und gestärkt werden soll. Auch sie kommen zum Schluss dass die Beziehungen entscheidend sind, ob diese Ausrichtung gelingt.
Co-Host Anna Näf erzählt von den regelmässigen Treffen von sieben Winterthurer Kirchgemeinden unter dem Stichwort «Beer and Brainstorm», bei denen Pfarrer und Jugendarbeiterinnen ohne Traktandenlisten und Protokoll zusammen essen und austauschen.
Kultur der Grosszügigkeit
Den Weg zu guter Zusammenarbeit sieht Lukas Huber darin, dass Kirchgemeinden eine Kultur der Grosszügigkeit pflegen – zum Beispiel in finanzieller Hinsicht. Unter Umständen ist eine grosszügige Haltung langfristig günstiger als eine Konfliktberatung.
Daneben habe die Frage, wie Strukturen und Beziehungen gestaltet werden, auch eine geistliche Seite, behauptet Lukas Huber weiter. Er beobachte, dass es für den Gemeindebau viel Vertrauen in das Unverfügbare brauche. Er argwöhnt, dass manche Menschen stattdessen lieber an den Strukturen arbeiten, weil man das kann man auch ohne Vertrauen auf Gott tun kann. Gelingende Zusammenarbeit über die Grenzen hinaus braucht aber viel Vertrauen.
Die Episode schliesst mit dem Postulat, dass auch eine Kantonalkirche ihren Beitrag an eine gelingende Zusammenarbeit von Kirchgemeinden leisten kann: indem sie Orte schafft, in denen sich Menschen ungezwungen treffen und einander vertrauen lernen.
Montag, 11. März 2024: Staffel 7, Episode 2: » «Ist das Kommt-zu-uns-Konzept am Ende?»
Immer wieder haben Interviewgäste in Staffel 6 darüber gesprochen, dass es in Kirchgemeinden eine Spannung zwischen innen und aussen gibt, zwischen Einladung und Selber Hinausgehen. Pfarrer Bernhard Jungen hat in » Episode 06-01 eindrücklich erzählt, wie seine Kirchgemeinde attraktive Gottesdienst-Angebote startete, dass er dann aber mit Unbehagen feststellte, dass die Kirche Menschen in die Kirche bringt, sie dann aber nicht mehr hinauslasse. Das sei aber gar nicht gut, sagte Jungen, seither geht er mit seiner Unfassbar zu den Menschen.
In » Episode 06-02 sprach Franziska Huber ebenfalls davon, dass es wichtig sei, hinauszugehen – nicht mit einem missionarischen Anliegen, sondern im Vertrauen darauf, dass Gott schon in den Menschen am Wirken ist.
Schliesslich stellte » Uwe Habenicht in Episode 06-09 fest, dass die Spiritualität nicht automatisch verschwindet, wenn jemand aus der Kirche austritt – dass aber das Kirchengebäude bei solchen Menschen kein Anknüpfungspunkt mehr sein könne. Darum lade er zum Beispiel ein, am Lagerfeuer zu philosophieren.
Weniger Geld für Kirchengebäude
In amerikanischen Kirchen spiegle sich dieser Kulturwandel in den Ausgaben, die für den Kirchenbau getätigt werden, sagt Aufwärts-stolpern-Co-Host Lukas Huber. Zwischen 2002 und 2022 seien die Ausgaben für Kirchenbauten von 8,7 Milliarden auf 2,7 Milliarden gesunken, wobei die Gottesdienst-Räumlichkeiten massiv schrumpften zugunsten von «non-traditional space» (» Quelle: der Podcast «Revitalize and Replant»). Es könne sehr wohl ein Teil des Nach-aussen-Gehen-Konzepts sein, kirchliche Gebäude für andere Anbieter und Anliegen zu öffnen; seine Kirchgemeinde zum Beispiel habe das Dachgeschoss des Mesmerhuus gegenüber der Kirche Löhningen ausgebaut; dort findet jetzt der offene Jugendtreff Check-in statt – betrieben von der Kirchgemeinde.
Co-Host Anna Näf war vor Jahren angestellt für den Check-in Löhningen. Sie schildert, wie zu Beginn nicht viele Kinder in den offenen Jugendtreff kamen – bis das Team das Mesmerhuus verliess und auf den Spielplatz bei der Schule gingen. Von da an seien die Besucherzahlen regelrecht explodiert. Nachdem die Beziehungen da waren, kamen die Kinder auch ins Mesmerhuus.
Nur körperlich hinausgehen reicht nicht
Allerdings reicht es noch nicht, die Kirchengebäude physisch zu verlassen. Das tun die Zeugen Jehovas auch, sagt Anna Näf. Es brauche auch einen mentalen Wandel: weniger die Bibel exegetisch sauber auslegen, sondern mehr das Leben biblisch auslegen.
Lukas Huber schildert die Erfahrungen seiner Kirchgemeinde mit einer Kontextanalyse, die am laufen ist. Sie hätten gemerkt, dass Beziehungen ein Thema sind im Dorf. Die Frage ist jetzt: Gibt es da die Möglichkeit, mit einem anderen Engagierten im Dorf zusammenzuarbeiten, um Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen?
Also, fragt sich Anna Näf etwas skeptisch: Sollte man die Leute eher ins Dorf hinausschicken statt sie für kirchliche Anlässe anzufragen? Das ist für eine kirchliche Jugendarbeiterin nicht so einfach, das sie darauf angewiesen ist, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihre Angebote zu finden. Lukas Huber gibt auch zu bedenken, dass es möglicherweise einen Unterschied gebe zwischen 14- und 40-Jährigen: Junge Menschen wachsen im Glauben, wenn sie in einer verbindlichen Gemeinschaft mit anderen leben – also viel Zeit «drinnen» verbringen. Vielleicht sollten sie erst später «hinausgeschickt» werden?
Was, wenn man kein Vereinsmeier ist
Die Ausrichtung nach aussen muss sich am Ende im konkreten Leben ausdrücken, sind sich beide Hosts einig. Er sei kein Vereinsmeier, bekennt Lukas Huber, er gehe darum nicht in den Turnverein, auch wenn das eine gute Möglichkeit wäre, mit anderen unterwegs zu sein; er gehe dafür oft einfach im Dorf spazieren und lasse praktisch kein Adventsfenster in seinen Dörfern aus.
Anna Näf schliesst die Episode mit der Erkenntnis ab, dass es wohl einen bewussten Wandel in der Kirchgemeinde brauche. Dazu sei aber eine gute Verwurzelung im eigenen, persönlichen Glauben nötig.
Montag, 19. Februar 2024: Staffel 7, Episode 1: » «Was ist Kirche?»
Keine einfache Frage, aber eine, die sich immer wieder zu stellen lohnt
Im Rückblick auf Staffel 6 des Podcasts «Aufwärts stolpern» fragen sich die Hosts Anna Näf und Lukas Huber: «Was ist Kirche?» Diese Frage ist nicht nur für Insider wichtig; ihr sei diese Frage auch von Nicht-Kirchenmenschen gestellt worden, sagt Anna. Die Frage zu beantworten ist aber gar nicht so einfach …
Gleich mehrfach kam in Staffel 6 des LKF-Podcasts «Aufwärts stolpern» die Frage auf, was denn Kirche sei. Zum Beispiel in » Episode 06-01 mit Bernhard Jungen. Kirche habe die Tendenz, Menschen hineinzuziehen und ihnen wenig Zeit zu lassen, Kontakte ausserhalb zu pflegen, sagte der ehemalige Gemeindepfarrer und heutige Projektleiter der Unfassbar. Dabei werde nicht selten Gott auch beim Biertrinken an der Unfassbar thematisiert – und spürbar.
In » Episode 06-02 mit Franziska Huber kam die Frage aus Sicht der Berner Kantonalkirche auf: Wie kirchlich muss denn ein Projekt sein, damit es von der Kantonalkirche unterstützt wird? Franziska Huber stellt eine Gegenfrage: Ist ein Seniorennachmittag ohne religiöses Programm kirchlich? Sie kommt zum Schluss: Ob ein Projekt kirchlich ist, können nur die Projektverantwortlichen definieren.
» Monika Wilhelm in Episode 06-04 hat im Projekt Orbit in der Zusammenarbeit mit anderen erlebt, wie Menschen in Diskussionen über biblische Themen plötzlich sagen, dass sie das, was die Theologin Monika Wilhelm sagt, genau auch denken und wollen.
Schliesslich stellte » Uwe Habenicht in Episode 06-09 in seinem Buch «Freestyle Religion» fest, dass die Spiritualität nicht automatisch verschwindet, wenn jemand aus der Kirche austritt. Was ist also Kirche?
«Selbstsäkularisierung der Kirche»
Anna Näf stellt in der aktuellen Episode fest, dass es gut ist, wenn man sich die Frage überhaupt stellt, was Kirche sei – auch in der alltäglichen kirchlichen Arbeit. Lukas Huber stellt die Frage in den Zusammenhang dessen, was er Selbstsäkularisierung der Kirche nennt: dass gar nicht mehr darüber gesprochen wird, was denn das geistliche Konzept eines kirchlichen Bereichs sei.
Im offenen Jugendtreff seiner Kirchgemeinde zum Beispiel gebe es keine religiösen Inputs und es wird nicht gebetet, insofern könnte man die Frage stellen, ob der » «Check-in» überhaupt Kirche sei. Der Jugendtreff sei aber eingebunden in ein geistliches Konzept der Jugendarbeit, das mache das Kirchliche aus; die Leiterinnen und Leiter etwa kommen aus der Jugendarbeit und haben genügend geistliches Handwerkszeug und Erfahrung, um kompetent über geistliche Themen zu reden, wenn sie denn einmal aufkommen.
Statt Gesinnungsprüfung Fragen stellen
Umgekehrt, sagt Lukas Huber, ist es wirklich schwierig, von aussen zu beurteilen, was Kirche ist. Die » Mitteldeutsche Kirche hat von insgesamt sieben drei klar geistliche Merkmale für einen Erprobungsraum definiert. Trotzdem sagt Lukas mit Franziska Huber: Eine Gesinnungsprüfung sei in der schweizerischen, bekenntnisfreien Kirche nicht denk- und wünschbar.
Seine Kantonalkirche hat in dieser Frage folgende Lösung gefunden: Wer einen Antrag an den » Entwicklungsfonds stellt, muss mit Hinweis auf die geistliche Definition der Kirche in der Verfassung im Antrag die Frage beantworten: «Inwiefern hilft dieses Projekt, dem Auftrag der Evang.-ref. Kirche des Kantons Schaffhausen näherzukommen?» So könnten Antragsteller ihr geistliches Profil schärfen.
STAFFEL 6
Montag, 29. Januar 2024: Staffel 6, Episode 9: » «Uwe Habenicht, wie bleiben wir fröhlich bei der Arbeit?»»
Uwe Habenicht ist Pfarrer in der Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West und Autor von «Freestyle Religion».
Die Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West hat immer wieder für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Uwe Habenicht begründet das so: Wir leben ein einer Aufmerksamkeitsgesellschaft. Die Kirche kann nicht einfach ihre Arbeit machen, sondern muss auffallen, um wahrgenommen zu werden, sie muss Klischees durchbrechen. Im Fall seiner Kirchgemeinde kommt die Lust dazu, Neues auszuprobieren und zu schauen, was geschieht, wenn man etwas Ungewohntes macht.
Uwe Habenichts hat festgestellt, dass man nicht die Tradition hochhalten und dann plötzlich etwas ganz Neues machen kann, sondern dass die Lust spürbar sein muss, auch im Kleinen zu experimentieren. «Jeder Gottesdienst braucht mindestens eine Ecke, wo es etwas Überraschendes gibt.» Daneben braucht es auch grosse Aktionen, in denen das ganze Team einen Effort leistet, um aufzufallen.
Dem Arbeiten im Team in solchen Angelegenheiten kann Uwe viel abgewinnen. Es helfe, wenn man mit anderen Dingen planen könne und verschiedene Sichten auf ein Problem höre. Auch seine Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West bestehe aus einem zusammengewürfelten Team, das aber gemeinsam überlegt, in welche Richtung sie sich entwickeln wollen.
«Wie habt ihr in der Kirchgemeinde ein Klima geschafft, in dem Innovation möglich ist?», will Lukas wissen. Humor helfe, sagt Uwe. Es gelte in der Kirchgemeinde, was auch für die Küche zutreffe: «Es macht nur Freude, wenn auch einmal etwas in die Hose gehen kann.» Wenn einmal in einem Gottesdienst ein Element vorkommt, das nicht funktioniert, sei das doch nicht tragisch, man ändere es einfach wieder ab.
So sei das 2017 gewesen, als er gerade frisch in die Kirchgemeinde kam. Im Reformationstheater mit vielen Stationen und sehr vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe es ganz viele Beteiligungsmöglichkeiten gegeben. In den letzten Jahren haben sie predigtfreie Gottesdienste ausprobiert. Jahre später zersägten sie eine Kanzel, machten einen Abendmahlstisch daraus und feierten Gottesdienst um diesen Tisch herum.
Wichtig ist, dass man auch Fehler machen darf. «Ich mache sehr viele Fehler», bekennt Uwe Habenicht. Als Beispiel nennt er den grossen Banner für die Konzernverantwortungsinitiative, die sie am Kirchturm aufhängten. «Das war keine gute dialogische Form», sagt er.
Wenn Fehler geschehen, müsse man «schütteln»: zum Fehler stehen, das Geschehene analysieren und dann abschütteln. Wenn die Beziehung gut sei, sei eine Kirchgemeinde ziemlich fehlertolerant.
Anna fragt, was es braucht, dass wir fröhlich bleiben bei der Arbeit. Der kollegiale Austausch sei zentral. Wenn es gelinge, eine Kultur zu schaffen, in der man über seine Niederlagen reden kann, könne daraus Unglaubliches entstehen. Also: zuerst von sich erzählen, dann die Traktandenliste angehen.
Angesprochen auf sein Buch «Freestyle Religion», plädiert Uwe Habenicht zuerst für eine neue Form, mit Kirchenaustritten umzugehen: sie rituell zu bewältigen, statt die Austritte einfach herunterzulesen und betreten dreinzuschauen. Dann erklärt er die Grundthese seines Buchs: Es gebe neben dem kirchgemeindlichen Christentum auch den privaten Glauben und die öffentliche religiöse Diskussion. Es sei Aufgabe der Kirche, ein Gleichgewicht zu finden und allen drei Bereichen gerecht zu werden. Eine eigene Frömmigkeitskultur zu entwickeln sei auch eine wichtige Aufgabe für Pfarrerinnen und Pfarrer.
Montag, 8. Januar 2024: Staffel 6, Episode 8: » «Diana Abzieher, was braucht es, damit sich junge Menschen in der Kirche engagieren?»
» Diana Abzieher ist verantwortlich für den Leiterförderungskurs » «Zusammen auf Kurs» der Zürcher Landeskirche.
Sie hat, könnte man sagen, eine klassische kirchliche Karriere durchlaufen: Sie ist in Bayern mit der Kirche aufgewachsen; als sie zu alt wurde für den Kindergottesdienst, wurde sie angefragt, ob sie mitleiten will. Sie entwickelte sich weiter und wurde schliesslich Hauptamtliche.
Die Leiterschulung, die sie selber erlebte, war für sie ein tolles Erlebnis. «Ich habe mich weiterentwickelt und selber viel gelernt», sagt sie über ihre Zeit. Aus Dankbarkeit für die guten und bleibenden Beziehungen, die sie während der Zeit ihrer eigenen Leitungsförderung, hat sie sich dann weiter für die Kirche engagiert.
Wichtig während der Leiterschulung, die Diana Abzieher in Bayern anbot, war die Gemeinschaft unter den Teilnehmenden und dass sie Raum bekamen, selber Erfahrungen zu machen.
Die drei Ausbildungsgänge von «Zusammen auf Kurs» entstanden aus dem Vorgängerprojekt «Pace». Die Zak-Kurse berücksichtigen neuere kirchliche Entwicklungen wie die Regionalisierung. Zak legt grossen Weg auf die Beziehungen – auf Beziehungen, die über die Jugendarbeit hinaus gehen und in die Kirchgemeinde hinein führen wollen.
Bei der Entwicklung des Zürcher Leitermaterials «Zusammen auf Kurs» habe sie eigene Erfahrungen einfliessen lassen und auch die Unterlagen von anderen Kantonalkirche berücksichtigt.
Von Lukas gefragt, ob sie die Kirchgemeinden stark motivieren mussten, einen Zak-Kurs anzubieten, sagt Diana, das komme sehr auf die Grösse der Kirchgemeinde an. Grössere Kirchgemeinden hätten mehr Jugendliche und oft grössere personelle Ressourcen. Kleinere Kirchgemeinden sollten sich bei Bedarf zusammenschliessen, um einen Kurs anbieten zu können. Wichtig sei, dass aus jeder Kirchgemeinde eine Kontaktperson komme, mit der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Beziehung aufbauen können.
Anna fragt Diana, ob eine Kirchgemeinde zuerst ein Programm für Teenager brauche, um eine Leiterschulung anzubieten, oder ob es auch einen Sinn ergebe, direkt mit der Leiterförderung zu beginnen. «Sowohl als auch», sagt Diana. Wenn es eine Handvoll Jugendlicher gibt in einer Kirchgemeinde, die etwas machen wollen, könne man eine Jugendkommission gründen und mit den Jugendlichen zusammen andenken, wie eine kirchliche Jugendarbeit aussehen könnte. Schliesslich könnten Jugendliche am besten Gleichaltrige ansprechen und motivieren, an einem Angebot teilzunehmen.
Es gebe Kirchgemeinden, bei denen Zak-Leiterförderung ein Selbstläufer geworden seien, berichtet Diana. Wenn das gelinge, könne die Situation eintreten, dass sich jüngere Teenager aus eigenem Antrieb melden und auch Leiterinnen und Leiter werden wollen. «Dann hast du gewonnen», fasst Lukas zusammen.
Auf die Motivation der interessierten Kirchgemeinden angesprochen, sagt Diana: Die einen Kirchgemeinden wollten den Jugendlichen einfach etwas mitgeben an Fähigkeiten, andere wollten einfach ausprobieren, ob ein Team entsteht, wieder andere wollten gezielt Nachwuchs fördern für die Zukunft der Kirchgemeinde.
«Gibt es falsche Gründe, Jugendarbeit zu machen?», will Anna wissen. «Nein, überhaupt nicht.», sagt Diana entschieden. Wer Jugendlichen die Möglichkeit gibt, sich zu entwickeln, macht alles richtig.
Sollte denn eine Kirchgemeinde in die Jugendarbeit und in die Leiterförderung investieren, fragt Lukas nach: «Ja, auf jeden Fall!» Gerade in der heutigen Zeit, die für Jugendliche sehr herausfordernd sei, sei es wichtig, dass die Kirchgemeinde Sorge trägt zu ihren jugendlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Eine strukturierte Leiterschulung gewährleiste pädagogisches und methodisches Grundlagenwissen.
«Hat der Zak-Kurs zum Ziel, die Jugendarbeiter zu ersetzen?», fragt Anna. Der Zak-Kurs sei speziell in Kirchgemeinden ohne Jugendarbeiterin oder Jugendarbeit eine gute Chance, eine eigene Jugendarbeit aufzubauen. In den anderen Kirchgemeinden führe die Leiterschulung zu einem Rollenwechsel: Der Jugendarbeiter kann entlastet werden und erhält Freiraum, um andere Aufgaben zu übernehmen, zum Beispiel im Bereich Coaching.
Was braucht eine Kirchgemeinde, damit Leiterförderung gelingt? Zusammenarbeit auf allen Stufen, sagt Diana Abzieher, und eine gemeinsame Stossrichtung in der Kirchgemeinde, damit Jugendliche sehen, wie Teamarbeit funktionieren kann. Fehlertoleranz sei ebenfalls wichtig, damit sich Jugendliche weiterentwickeln können. Schliesslich müssten sie auch in die Diskussionsprozesse in der Entwicklung der Kirchgemeinde einbezogen werden. Darum ist auch die offizielle Anerkennung und Einsetzung der neuen Leiter im Sonntagsgottesdienst wichtig: Damit die Jugendleiter in der Kirchgemeinde sichtbar werden.
Natürlich sollten die Jugendliche ihre eigenen Räume haben, wo sie miteinander unterwegs sein können, gleichzeitig sollten sie Teil der Kirchgemeinde sein.
Auf die Erfahrung von » Daniel Frischknecht in Episode 06-07 angesprochen, dass heute die Leute nicht mehr zuerst in einen Kurs gehen wollen, sagt Diana Abzieher, das sei tatsächlich in manchen Kirchgemeinden Praxis. Sie selber plädiert dafür, Teenager zuerst eine Kurs machen zu lassen, damit sie eine gute Wissensbasis für ihre Tätigkeit haben. Sie sieht die Gefahr, dass Jugendliche negative Erfahrungen machen und die Leitung dann aufgeben. Nach dem Kursbesuch ist dann aber die weitere Begleitung schon wichtig.
Montag, 18. Dezember 2023: Staffel 6, Episode 7: » «Daniel Frischknecht, was macht ein Mitarbeiterentwickler?»
Daniel Frischknecht ist ausgebildeter Coach und engagiert sich seit 30 Jahren für die Kirchgemeinde Bischofszell-Hauptwil, die letzten 10 Jahre als angestellter Mitarbeiterentwickler, zurzeit mit einem Pensum von 50 Prozent.
Dass Daniel vom Jugendarbeiter zum Mitarbeiterentwickler wurde, hatte mit ihm selber zu tun: «Ich hatte immer mehr Freude, wenn ich andere erfolgreich machen kann als wenn ich selber erfolgreich bin.» Darum übernahm er zwar die Jugendarbeit in einer Vakanzzeit, fand aber keine Erfüllung darin, Angebote zu leiten. Darum entwickelter er sich weiter als Coach und Seelsorger. Parallel dazu wuchs die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 150 auf 300 Personen, darum schuf die Kirchenvorsteherschaft die Stelle als Mitarbeiterentwickler.
Seine Aufgabe ist es seither, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammenzubringen, sie zu einem Team werden zu lassen und zu schulen. Dann übergibt er die Teams den vollzeitlich Angestellten, die mit ihnen weiterarbeiten. Gleichzeitig unterstützt er auch Leute aus der Kirchgemeinde, wenn sie Ideen haben.
In dieser Sandwich-Position zwischen Behörde, Angestellten und Menschen, die sich engagieren wollen, hat er eine wichtige Funktion als Vermittler zwischen Ideen, Vorstellungen und theologischen Überzeugungen.
Er bringt in der grossen und komplexen Kirchgemeinde auch Teams ins Gespräch miteinander und berät Einzelpersonen in Krisensituationen.
Wie denn das konkret aussieht, will Lukas wissen, zum Beispiel in der Jungschar. Die Jungschar arbeite sehr selbständig, aber er habe es mit der Hauptleitung dann zu tun, wenn es darum geht, neue Leiter einzuführen und zu schulen. Als ausgebildeter Koch gehe er auch mit in Ferienlager, um mit Jungen zusammen zu kochen und sie gleichzeitig zu schulen. Ein weiteres Beispiel: Ein Pfarrer habe zwei Taufgespräche mit religiös sehr unterschiedlichen Familien gehabt, bei denen beide Mütter fanden, es sollte doch ein Angebot für ganz kleine Kinder geben. Daniel brachte die beiden Mütter zusammen und entwickelte mit ihnen in zwei Monaten das neue Angebot «Müslitreff», zu dem unterdessen 15 Personen kommen. Er musste auch kurzfristig ein Budget für das neue Angebot auftreiben.
Lukas fragt, wie man denn überhaupt auf ihn kommt, wenn es um neue Ideen geht. Er sei halt schon seit 30 Jahren in der Kirchgemeinde aktiv, kenne über seine Tätigkeit imTennisclub und anderswo auch sonst viele Menschen. Das wäre anders, wenn man einfach jemanden anstellen würde für diese Aufgabe.
«Werden 18- und 70-Jährige gleich begleitet?», will Anna wissen. Bei den Jüngsten – im Ferienlager-Kochteam kommen 10-Jährige mit – gehe es um Spass und um die Vermittlung des persönlichen Glaubens, sagt Daniel Frischknecht, bei Alten gehe es oft mehr darum, herauszufinden, was sie brauchen, um ihre Arbeit machen zu können. Ihre Erfahrungen für die Kirchgemeinde fruchtbar zu machen, zum Beispiel in der Seniorenarbeit, das sei ebenfalls wichtig.
Wenn Daniel Frischknecht Menschen berät, habe er eine innere Liste von Werkzeugen im Kopf, die er bei Bedarf gebrauche. Er führe auch eine lange Liste vom Lücken, die er füllen sollte. Er strapaziere oft seine Telefonliste von 2000 Personen, die er auf seinem Mobiltelefon habe. «Oft muss man 50 Telefonanrufe machen, bis man eine Zusage erhält, da gibt es nichts zu beschönigen. Allerdings sind auch die anderen 49 Anrufe nicht für die Katz, weil es gute Gespräche sind und man Rückmeldungen erhält.»
Funktioniert das überhaupt, wenn er Leute sucht für Angebote, an denen er dann gar nicht mitarbeitet. Wenn man gut vernetzt ist, geht das, sagt Daniel Frischknecht. Auch Schulungen versuche er, so oft es geht, nicht selber zu leiten, sondern die Schulung mit einer Teamleitung zu planen und alles bereitzustellen, die konkrete Durchführung dann aber den Gruppen zu überlassen.
Ab welcher Grösse es denn einen Mitarbeiterentwickler braucht, fragt Lukas «Jede Kirchgemeinde braucht eine Person, die zu 100 Prozent Ansprechsperson ist für die freiwillig Mitarbeitenden.» Es brauche je nach Grösse der Kirchgemeinde dafür nicht einen Angestellten, aber jemanden, der die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertschätzt und verdankt. Das solle besser nicht eine Pfarrerin oder ein Diakon sein, weil diese eine klar umrissene Funktion hätten. Es könne auch eine freiwillige Person sei, die diese sensible Aufgabe übernimmt.
Ob denn nicht einfach die Hauptleiterin eines Teams diese Funktion übernehmen könne, fragt Anna. Das komme auf das Konzept der Kirchgemeinde an. Eine neutrale Person habe ein objektiveres Bild der Situation. Wenn eine Mitarbeiterin nur mit dem für ihr Team zuständigen Pfarrer zu tun habe, sei das nicht gut für die Gesamtkirchgemeinde. Menschen sollten ihre Begabungen nicht einer Person zur Verfügung stellen, sondern der Kirchgemeinde. In ihrer Kirchgemeinde gebe es ein Gesamtkonzept für die Betreuung der Mitarbeitenden, so werden alle einbezogen in das Ganze der Kirchgemeinde.
Einen dedizierten Mitarbeiterentwickler zu haben, sei auch aus einem weiteren Grund sinnvoll: Er könne auch mit Menschen reden und sie fragen, ob es nach fünf Konflager vielleicht einmal Zeit sei, eine andere Aufgabe zu übernehmen – Entwicklung eben.
Mit dem Konzept der Gartengespräche (s. Episode mit Thomas Bucher) kann Daniel Frischknecht sehr viel anfangen, weil mit diesen Gesprächen Menschen entwickelt werden – gleichzeitig gebe es Angebote, für die man einfach Menschen suchen müsse.
Was hat sich verändert in den letzten 30 Jahren in Sachen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Vor zehn Jahren sei es klar gewesen, sagt Daniel Frischknecht, dass er Kurse anbiete: Kochkurse, Lektoren-Schulungen und so weiter. Dann fingen die Leute an, sich selber Wissen auf YouTube und anderen digitalen Kanälen anzueignen. Aber sie hätten deswegen noch nicht die Kultur der Kirchgemeinde gekannt. Seither brauche es mehr Begleitung und Schulung «on the job». Nicht zuerst ein Kurs und dann Mitarbeit, sondern zuerst Mitarbeit und dann individuelle Förderung.
Zudem sei sei Corona gut zu sehen, dass Menschen nichts mehr machen, das ihnen keinen Spass macht, auch wenn sie es schon zehn Jahre lang gemacht haben. Und alles sei viel kurzfristiger geworden.
Seine Stelle als Mitarbeiterentwickler ist ausschliesslich durch Spendengelder finanziert. Er wird gleich bezahlt wie ein Sozialdiakon.
Hinweis auf die » Episode über das Buch «No Silver Bullets von Daniel Im
Hinweis auf die » Episode mit Thomas Bucher, bei der Gartengespräche ein Thema war.
Montag, 27. November 2023: Staffel 6, Episode 6: » «Enrico Pezzoni, sind Camps nötig für Kirchgemeinden mit Ambitionen?»
Das erste » «Refresh»-Camp fand 2018 statt. Der Sozialdiakon » Enrico Pezzoni aus Altstätten (SG) arbeitete von Beginn an im Organisationskomitee des kantonalen Gross-Camps der St. Galler Kirche. Am ersten Refresh-Camp nahmen 300 Personen aus rund 20 Kirchgemeinden teil.
Eingeladen in das Refresh-Camp sind – je nach Kirchgemeinde – Konfirmandinnen und Konfirmanden oder einfach Teenager und junge Erwachsene, die dabei sein wollen. Im Camp geschieht das Wichtigste der Jugendarbeit, sagt Enrico Pezzoni: Es werden Beziehungen geknüpft, nicht zuletzt, weil alle im «Ferien-Modus» sind: Teilnehmende und Leitende.
Im Camp gibt es viel Freizeit und jeden Morgen ein geistliches Programm mit Musik und Inputs über Gott sowie Kleingruppen.
Das grosse «Refresh»-Camp hatte von Anfang zu Ziel, dass auch kleine Kirchgemeinden ein attraktives Ferienlager anbieten kann. «Das Refresh ist also eine Art Entwicklungshilfe?», fragt Anna. Ja, sagt Enrico Pezzoni. Ihm selber sind die «kleinen» Camps der drei Kirchgemeinden, in denen er arbeitet, fast wichtiger als das grosse Refresh-Camp, wo man gar nicht alle kennenlernen kann. Wobei: «Kleine« Camps umfassen 60 bis 80 Teilnehmende.
Das Gross-Camp umgekehrt hat eine zusätzliche Ebene, hat Enrico Pezzoni beobachtet: Weil die Hauptverantwortlichen vieler Kirchgemeinden beteiligt sind, treffen sich bei der Vorbereitung viele Pfarrerinnen und Sozialdiakone. Das hat dazu geführt, dass das gegenseitige Verständnis gewachsen ist: zum Beispiel für die verschiedenen Frömmigkeitsstile und die Art, wie man Jugendarbeit betreibt. «Es ist viel Einheit gewachsen.» Das Ziel sei von Anfang gewesen, die Vielfalt schätzen zu lernen. «Diese Vielfalt ist ein grosser Reichtum», sagt Enrico Pezzoni.
Von Lukas gefragt, was wirklich wichtig, damit das Camp Wirkung zeigt, sagt Enrico Pezzoni: «das Gebet». Er gehe jeweils ans Frühgebet der Kirchgemeinde, er versorge betende Senioren mit den Informationen, damit sie beten. Auch die Leiterinnen und Leiter motiviere er, Gott zu suchen als Vorbereitung auf ein Camp. Dabei gebe es verschiedene «Muttersprachen» in der Zwiesprache mit Gott: Bibel lesen, Worship-Musik hören, in die Natur gehen.
Mit dem Refresh-Camp werden auch junge Menschen geschult: Während des Camps gibt es immer eine dreiviertelstündige Leiterschulung.
Direkt an das Refresh-Camp wird ein «Youth Alpha»-Jugendglaubenskurs angeboten. Bei den Leuten, die Enrico Pezzoni für die Mitarbeit anfragt, ist die Teilnahme am anschliessendden Youth Alpha Voraussetzung. Zwischen 50 und 80 Teilnehmerinnen hätten sie jeweils im «Youth Alpha» zählen können, sagt Enrico Pezzoni.
Auch wenn Enrico Pezzoni in dieser Episode sehr für die Camp-Arbeit wirbt, findet er es für noch viel wichtiger, dass die Verantwortlichen in den Kirchgemeinden Gott im Gebet suchen mit der Frage, was genau bei ihnen das Beste ist.
Montag, 6. November 2023: Staffel 6, Episode 5: » «Erwin Weibel, wie merke ich, dass etwas ändern muss?»
Erwin Weibel ist Pastor der Täufergemeinde Diessbach b. Büren und » Coach. Als Organisationsberater hat er es auch viel mit reformierten Kirchgemeinden zu tun.
An der Tagung des Landeskirchenforums vom 28. Oktober 2023 mit dem Titel «Erneuerung im Wandel: Gewohntes loslassen – Neues wagen» hielt Erwin Weibel ein Referat. Er beschreibt darin, wie sich ein Merkmal durch seine ganze langjährige Zeit als Pastor durchzieht: der konstante Wandel. Es gebe zwei Arten, über Wandel und Stabilität nachzudenken: Herrscht Stabilität, die von Episoden von Wandel unterbrochen werden, oder ist im Gegenteil das Normale der Wandel, der von kurzen Episoden von Stabilität unterbrochen wird.
Weibel plädiert dafür, sich dem «Camping-Gott» anzuschliessen: Bei ihm selbst gebe es zwar keinen Wandel, aber er «zelte» unter den Menschen, wie es im Johannes-Evangelium heisst. Formen und die Gestalt der Kirche sind an einem zeitlichen Kontext orientiert, mit dem Gott mitgeht. Das heisst: In der Kirche braucht es konstant Veränderung.
Um die Veränderung gut bewältigen zu können, braucht es eine klare Identität, eine Vision und eine Strategie. Um diese zu finden, lohnt es sich, andere Menschen einzubeziehen.
Anzeichen, dass Veränderungen anstehen, gibt es mehrere: ein Generationenkonflikt zum Beispiel, oder wenn die Verkörperung einer Idee und einer Vision abnimmt und zu Papier wird: Dann wird nämlich aus einer Funktion eine Position. Nun geht es nicht mehr darum, was genau die Aufgabe ist, sondern es wird bei einem personellen Wechsel jemand für die gleiche Position gesucht. «Wenn zu viel Geld vorhanden ist, überlegt man nicht, welcher Funktion die neue Person dienen soll, sondern man stellt ‹copy-paste› jemand mit der gleichen Position an, ohne zu überlegen, was eigentlich gebraucht wird für die Zukunft.»
Weibel zeichnet eine Gauss-Kurve an den Flipchart (wie in der » Episode über «The Unstuck Church»): Wandel soll man einleiten, *bevor* eine Kirchgemeinde/ein Projekt auf dem Scheitelpunkt ist; ist sie auf dem Höhepunkt, ist die ganze Organisation nämlich schon ziemlich starr und die Vision zu Papier geworden.
Wer als Führungsperson beim Einleiten einer Veränderung auf 80 Prozent Zustimmung stösst, hat seine Führungsaufgabe nicht wahrgenommen, sagt Weibel weiter.
Es braucht in einer Kirchgemeinde die Ergänzung: Neben den «Pionieren» gibt es auch «Siedler», und beide sind aufeinander angewiesen.
Das Schlusswort des Vortrags von Erwin Weibel lautet: Bleib. Häufige Wechsel ermüden eine Kirchgemeinde, darum ist es besser, zu bleiben und den Wandel zu verkörpern anstatt eine neue Stelle anzutreten.
Montag, 16. Oktober 2023: Staffel 6, Episode 4: » «Monika Wilhelm, kann man Innovation lernen?»
Sie sei eine begeisterte Spielerin, so beschreibt sich Monika Wilhelm von A+W. Beim Spielen gehe es um Gewinnen und Verlieren, es brauche eine gute Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen.
Bei » A+W ist sie für die Weiterbildung der Deutschschweizer Pfarrerinnen und Pfarrer angestellt mit dem Spezialthema Innovation. Was es denn für Fähigkeiten brauche, um kirchliche Projekte gut zu starten, fragt Anna sie. Teamfähigkeit sagt Monika Wilhelm als erstes, dann aber sei auch wichtig, dass man neugierig und flexibel sei und noch ein paar weitere Dinge.
Das sei jetzt aber ziemlich viel, sagt Lukas, was man können sollte. Ob man denn etwas davon auch lernen könne? Man kann, nur, weil man etwas Innovatives vorhat, nicht eine andere Person werden, aber man kann an der eigenen Haltung arbeiten und sehr wohl von anderen lernen.
Sie selber habe als junge Frau viel von der Jungschar profitiert, im Theologiestudium dann das theoretische Wissen mitbekommen und im Zusammenhang mit der Dissertation gelernt, dieses Wissen als Diskussionsbeitrag zu präsentieren, mit dem andere dann weiterarbeiten.
Anna will wissen, was für Themen immer wieder kommen, wenn sie es mit innovativen Projekten zu tun hat. Die Frage der Strukturen sei wichtig: Wie hängen Projekte, die gekommen sind, um zu bleiben, mit den Kirchgemeinden zusammen, die ja die Basis der Landeskirchen sind. Da bestehe Klärungsbedarf. Dann hat Monika Wilhelm beobachtet, dass man bei Projekten immer frage, was denn daran kirchlich sei, während man das bei Senioren-Mittagstischen nicht tue.
Der Kirchgemeinde mit Ambitionen rät Monika Wilhelm, möglichst viele Menschen den Satz «Wir sind Kirche» nahezubringen. Das heisst: Sie zu ermutigen, sich einzubringen und mitzuarbeiten.
Montag, 18. September 2023: Staffel 6, Episode 3: » «Werner Näf, wie hängt das Digitale mit dem Analogen zusammen?»
Werner Näf ist Annas Vater und ein Freund von Lukas. Werner Näf ist Geschäftsführer von » https://kirchenweb.ch, einer Firma, die für Kirchgemeinden den Internet-Auftritt gestaltet und das digitale Zusammenarbeiten ermöglicht. Gelernt hat er: Eine digitale Präsenz kann fehlende analoge Relevanz nicht überdecken: Das Digitale muss auf den analogen Beziehungen berufen, so sagt es die Kirchenweb-Kommunikationspyramide. Dann aber kann kluges digitales Handwerkszeug die Zusammenarbeit sehr erleichtern.
Dafür hat Werner Näf Gemeindebau-Theologie in seine Software gegossen: Im Normalfall wird eine seiner Seiten nicht von einer Person zentral verwaltet, sondern viele Menschen können zum digitalen Leben beitragen: Sie können Räume buchen und Berichte schreiben. Dabei gilt im Digitalen, was auch im Analogen zählt: Die Abläufe müssen geklärt sein, dann können sie digitalisiert und vereinfacht werden.
Kirchgemeinden funktionieren ganz unterschiedlich. Was Werner Näf gelernt hat: Ein Kontrollgeist hilft nicht bei der Digitalisierung (und im Gemeindebau auch nicht). Fixe Strukturen geben keine Sicherheit, wenn die Beziehungen in einer Kirchgemeinde nicht funktionieren. Je weniger Strukturen vorgegeben sind, desto besser kann man zusammenarbeiten.
Werner Näf hat in der digitalen Beratung Kirchgemeinden erlebt, in denen eine Fusion noch nach Jahrzehnten nicht verarbeitet ist und andere, die wegen der Strukturen komplett blockiert sind. Er hat darum eine radikale Empfehlung: «Lasst die Strukturen einfach, wie sie sind.» Kirchgemeinden sollten lieber über die bestehenden Strukturen hinweg Beziehungen pflegen und Vertrauen wachsen lassen. Wenn man dann genügend lang und gut zusammengearbeitet hat, geht es dann ganz einfach, wenn man am Ende die Strukturen dem Leben anpasst.
Wie wächst Vertrauen?, fragt Anna. Werner Näf stellt diese Frage in den Bereich der persönlichen Heiligung: «Gönne ich dem anderen seinen Erfolg? Verschenke ich Vertrauen, ohne Angst zu haben?» Ohne Grosszügigkeit gehe es nicht. In seiner Kirchgemeinde setze der Kirchenstand auf Pizza statt Coaching: die benachbarten Kirchenstände zu einem Essen einladen wie unter Freunden baue Misstrauen ab und erleichtere die Zusammenarbeit wesentlich.
Auf die Beobachtung von Lukas, dass die Strukturdiskussionen manchmal ziemlich technokratisch geführt werden, sagt Werner Näf: «Dieser Ansatz stammt aus dem 19. Jahrhundert.» Auch in der Firmenführungsliteratur gebe es diesen stark mechanisch orientierten Ansatz. Heute denke man auch bei Firmen stärker organisch. «Aber in manchen Kirchgemeinden ist das mechanisch-hierarchische Weltbild noch stark verankert.» Manche Kirchgemeinden seien da nicht up-to-date, was das allgemein-gesellschaftliche Nachdenken über diese Fragen angehe.
Werner Näf ist seit Jahren Pfarrer der kleinen Kirchgemeinde Gächlingen (» https://ref-sh.ch/werner.naef). Was er denn als Gemeindepfarrer gelernt habe, fragt ihn Lukas. «Etwas vom Wichtigsten war: Ich muss mehr Chaos akzeptieren.» Michael Moynagh habe geschrieben, bei innovativen Projekten sei der richtige Ort an der Kante, wo man mit einem kleinen Schritt weiter im Chaos versinken würde.
Montag, 28. August 2023: Staffel 6, Episode 2: » «Franziska Huber, wie kommt Kirche in Bewegung?»
Franziska Huber ist Beauftragte für Theologie der Kantonalkirche Bern-Jura-Solothurn und leitet «Kirche in Bewegung». Ihr Herzensanliegen für Kircheneninnovation kommt aus ihrer persönlichen Geschichte: Sie ist komplett unkirchlich aufgewachsen und studierte wegen der thematischen Vielfalt Interreligiöse Studien und Theologie. Als sie gleich zu Beginn im Fach Dogmatik ein Spezialgebiet für die Prüfung angeben musste, dabei aber nicht einmal wusste, was das Wort «Dogmatik» bedeutet, machte sie eine Art Fremdheitserfahrung, die ihre weitere kirchliche Karriere prägte.
Seit sie bei der Kirche angestellt ist, setzt sie sich dafür ein, dass Menschen neben den klassischen Formen von Kirche auch andere Zugänge vorfinden. Dabei treibt sie kein missionarisches Anliegen an, sondern der Glaube, dass Menschen, die unabhängig von kirchlichen Bemühungen von Gott angesprochen werden, kirchliche Formen antreffen sollten, die ihnen entsprechen.
Ihre Kirche sei in den letzten Jahrzehnten stark von strukturellen Fragen geprägt gewesen. 2019 startete sie mit einem Team eine Tagung über Kirchenentwicklung. Von Thomas Schlegel übernahm sie die Idee der Erprobungsräume, doch dann kam Corona, und viele Kirchgemeinden wurden notgedrungen innovativ. Die Homepage » https://www.kircheinbewegung.ch widerspiegelte innovative Projekte von Kirchgemeinden und anderen kirchlichen Akteuren.
Bald wurde Franziska Huber aber etwas klar. Die Mitteldeutsche Kirche fördert zwar Innovation, nur: Was geschieht, wenn die Ressourcen abnehmen und es nicht mehr reicht für das Bestehende und das Neue? Daraus entwickelte sie drei Phasen der Förderung von innovativen Projekten:
- Erprobung: ausprobieren, was funktionieren könnte
- Strukturen schaffen: Projekte, die erfolgreich sind, brauchen Strukturen und erhalten eine Organisationsberatung
- Implementieren: Wie werden Projekte zu einem Teil der Kirche, wie es das Kirchgemeinden sind?
Franziska Huber sieht vermehrt Ressourcenkämpfe auf die Kirche zukommen. Eine inhaltliche Definition, was Kirche sei, helfe in dieser Frage nicht. Am Ende könnten nur die Projektverantwortlichen selber definieren, ob sie Kirche sein wollten; schliesslich gehöre die Kirche nicht uns, sondern Christus.
Unter Kirchgemeinden gebe es grosse Unterschiede: Es gibt Kirchgemeinden, die höchst innovativ sind – 50 Prozente der Projekte, die die Kantonalkirche fördert, finden mit Kirchgemeinden statt, 30 Prozent stammen von Kirchgemeinden, 20 Prozent agieren völlig losgelöst von Kirchgemeinden.
Franziska Hubers Erfahrung mit «Kirche in Bewegung» zeigt: Innovation entsteht, wenn die richtige Person zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist – das kann man nicht erzwingen. Offenheit helfe, eine gemeinsame Vision ebenfalls. Schliesslich braucht es den Mut, Dinge loszulassen.
Montag, 7. August 2023: Staffel 6, Episode 1: » «Bernhard Jungen, du Unfassbarer …»
Ein Traum im Schlaf liess den langjährigen Pfarrer Bernhard Jungen seine Stelle in der reformierten Kirchgemeinde in Ittigen bei Bern kündigen, obwohl er dem Kirchgemeinderat zugesagt hatte, bis zur Pensionierung zu bleiben.
Der Traum war nicht nur eine übernatürliche Berufung in einen neuen Lebensabschnitt, der Wechsel hatte sich – mindestens im Rückblick – abgezeichnet. Er sei immer mehr in die Rolle eines «Senior Pastor» gekommen, der im Hintergrund die Fäden zieht. Doch sein Gabenprofil entspreche eher dem Pionier, der Dinge nicht nur entwirft, sondern auch umsetzt.
Wenn er in der Kirchgemeinde nicht viel Freiheit gehabt hätte, Neues anzureissen – wie die Come-in-Gottesdienste oder die Lebensgemeinschaft Casapella – wäre er schon viel früher als mit 57 Jahren gegangen, sagt Bernhard Jungen auf die Beobachtung von Anna, dass innovative Menschen sich oft ausserhalb der verfassten Kirchgemeinde einbringen.
Lukas möchte wissen: Was kann die Kirchgemeinde mit Ambitionen vom Projekt der Unfassbar lernen? Sie solle Menschen mit unkonventionellen Ideen freisetzen und nicht vereinnahmen. Überhaupt neigten Kirchgemeinden dazu, selbstverliebt Menschen an sich zu binden, sagt Bernhard Jungen, anstatt dass sie Zeit hätten, im Quartier Beziehungen zu pflegen.
Wie man die Angst vor dem Stolpern loswerde, fragt Anna. «Gar nicht», sagt Bernhard Jungen, man kann sie nur überwinden. Es habe ihn über ein Jahr gekostet, bis das Unfassbar-Konzept entworfen gewesen sei. Unvorhersehbares zu akzeptieren habe er lernen müssen, und das rate er auch Kirchgemeinden.
Und noch einen Rat hat Bernhard Jungen: Kirchgemeinden sollten die Angst um die Zukunft loslassen. Schliesslich habe ihr Meister gezeigt, dass es durch das Sterben zum Leben gehe. Darum sollten Kirchgemeinden auch fröhlich Angebote einstellen.
Im Gespräch mit Anna und Lukas erzählt er schliesslich, warum ihn die aktuelle Zeit an die Apostelgeschichte erinnert.
Staffel 5 über Bücher
Montag, 17. Juli 2023: Staffel 5, Episode 10: » «Rückblick auf Staffel 5»
Acht Bücher und Acht Einsichten, die Lukas und Anna in ihrem Gemeindebau geprägt haben.
1. «Simple Church» bedeutet nicht einfach, ein paar Angebote aus dem Programm zu streichen, weil kaum noch Leute kommen. Vielmehr sollte man sich bewusst werden, welchen Fokus man als Kirchgemeinde setzt und wohin man sich bewegen möchte.
2. Von «No Silver Bullets» hat Lukas gelernt, dass es in Kirchgemeinden kaum Anlässe gibt, die auf die Gruppengrösse von 20-50 Personen ausgerichtet sind. Dabei wäre das eine Grösse, die es Menschen ermöglicht, niederschwellig Anschluss zu finden.
Eine deutsche Zusammenfassung von «No Silver Bullets», erstellt von von Lukas Huber, findet sich » hier.
3. «A Beautiful Constraint» hat Annas Kreativität angekurbelt: Sie freut sich nun über jede Einschränkung, die ihr in ihrer Arbeit begegnet, weil sie dann «out of the box» denken kann.
Eine deutsche Zusammenfassung von «A Beautiful Constraint», erstellt von von Lukas Huber, findet sich » hier.
4. Aufgrund der zwei Changemanagement-Bücher «Who Moved My Pulpit/Leading Change Without Losing It» fragt sich Lukas, ob er und seine Kirchenpflege öfter innehalten und beten sollten. Und er weiss nun besser, wie er kritische Stimmen von innerhalb und ausserhalb der Gemeinde einordnen kann.
Eine deutsche Zusammenfassung von Thom Rainers «Who Moved My Pulpit», erstellt von Lukas Huber, kann hier heruntergeladen werden: » https://www.ref-sh.ch/dok/49091.
Ein englisches Exzerpt zu Carey Nieuwhofs Buch «Leading Change Without Losing It», erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
5. Dank «Crucial Conversations» hat Anna innere Alarmglocken installiert, die ihr sagen, sobald ihr Gegenüber sich unsicher fühlt. Denn gerade heikle Gespräche sollten in einer Atmosphäre stattfinden, bei denen sich alle Beteiligten sicher genug fühlen, um die wichtigen Informationen mitzuteilen.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Crucial Conversations», von Anna Näf erstellt, kann hier heruntergeladen werden: » https://www.ref-sh.ch/dok/49320.
6. «Designed to Lead» bringt Lukas dazu, hemmungsloser Menschen für verantwortungsvolle Aufgaben anzufragen. Denn 60–70% von dem, was sie in dieser leitenden Aufgabe lernen, werden sie auch in ihrem privaten und beruflichen Alltag einbringen können.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Designed to Lead» von Eric Geiger und Kevin Peck, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
7. Beim zweiten Level von «The 5 Levels of Leadership» hat Anna gelernt: Sich um die Menschen kümmern, die man führt, heisst nicht, alle glücklich zu machen, sondern allen zu helfen, ihre Arbeit gut zu machen.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The 5 Levels of Leadership» von John C. Maxwell, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
8. «The Unstuck Church» beschreibt, wie man sich um Organisationen kümmert, die auf dem absteigenden Ast sind. Ein wichtiger Grundsatz: Sich nicht nur um diejenigen kümmern, die noch da sind.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The Unstuck Churcb» von Tony Morgan, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Montag, 26. Juni 2023: Staffel 5, Episode 9: » «The Unstuck Church»
«The Unstuck Church» beschreibt den Prozess einer Kirchgemeinde von ihrer Gründung bis zu ihrem Sterben. Auch wenn es in der Reformierten Kirche keine wirklichen Neugründungen von Kirchgemeinden gibt, können wir doch von allen sieben Phasen etwas lernen.
Es beginnt mit der Gründung: In dieser Phase braucht es eine Leader-Persönlichkeit, welche die Vision und Werte klärt und vermittelt. Da ist gute Führung wichtiger als Predigt und Seelsorge.
Dann kommt das Momentums-Wachstum: Immer mehr Leute schliessen sich an und es herrscht eine gute Stimmung. Auch wenn alles noch ohne klare Strukturen und Abläufe funktioniert, sollte man langsam darüber nachdenken.
In der Phase des strategischen Wachstums müssen diese Strukturen festgelegt werden. Für die Führungsperson bedeutet das in erster Linie, Aufgaben abzugeben. Drei Dinge darf sie allerdings nicht abgeben: 1. Predigen und lehren 2. Das oberste Team führen 3. Die Gemeinde und die Teams permanent an die Vision erinnern.
Die Phase «Sustained Health» bildet den Höhepunkt der Wachstumskurve. Dort gilt: Gesundheit ist wichtiger als Wachstum.
Der Übergang zur absteigenden Phase der «Verwaltung» ist meist nicht so gut sichtbar. Schleichend werden die Methoden wichtiger als die Vision. Deshalb wird es wichtig, diese wieder neu zu entwickeln.
Wenn man in der Phase der «Aufrechterhaltung» angekommen ist, muss man grundlegende Dinge ändern. Das ist oft schmerzhaft und benötigt gutes Change Management. In allen absteigenden Stufen gilt: Hoffnung ist keine Strategie.
Ist man bei den «Lebenserhaltenden Massnahmen» angekommen, gibt es nur noch eine Entscheidung: Entweder man lässt die Kirchgemeinde sterben oder es beginnt ein radikaler Neuanfang mit einer ganz neuen Leitung.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The Unstuck Church» von Tony Morgan, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Montag, 5. Juni 2023: Staffel 5, Episode 8: » «The 5 Levels of Leadership»
John C. Maxwell beschreibt mithilfe von fünf Stufen, in welche Richtung man sich als Führungsperson entwickeln sollte. Bei diesen Stufen geht es nicht nur um Fähigkeiten, die man sich aneignet und dann bis zum Lebensende hat, sondern auch um Stufen der Führungsbeziehung, die zu jeder geführten Person verschieden sind. Eine Pfarrperson kann beispielsweise die Jungscharhauptleiterin auf der Stufe vier führen, während sie das neu gegründete Chilekafi-Team noch auf Stufe zwei führt.
Je öfter man die Stufen schon bis zum eigenen obersten Level erklommen hat, desto einfacher kommt man bei neuen Menschen zur nächsten Stufe.
Stufe 1 lautet «Position». Der Grund, warum man andere führen darf, ist meistens zuerst die höhere offizielle Position. Doch wenn strukturelle Autorität der einzige Grund bleibt, warum sich andere von einem führen lassen, dann werden sie das nicht lange tun.
Es braucht einen baldigen Schritt zu Stufe 2: «Erlaubnis» (Permission). Erst, wenn man sich um die Leute kümmert, mit denen man zusammenarbeitet, geben sie einem die (innere) Erlaubnis, sie zu führen. Gute Leader hören zu, lernen und führen erst dann. «Sich kümmern» bedeutet nicht, alle glücklich zu machen und allen zu gefallen, sondern darum, allen zu helfen, ihre Arbeit gut zu machen.
Stufe 3 ist die «Produktion». Wer mit seinem Team Ziele erreicht, setzt viel Energie und Begeisterung frei. Das bedeutet auch: Man sollte an seinen eigenen Fähigkeiten arbeiten. Nur wenn ich gut bin in dem, was ich tue, kann ich meinen Beitrag dazu leisten, dass auch andere ihre Stärken einbringen und sich darauf konzentrieren.
Die wahrscheinlich wichtigste Stufe 4 für eine Kirchgemeinde lautet: «Menschen entwickeln» (People Development). Eine Führungsperson auf Stufe 4 sagt nie: «Wenn ich die Aufgabe selber erledige, bin ich schneller, als wenn ich anderen zeige, wie es geht.» Denn sie weiss: Erst wenn ich andere zu Leadern aufbaue, kann sich mein Wirken multiplizieren. Wer andere aufbauen will, muss das Ego überwinden, die Kontrolle abgeben und anderen vertrauen wollen.
Auf Stufe 5 ist man auf dem «Gipfel» (Pinnacle). Lukas ist sich nicht sicher, ob dies noch ein zusätzliches Level sein muss, da es eigentlich die logische Folge aus Stufe vier ist: Wenn man andere Menschen zu Leadern ausbildet, sollte man sie auch lehren, wie sie wiederum andere zu Leadern machen können.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The 5 Levels of Leadership» von John C. Maxwell, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Montag, 15. Mai 2023: Staffel 5, Episode 7: » «Designed to Lead»
Das Buch gründet in der Annahme, dass die Kirche von Gott dazu berufen wurde, Leader aufzubauen. Leader sind nicht unbedingt angestellte Pfarrerinnen oder Sozialdiakone, sondern Menschen, die aus ihrer christlichen Überzeugung heraus ihr Umfeld mitgestalten und Verantwortung übernehmen.
«Ich kenne kaum eine reformierte Kirche, in welcher man diesen Auftrag ernst nimmt», sagt Lukas. Bei Pfarrermangel schichte man die Arbeit auf Sozialdiakoninnnen und Katecheten um. Entgegen diesem Ansatz versuche er speziell in der Jugendarbeit seit Jahren einen anderen Weg zu gehen: «Wir bauen gezielt Leader aus unserer Gemeinde auf, die ehrenamtlich mitgestalten. Wenn sie mit ihren zeitlichen Ressourcen an Grenzen stossen, dann weiten wir diese Grenzen mit einer entlöhnten Anstellung aus.»
Doch wie baut man Leader auf? «Designed to Lead» zeigt ein Modell von drei konzentrischen Kreisen, die es benötigt, um Leitungsfähigkeiten zu fördern:
Wenn die Entscheidungsträgerinnen und -träger in einer Kirchgemeinde nicht zutiefst davon überzeugt sind, dass sie Menschen fördern und ausbilden sollen, dann wird es auch nicht geschehen. «Wenn eine Kirche glaubt, dass wir schon ok sind, wie wir sind, und dass Gott das auch ok findet, wird wenig Feuer entstehen, wenig Begeisterung und wenig Engagement für die Kirche als der Ort, wo sich das Leben von Menschen verändert.» Nur mit dieser Überzeugung kann dann eine Kultur der Leiterförderung wachsen.
Doch Überzeugung und Kultur alleine reichen nicht aus: Es müssen Strukturen geschaffen werde, die Raum zum Mitgestalten geben und Menschen gezielt fördern. «Wir fragen bei allen Teams gezielt nach, ob Leitungskurse besucht werden und übernehmen die Kosten dafür», sagt Lukas.
«Verantwortung zu übernehmen klingt nach viel Arbeit und ist nicht das, was in einer individualistischen Gesellschaft gesucht wird«, meint Anna. Sie habe aber kürzlich erlebt, wie eine junge Frau aufgeblüht ist, weil sie genau am richtigen Ort ihre Fähigkeiten einsetzen konnte. Wenn wir nicht einfach Aufgaben verteilen, sondern Menschen dabei begleiten, ihren Ort zur Mitgestaltung zu finden, dann setzt das mehr Energie frei, als es kostet.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Designed to Lead» von Eric Geiger und Kevin Peck, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Montag, 24. April 2023: Staffel 5, Episode 6: » «Crucial Conversations»
«Würden alle kirchlichen Mitarbeitenden die grundlegenden Tools in diesem Buch anwenden, dann hätten wir in der Kirche massiv weniger Burnouts, gute Leute würden länger in ihren Ämtern bleiben und hätten Freude an ihrer Arbeit», behauptet Anna. Das Buch «Crucial Conversations» erklärt, wie man in heiklen Situationen das Wort ergreift und das Gespräch so führt, dass sich alle Konfliktparteien gehört fühlten.
Heikle Gespräche zeichnen sich durch drei Aspekte aus:
Anna nennt ein Beispiel: «Wenn eine Kirchenpflegerin mit einer Spurgruppe über neue Gottesdienstformen nachdenken möchte und die Pfarrperson sich dadurch in ihrer Arbeit kritisiert fühlt.»
Wenn starke Emotionen im Spiel sind, ist die Gefahr gross, dass man nur zwei Optionen sieht: Entweder bin ich ehrlich oder ich behalte eine:n Freund:in. «Ich selber bin dann lieber nett und spreche ein Problem nicht an. Das hat mich schon ziemlich gebissen», erklärt Lukas.
Aber die Autoren von «Crucial Conversations» zeigen einen dritten Weg: man kann jede Meinung teilen, ohne das Gegenüber vor den Kopf zu stossen, wenn man für die geeignete Gesprächsatmosphäre sorgt.
Dazu muss man erstens die Anzeichen erkennen, wenn das Gegenüber beginnt, sich unsicher zu fühlen.
Unsicherheit zeigt sich immer in Form von «Silence» (Rückzug) oder «Violence» (Angriff). Beides verhindert, dass die Gesprächspartner preisgeben, was ihnen wirklich wichtig ist.
Um eine Gesprächssituation wieder sicher zu machen, muss man dem Gegenüber zeigen, dass man dasselbe Ziel verfolgt und seine Interessen, Wünsche und Bedürfnisse respektiert.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Crucial Conversations», von Anna Näf erstellt, kann » hier heruntergeladen werden.
Montag, 3. April 2023: Staffel 5, Episode 5: » Zwei Bücher über «Change Management»
Wer etwas verändern möchte, wird immer auf Widerstand stossen. Lukas und Anna sprechen über Denk- und Handlungsmuster, die dabei helfen, Menschen für Veränderungen zu gewinnen. Sie gehen dem Buch «Who Moved My Pulpit» von Thom Rainer entlang, der seinerseits schamlos bei John Kotters Klassiker «Leading Change» abkupfert, wie Lukas zu Beginn festhält.
Der erste Punkt ist simpel, aber nicht selbstverständlich: Beten. Eine gemeinsame Gebetskultur innerhalb eines Leitungsgremiums hilft einerseits, demütig und emotional ausgeglichen in eine Sitzung zu starten. Andererseits könnte es ja tatsächlich sein, dass göttlich inspirierte Gedanken in die Planung einfliessen.
Wenn man etwas ändern möchte, muss man klar aufzeigen, weshalb Veränderung notwendig ist – Dringlichkeit zu kommunizieren hilft. Dabei sind Zahlen und Statistiken hilfreich.
Man könnte meinen, dass für Veränderungen zuerst die wichtigsten Entscheidungsträgerinnen und -träger gewonnen werden müssen: Kirchenpflege und Angestellte. Doch gemäss Thom Rainer ist es wichtiger, eine informelle Gruppe zu bilden von Menschen, die sich gut verstehen, Einfluss auf die Leute der Kirchgemeinde haben oder das nötige Fachwissen mitbringen.
Der vierte Punkt von Thom Rainer ist: Ein hoffnungsvolles Bild der Zukunft kommunizieren.
«Es macht einen grossen Unterschied, ob wir als Kirche danach fragen ‹Was müssen wir tun, damit die Leute nicht wegrennen?› oder ‹Was haben wir zu bieten und wie bringen wir das unter die Leute?›», meint Anna.
Eine zentrale Frage ist, wie man mit kritischen Stimmen umgeht. Veränderung stösst immer auf Widerstand. Die Gefahr ist, dass man die wenigen lauten Gegnerinnen und Gegner mehr gewichtet, als die vielen stillen Befürworter:innen. Um die kritischen Stimmen zu filtern, sollte man sich fragen: «Ist das die Art von Person, mit der wir die Zukunft unserer Kirche gestalten werden?»
Ein Tipp von Nieuwhof, den Lukas besonders wichtig findet: Wähle eine beziehungsorientierte Form, um auf Kritik einzugehen. Wenn dich eine Kritik per E-Mail erreicht, dann antworte telefonisch. Wenn dir jemand auf die Mailbox spricht, triff dich mit der Person auf einen Kaffee.
Um diejenigen für die Veränderungen zu gewinnen, die noch zögern, braucht es erste kleine Schritte mit klaren Resultaten, die zeigen, dass es funktioniert.
Eine deutsche Zusammenfassung von Thom Rainers «Who Moved My Pulpit» kann » hier heruntergeladen werden
Ein englisches Exzerpt zu Carey Nieuwhofs Buch «Leading Change Without Losing It» findet sich » hier
Montag, 13. März 2023: Staffel 5, Episode 4: » «A Beautiful Constraint»
Lukas und Anna reden über ein Wirtschaftsbuch, dem sie zutrauen, dass es in der Kirche einiges bewegen kann. Die Grundaussage des Buches lautet: Werde nicht frustriert, wenn du einer Einschränkung begegnest, sondern versteh es als Chance, um neue Wege einzuschlagen. «In der Kunst werden Einschränkungen oft genutzt, um kreative Prozesse anzutreiben. Wenn ich mich darauf beschränke, einen Text in Reimform zu schreiben, dann kommt etwas ganz anderes dabei heraus, als wenn ich frei drauflos schreibe», erklärt Anna. «So nach dem Prinzip: Not macht erfinderisch», fasst Lukas zusammen.
Die Autoren Adam Morgan und Mark Barden liefern konkrete Hilfestellungen, wie man Einschränkungen positiv begegnen kann.
Als erstes sollte man sich grundsätzlich fragen, wo man als Organisation einem vorgetrampelten Pfad folgt, den man hinterfragen könnte. Wenn beispielsweise die Einnahmen der Kirchensteuern zurückgehen, ist der logische Pfad, dass man zu sparen beginnt. Um diese Pfadabhängigkeit zu durchbrechen könnte man aber auch fragen, ob andere Finanzierungsquellen möglich wären.
Zweitens solle man «antreibende Fragen» stellen. Eine antreibende Frage besteht aus einem einzigen Satz, welcher das Ziel und die gegebene Einschränkung verbinden. Ikea lieferte ein schönes Beispiel, als sie sich fragten: «Wie bauen wir ein schönes, stabiles Tischchen (Ziel) für fünf Franken (Einschränkung)?»
Solche Fragen zwingen einem dazu, neue Wege einzuschlagen und helfen, aus der Haltung «Aber das geht gar nicht!» herauszukommen. Lukas erzählt, wie sie in einer Jugendarbeitssitzung die Frage bearbeitet haben: «Wie finden wir die 20 Leiterinnen und Leiter im Konflager, wenn wir neben dem Konflager noch viele weitere Projekte haben?» In einem Brainstorming-Prozess haben sie Antworten auf diese Frage gesucht, indem sie «Können-falls»-Sätze formulierten. Herausgefunden haben sie/mögliche Antworten sind:
Das Buch «A Beautiful Constraint» enthält viele weitere Tools, die dabei helfen, Einschränkungen in Chancen zu verwandeln.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs, erstellt von von Lukas Huber, findet sich hier: » https://www.ref-sh.ch/dok/49088
Montag, 20. Februar 2023: Staffel 5, Episode 3: » «No Silver Bullets»
«No Silver Bullets» behandelt fünf «Mikroveränderungen», die eine Kirchgemeinde in eine völlig neue Richtung lenken können sollen. Lukas und Anna finden drei Aspekte besonders bemerkenswert:
1. Input-Ziele statt Output-Ziele
Input-Ziele konzentrieren sich auf das geistige Wachstum und die Entwicklung von Einzelpersonen, anstatt nur den Output von Programmen oder Veranstaltungen zu messen. Bei Input-Zielen geht es um die Frage «Wer wollen wir werden?» und nicht um «Was wollen wir tun?» Geistliche Reife kann man aber nicht auf Knopfdruck erzeugen – man kann lediglich die Rahmenbedingungen schaffen, welche geistliche Reife fördern.
2. Soziale Räume gezielt gestalten
Gottesdienste sind öffentliche Veranstaltungen für grosse Gruppen und werden meist so gestaltet, dass man anonym teilnehmen kann. Hauskreise sind kleine Gruppen, wo persönliche, vertrauensvolle Gespräche geführt werden und man niemandem ausweichen kann. Zwischen dem öffentlichen und dem persönlichen Raum liegt der «soziale Raum»: das Apéro- oder Gartenparty-Setting. Lukas und Anna sind sich einig, dass dieses Setting für kirchliche Aktivitäten sehr geeignet wäre, in reformierten Kirchgemeinden aber nur selten bespielt werde.
3. Menschen dabei helfen, ihren Glauben in Worte zu fassen
«Wer mit anderen Menschen über den eigenen Glauben spricht, wird automatisch reifer», zitiert Lukas den Autor Daniel Im. Anna stimmt ihm zwar zu, äussert aber auch Bedenken. «Man kann auch auf eine sehr unreife Art anderen den eigenen Glauben um die Ohren schlagen.» Doch das Fazit bleibt: Als Kirche sollten wir Menschen dabei helfen, Hemmungen abzubauen, um über das zu sprechen, wovon sie bewegt sind und so geistlich reifer zu werden.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs, erstellt von von Lukas Huber, findet sich hier: » https://www.ref-sh.ch/dok/49090
Montag, 30. Januar 2023: Staffel 5, Episode 2: » «Simple Church», Teil 2»
Wie kann eine reformierte Kirchgemeinde zu einer «einfachen Kirche» werden? Das Konzept «Simple Church» haben Anna und Lukas in der vergangene Episode bereits erklärt: Statt eine breiten Palette von verschiedenen Angeboten soll sich eine Kirchgemeinde überlegen, welchen geistlichen Prozess sie sich für die Menschen wünscht, die mit ihr unterwegs sind.
Die Autoren zeigen in vier Schritten, wie eine komplexe Kirche zu einer «Simple Church» wird: Klarheit, Bewegung, Ausrichtung, Fokus.
Klarheit heisst: Der geistliche Prozess und die verschiedenen Programme, die diesen unterstützen, sind klar verständlich und prägnant formuliert. Alle, die mit der Kirche im Kontakt sind, kennen und verstehen den Prozess. Die Schwierigkeit einer etablierten Kirche ist: Wer definiert diesen Prozess? Und wer sorgt für eine langfristige Klarheit? Das ist nur möglich, wenn Kirchenpflege und Pfarrpersonen bereit sind, Zeit zu investieren in die Entwicklung einer langfristigen Vision. Dazu braucht es Commitment, eine langfristige Perspektive und die verbindliche Bereitschaft, mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl die ganze Kirchgemeinde auf diesen Weg mitzunehmen.
Bewegung: Kein Anlass der Kirchgemeinde steht für sich allein. Jedes Angebot hat ein Folgeangebot und man stellt sich immer die Frage: Was ist der nächste Schritt für die Teilnehmenden? Anna und Lukas besprechen, welche Rolle Gottesdienste und Kasualien in einer solchen Bewegung spielen können.
Ausrichtung: Alle Mitarbeitenden wissen, welche Rolle sie und ihre Angebote im ganzen Prozess spielen. Es wird nicht das eigene Gärtli gepflegt, sondern auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet. Das bedeutet: Wenn man neue Mitarbeitende sucht, ist nicht nur wichtig, dass sie kompetent sind und es theologisch passt, sondern auch, dass sie sich in den Prozess einklinken können. «Aber können wir uns das leisten, wenn es eh schon so schwierig ist, gute Mitarbeitende zu finden?» fragt Anna.
Fokus: Simple Church heisst vor allem «nein» sagen. Von den 1000 Dingen, die man als Kirchgemeinde machen könnte, entscheidet man sich für ganz wenige, die man fokussiert durchführt. Das ist nicht immer einfach. Wie geht man damit um, wenn Freiwillige ein neues Angebot starten wollen, das nicht in den Prozess passt?
Auch wenn es vermutlich nicht möglich ist, dass eine Reformierte Kirche vollumfänglich zu einer «Simple Church» wird: Das Konzept kann helfen, das Gemeindeleben bewusster zu designen. Anna und Lukas bringen ein paar Vorschläge, wie das aussehen kann.
Montag, 9. Januar 2023: Staffel 5, Episode 1: » «Simple Church», Teil 1»
Das Konzept «Simple Church» spricht Leute in der Gemeindeleitung an, die zu viel arbeiten und trotzdem das Gefühl haben, ihren Aufgaben nicht gerecht zu werden. Also wohl die meisten von uns.
Das Grundkonzept ist einfach: Statt Programme anzubieten soll sich eine Kirchgemeinde überlegen, welchen geistlichen Prozess sie fördern möchte. Wie sollen sich Menschen entwickeln, wenn sie ein Teil der kirchlichen Gemeinschaft werden? In einem zweiten Schritt kann man dann damit beginnen, die Programme entlang dieses geistlichen Prozesses zu orchestrieren.
«Eine Simple Church fragt danach, wie ‹Geistliches Wachstum› oder ‹Jüngerschaft› gefördert wird – wobei ich diese Begriffe vor allem aus dem freikirchlichen Kontext kenne«, bemerkt Anna. Lukas weist auf den Begriff «Nachfolge» hin, der als reformiertes Pendant ebenfalls einen inneren und äusseren Wachstumsprozess beschreibt. Dietrich Bonhoeffer hat immerhin ein Buch mit dem Titel «Nachfolge» geschrieben.
Die Autoren von «Simple Church» machen ein Beispiel für einen solchen geistlichen Prozess: Das Ziel ist, dass Menschen in ihrer Liebe zu Gott wachsen, dann in der Liebe zu den Mitmenschen und sich schlussendlich für ihr Quartier, ihre Stadt, ihr Dorf engagieren. Die Liebe zu Gott wird im Gottesdienst gefördert. Anschliessend werden die Leute zu Hauskreisen eingeladen, wo sie die Liebe zu den Mitmenschen vertiefen. Danach können sie sich in einem Team engagieren, welches sich für das Wohl der Stadt engagiert. Es gibt nur diese drei Gefässe - keine Gemeindeferien, Mittagstische, Meditations-Retraiten oder Senior:innennachmittage. Das klingt irgendwie revolutionär. Aber wozu sollte man das machen?
Mitglieder einer Simple Church müssen sich nicht entscheiden, an welchen der vielen Programme sie teilnehmen. Sondern sie wissen zu jedem Zeitpunkt, an welchem Ort im Prozess sie stehen und welche Programme für sie gedacht sind.
Dieses Prozessdenken entlastet zudem den kirchlichen Kalender und verhindert, dass die verschiedenen Programme um Teilnehmende und Mitarbeitende konkurrieren. Es schützt auch davor, immer neue Angebote ins Leben zu rufen: Wenn man ein neues Thema vertieft betrachten möchte, nutzt man die bereits bestehenden Gefässe innerhalb des Prozesses.
Aber natürlich ist es als reformierte Kirchgemeinde nicht so einfach, sich in eine Simple Church zu verwandeln. Wie das gehen kann und welche Herausforderungen sich dabei stellen, werden Anna und Lukas in der nächsten Episode besprechen.
Thom S. Rainer, Eric Geiger, «Simple Church», » https://books.google.ch/books/about/Simple_Church.html?id=qCm5AwAAQBAJ
Acht Bücher und Acht Einsichten, die Lukas und Anna in ihrem Gemeindebau geprägt haben.
1. «Simple Church» bedeutet nicht einfach, ein paar Angebote aus dem Programm zu streichen, weil kaum noch Leute kommen. Vielmehr sollte man sich bewusst werden, welchen Fokus man als Kirchgemeinde setzt und wohin man sich bewegen möchte.
2. Von «No Silver Bullets» hat Lukas gelernt, dass es in Kirchgemeinden kaum Anlässe gibt, die auf die Gruppengrösse von 20-50 Personen ausgerichtet sind. Dabei wäre das eine Grösse, die es Menschen ermöglicht, niederschwellig Anschluss zu finden.
Eine deutsche Zusammenfassung von «No Silver Bullets», erstellt von von Lukas Huber, findet sich » hier.
3. «A Beautiful Constraint» hat Annas Kreativität angekurbelt: Sie freut sich nun über jede Einschränkung, die ihr in ihrer Arbeit begegnet, weil sie dann «out of the box» denken kann.
Eine deutsche Zusammenfassung von «A Beautiful Constraint», erstellt von von Lukas Huber, findet sich » hier.
4. Aufgrund der zwei Changemanagement-Bücher «Who Moved My Pulpit/Leading Change Without Losing It» fragt sich Lukas, ob er und seine Kirchenpflege öfter innehalten und beten sollten. Und er weiss nun besser, wie er kritische Stimmen von innerhalb und ausserhalb der Gemeinde einordnen kann.
Eine deutsche Zusammenfassung von Thom Rainers «Who Moved My Pulpit», erstellt von Lukas Huber, kann hier heruntergeladen werden: » https://www.ref-sh.ch/dok/49091.
Ein englisches Exzerpt zu Carey Nieuwhofs Buch «Leading Change Without Losing It», erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
5. Dank «Crucial Conversations» hat Anna innere Alarmglocken installiert, die ihr sagen, sobald ihr Gegenüber sich unsicher fühlt. Denn gerade heikle Gespräche sollten in einer Atmosphäre stattfinden, bei denen sich alle Beteiligten sicher genug fühlen, um die wichtigen Informationen mitzuteilen.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Crucial Conversations», von Anna Näf erstellt, kann hier heruntergeladen werden: » https://www.ref-sh.ch/dok/49320.
6. «Designed to Lead» bringt Lukas dazu, hemmungsloser Menschen für verantwortungsvolle Aufgaben anzufragen. Denn 60–70% von dem, was sie in dieser leitenden Aufgabe lernen, werden sie auch in ihrem privaten und beruflichen Alltag einbringen können.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Designed to Lead» von Eric Geiger und Kevin Peck, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
7. Beim zweiten Level von «The 5 Levels of Leadership» hat Anna gelernt: Sich um die Menschen kümmern, die man führt, heisst nicht, alle glücklich zu machen, sondern allen zu helfen, ihre Arbeit gut zu machen.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The 5 Levels of Leadership» von John C. Maxwell, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
8. «The Unstuck Church» beschreibt, wie man sich um Organisationen kümmert, die auf dem absteigenden Ast sind. Ein wichtiger Grundsatz: Sich nicht nur um diejenigen kümmern, die noch da sind.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The Unstuck Churcb» von Tony Morgan, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Montag, 26. Juni 2023: Staffel 5, Episode 9: » «The Unstuck Church»
«The Unstuck Church» beschreibt den Prozess einer Kirchgemeinde von ihrer Gründung bis zu ihrem Sterben. Auch wenn es in der Reformierten Kirche keine wirklichen Neugründungen von Kirchgemeinden gibt, können wir doch von allen sieben Phasen etwas lernen.
Es beginnt mit der Gründung: In dieser Phase braucht es eine Leader-Persönlichkeit, welche die Vision und Werte klärt und vermittelt. Da ist gute Führung wichtiger als Predigt und Seelsorge.
Dann kommt das Momentums-Wachstum: Immer mehr Leute schliessen sich an und es herrscht eine gute Stimmung. Auch wenn alles noch ohne klare Strukturen und Abläufe funktioniert, sollte man langsam darüber nachdenken.
In der Phase des strategischen Wachstums müssen diese Strukturen festgelegt werden. Für die Führungsperson bedeutet das in erster Linie, Aufgaben abzugeben. Drei Dinge darf sie allerdings nicht abgeben: 1. Predigen und lehren 2. Das oberste Team führen 3. Die Gemeinde und die Teams permanent an die Vision erinnern.
Die Phase «Sustained Health» bildet den Höhepunkt der Wachstumskurve. Dort gilt: Gesundheit ist wichtiger als Wachstum.
Der Übergang zur absteigenden Phase der «Verwaltung» ist meist nicht so gut sichtbar. Schleichend werden die Methoden wichtiger als die Vision. Deshalb wird es wichtig, diese wieder neu zu entwickeln.
Wenn man in der Phase der «Aufrechterhaltung» angekommen ist, muss man grundlegende Dinge ändern. Das ist oft schmerzhaft und benötigt gutes Change Management. In allen absteigenden Stufen gilt: Hoffnung ist keine Strategie.
Ist man bei den «Lebenserhaltenden Massnahmen» angekommen, gibt es nur noch eine Entscheidung: Entweder man lässt die Kirchgemeinde sterben oder es beginnt ein radikaler Neuanfang mit einer ganz neuen Leitung.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The Unstuck Church» von Tony Morgan, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Montag, 5. Juni 2023: Staffel 5, Episode 8: » «The 5 Levels of Leadership»
John C. Maxwell beschreibt mithilfe von fünf Stufen, in welche Richtung man sich als Führungsperson entwickeln sollte. Bei diesen Stufen geht es nicht nur um Fähigkeiten, die man sich aneignet und dann bis zum Lebensende hat, sondern auch um Stufen der Führungsbeziehung, die zu jeder geführten Person verschieden sind. Eine Pfarrperson kann beispielsweise die Jungscharhauptleiterin auf der Stufe vier führen, während sie das neu gegründete Chilekafi-Team noch auf Stufe zwei führt.
Je öfter man die Stufen schon bis zum eigenen obersten Level erklommen hat, desto einfacher kommt man bei neuen Menschen zur nächsten Stufe.
Stufe 1 lautet «Position». Der Grund, warum man andere führen darf, ist meistens zuerst die höhere offizielle Position. Doch wenn strukturelle Autorität der einzige Grund bleibt, warum sich andere von einem führen lassen, dann werden sie das nicht lange tun.
Es braucht einen baldigen Schritt zu Stufe 2: «Erlaubnis» (Permission). Erst, wenn man sich um die Leute kümmert, mit denen man zusammenarbeitet, geben sie einem die (innere) Erlaubnis, sie zu führen. Gute Leader hören zu, lernen und führen erst dann. «Sich kümmern» bedeutet nicht, alle glücklich zu machen und allen zu gefallen, sondern darum, allen zu helfen, ihre Arbeit gut zu machen.
Stufe 3 ist die «Produktion». Wer mit seinem Team Ziele erreicht, setzt viel Energie und Begeisterung frei. Das bedeutet auch: Man sollte an seinen eigenen Fähigkeiten arbeiten. Nur wenn ich gut bin in dem, was ich tue, kann ich meinen Beitrag dazu leisten, dass auch andere ihre Stärken einbringen und sich darauf konzentrieren.
Die wahrscheinlich wichtigste Stufe 4 für eine Kirchgemeinde lautet: «Menschen entwickeln» (People Development). Eine Führungsperson auf Stufe 4 sagt nie: «Wenn ich die Aufgabe selber erledige, bin ich schneller, als wenn ich anderen zeige, wie es geht.» Denn sie weiss: Erst wenn ich andere zu Leadern aufbaue, kann sich mein Wirken multiplizieren. Wer andere aufbauen will, muss das Ego überwinden, die Kontrolle abgeben und anderen vertrauen wollen.
Auf Stufe 5 ist man auf dem «Gipfel» (Pinnacle). Lukas ist sich nicht sicher, ob dies noch ein zusätzliches Level sein muss, da es eigentlich die logische Folge aus Stufe vier ist: Wenn man andere Menschen zu Leadern ausbildet, sollte man sie auch lehren, wie sie wiederum andere zu Leadern machen können.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «The 5 Levels of Leadership» von John C. Maxwell, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Montag, 15. Mai 2023: Staffel 5, Episode 7: » «Designed to Lead»
Das Buch gründet in der Annahme, dass die Kirche von Gott dazu berufen wurde, Leader aufzubauen. Leader sind nicht unbedingt angestellte Pfarrerinnen oder Sozialdiakone, sondern Menschen, die aus ihrer christlichen Überzeugung heraus ihr Umfeld mitgestalten und Verantwortung übernehmen.
«Ich kenne kaum eine reformierte Kirche, in welcher man diesen Auftrag ernst nimmt», sagt Lukas. Bei Pfarrermangel schichte man die Arbeit auf Sozialdiakoninnnen und Katecheten um. Entgegen diesem Ansatz versuche er speziell in der Jugendarbeit seit Jahren einen anderen Weg zu gehen: «Wir bauen gezielt Leader aus unserer Gemeinde auf, die ehrenamtlich mitgestalten. Wenn sie mit ihren zeitlichen Ressourcen an Grenzen stossen, dann weiten wir diese Grenzen mit einer entlöhnten Anstellung aus.»
Doch wie baut man Leader auf? «Designed to Lead» zeigt ein Modell von drei konzentrischen Kreisen, die es benötigt, um Leitungsfähigkeiten zu fördern:
- Überzeugung
- Kultur
- Struktur
Wenn die Entscheidungsträgerinnen und -träger in einer Kirchgemeinde nicht zutiefst davon überzeugt sind, dass sie Menschen fördern und ausbilden sollen, dann wird es auch nicht geschehen. «Wenn eine Kirche glaubt, dass wir schon ok sind, wie wir sind, und dass Gott das auch ok findet, wird wenig Feuer entstehen, wenig Begeisterung und wenig Engagement für die Kirche als der Ort, wo sich das Leben von Menschen verändert.» Nur mit dieser Überzeugung kann dann eine Kultur der Leiterförderung wachsen.
Doch Überzeugung und Kultur alleine reichen nicht aus: Es müssen Strukturen geschaffen werde, die Raum zum Mitgestalten geben und Menschen gezielt fördern. «Wir fragen bei allen Teams gezielt nach, ob Leitungskurse besucht werden und übernehmen die Kosten dafür», sagt Lukas.
«Verantwortung zu übernehmen klingt nach viel Arbeit und ist nicht das, was in einer individualistischen Gesellschaft gesucht wird«, meint Anna. Sie habe aber kürzlich erlebt, wie eine junge Frau aufgeblüht ist, weil sie genau am richtigen Ort ihre Fähigkeiten einsetzen konnte. Wenn wir nicht einfach Aufgaben verteilen, sondern Menschen dabei begleiten, ihren Ort zur Mitgestaltung zu finden, dann setzt das mehr Energie frei, als es kostet.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Designed to Lead» von Eric Geiger und Kevin Peck, erstellt von Lukas Huber, findet sich » hier.
Montag, 24. April 2023: Staffel 5, Episode 6: » «Crucial Conversations»
«Würden alle kirchlichen Mitarbeitenden die grundlegenden Tools in diesem Buch anwenden, dann hätten wir in der Kirche massiv weniger Burnouts, gute Leute würden länger in ihren Ämtern bleiben und hätten Freude an ihrer Arbeit», behauptet Anna. Das Buch «Crucial Conversations» erklärt, wie man in heiklen Situationen das Wort ergreift und das Gespräch so führt, dass sich alle Konfliktparteien gehört fühlten.
Heikle Gespräche zeichnen sich durch drei Aspekte aus:
- Entgegengesetzte Meinungen.
- Der Outcome (das Resultat) des Gesprächs ist entscheidend. Es steht viel auf dem Spiel.
- Starke Emotionen sind involviert.
Anna nennt ein Beispiel: «Wenn eine Kirchenpflegerin mit einer Spurgruppe über neue Gottesdienstformen nachdenken möchte und die Pfarrperson sich dadurch in ihrer Arbeit kritisiert fühlt.»
Wenn starke Emotionen im Spiel sind, ist die Gefahr gross, dass man nur zwei Optionen sieht: Entweder bin ich ehrlich oder ich behalte eine:n Freund:in. «Ich selber bin dann lieber nett und spreche ein Problem nicht an. Das hat mich schon ziemlich gebissen», erklärt Lukas.
Aber die Autoren von «Crucial Conversations» zeigen einen dritten Weg: man kann jede Meinung teilen, ohne das Gegenüber vor den Kopf zu stossen, wenn man für die geeignete Gesprächsatmosphäre sorgt.
Dazu muss man erstens die Anzeichen erkennen, wenn das Gegenüber beginnt, sich unsicher zu fühlen.
Unsicherheit zeigt sich immer in Form von «Silence» (Rückzug) oder «Violence» (Angriff). Beides verhindert, dass die Gesprächspartner preisgeben, was ihnen wirklich wichtig ist.
Um eine Gesprächssituation wieder sicher zu machen, muss man dem Gegenüber zeigen, dass man dasselbe Ziel verfolgt und seine Interessen, Wünsche und Bedürfnisse respektiert.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs «Crucial Conversations», von Anna Näf erstellt, kann » hier heruntergeladen werden.
Montag, 3. April 2023: Staffel 5, Episode 5: » Zwei Bücher über «Change Management»
Wer etwas verändern möchte, wird immer auf Widerstand stossen. Lukas und Anna sprechen über Denk- und Handlungsmuster, die dabei helfen, Menschen für Veränderungen zu gewinnen. Sie gehen dem Buch «Who Moved My Pulpit» von Thom Rainer entlang, der seinerseits schamlos bei John Kotters Klassiker «Leading Change» abkupfert, wie Lukas zu Beginn festhält.
Der erste Punkt ist simpel, aber nicht selbstverständlich: Beten. Eine gemeinsame Gebetskultur innerhalb eines Leitungsgremiums hilft einerseits, demütig und emotional ausgeglichen in eine Sitzung zu starten. Andererseits könnte es ja tatsächlich sein, dass göttlich inspirierte Gedanken in die Planung einfliessen.
Wenn man etwas ändern möchte, muss man klar aufzeigen, weshalb Veränderung notwendig ist – Dringlichkeit zu kommunizieren hilft. Dabei sind Zahlen und Statistiken hilfreich.
Man könnte meinen, dass für Veränderungen zuerst die wichtigsten Entscheidungsträgerinnen und -träger gewonnen werden müssen: Kirchenpflege und Angestellte. Doch gemäss Thom Rainer ist es wichtiger, eine informelle Gruppe zu bilden von Menschen, die sich gut verstehen, Einfluss auf die Leute der Kirchgemeinde haben oder das nötige Fachwissen mitbringen.
Der vierte Punkt von Thom Rainer ist: Ein hoffnungsvolles Bild der Zukunft kommunizieren.
«Es macht einen grossen Unterschied, ob wir als Kirche danach fragen ‹Was müssen wir tun, damit die Leute nicht wegrennen?› oder ‹Was haben wir zu bieten und wie bringen wir das unter die Leute?›», meint Anna.
Eine zentrale Frage ist, wie man mit kritischen Stimmen umgeht. Veränderung stösst immer auf Widerstand. Die Gefahr ist, dass man die wenigen lauten Gegnerinnen und Gegner mehr gewichtet, als die vielen stillen Befürworter:innen. Um die kritischen Stimmen zu filtern, sollte man sich fragen: «Ist das die Art von Person, mit der wir die Zukunft unserer Kirche gestalten werden?»
Ein Tipp von Nieuwhof, den Lukas besonders wichtig findet: Wähle eine beziehungsorientierte Form, um auf Kritik einzugehen. Wenn dich eine Kritik per E-Mail erreicht, dann antworte telefonisch. Wenn dir jemand auf die Mailbox spricht, triff dich mit der Person auf einen Kaffee.
Um diejenigen für die Veränderungen zu gewinnen, die noch zögern, braucht es erste kleine Schritte mit klaren Resultaten, die zeigen, dass es funktioniert.
Eine deutsche Zusammenfassung von Thom Rainers «Who Moved My Pulpit» kann » hier heruntergeladen werden
Ein englisches Exzerpt zu Carey Nieuwhofs Buch «Leading Change Without Losing It» findet sich » hier
Montag, 13. März 2023: Staffel 5, Episode 4: » «A Beautiful Constraint»
Lukas und Anna reden über ein Wirtschaftsbuch, dem sie zutrauen, dass es in der Kirche einiges bewegen kann. Die Grundaussage des Buches lautet: Werde nicht frustriert, wenn du einer Einschränkung begegnest, sondern versteh es als Chance, um neue Wege einzuschlagen. «In der Kunst werden Einschränkungen oft genutzt, um kreative Prozesse anzutreiben. Wenn ich mich darauf beschränke, einen Text in Reimform zu schreiben, dann kommt etwas ganz anderes dabei heraus, als wenn ich frei drauflos schreibe», erklärt Anna. «So nach dem Prinzip: Not macht erfinderisch», fasst Lukas zusammen.
Die Autoren Adam Morgan und Mark Barden liefern konkrete Hilfestellungen, wie man Einschränkungen positiv begegnen kann.
Als erstes sollte man sich grundsätzlich fragen, wo man als Organisation einem vorgetrampelten Pfad folgt, den man hinterfragen könnte. Wenn beispielsweise die Einnahmen der Kirchensteuern zurückgehen, ist der logische Pfad, dass man zu sparen beginnt. Um diese Pfadabhängigkeit zu durchbrechen könnte man aber auch fragen, ob andere Finanzierungsquellen möglich wären.
Zweitens solle man «antreibende Fragen» stellen. Eine antreibende Frage besteht aus einem einzigen Satz, welcher das Ziel und die gegebene Einschränkung verbinden. Ikea lieferte ein schönes Beispiel, als sie sich fragten: «Wie bauen wir ein schönes, stabiles Tischchen (Ziel) für fünf Franken (Einschränkung)?»
Solche Fragen zwingen einem dazu, neue Wege einzuschlagen und helfen, aus der Haltung «Aber das geht gar nicht!» herauszukommen. Lukas erzählt, wie sie in einer Jugendarbeitssitzung die Frage bearbeitet haben: «Wie finden wir die 20 Leiterinnen und Leiter im Konflager, wenn wir neben dem Konflager noch viele weitere Projekte haben?» In einem Brainstorming-Prozess haben sie Antworten auf diese Frage gesucht, indem sie «Können-falls»-Sätze formulierten. Herausgefunden haben sie/mögliche Antworten sind:
- Wir können 20 Leiterinnen und Leiter finden, falls Leute mithelfen, die nicht schon in den anderen Programmen engagiert sind.
- Wir finden Leiter, die nicht schon engagiert sind, falls ehemalige Leiterinnen mithelfen.
- Ehemalige Leiterinnen und Leiter helfen mit, falls sie nur einmalig mithelfen müssen und sich nicht für längere Zeit verpflichten.
Das Buch «A Beautiful Constraint» enthält viele weitere Tools, die dabei helfen, Einschränkungen in Chancen zu verwandeln.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs, erstellt von von Lukas Huber, findet sich hier: » https://www.ref-sh.ch/dok/49088
Montag, 20. Februar 2023: Staffel 5, Episode 3: » «No Silver Bullets»
«No Silver Bullets» behandelt fünf «Mikroveränderungen», die eine Kirchgemeinde in eine völlig neue Richtung lenken können sollen. Lukas und Anna finden drei Aspekte besonders bemerkenswert:
1. Input-Ziele statt Output-Ziele
Input-Ziele konzentrieren sich auf das geistige Wachstum und die Entwicklung von Einzelpersonen, anstatt nur den Output von Programmen oder Veranstaltungen zu messen. Bei Input-Zielen geht es um die Frage «Wer wollen wir werden?» und nicht um «Was wollen wir tun?» Geistliche Reife kann man aber nicht auf Knopfdruck erzeugen – man kann lediglich die Rahmenbedingungen schaffen, welche geistliche Reife fördern.
2. Soziale Räume gezielt gestalten
Gottesdienste sind öffentliche Veranstaltungen für grosse Gruppen und werden meist so gestaltet, dass man anonym teilnehmen kann. Hauskreise sind kleine Gruppen, wo persönliche, vertrauensvolle Gespräche geführt werden und man niemandem ausweichen kann. Zwischen dem öffentlichen und dem persönlichen Raum liegt der «soziale Raum»: das Apéro- oder Gartenparty-Setting. Lukas und Anna sind sich einig, dass dieses Setting für kirchliche Aktivitäten sehr geeignet wäre, in reformierten Kirchgemeinden aber nur selten bespielt werde.
3. Menschen dabei helfen, ihren Glauben in Worte zu fassen
«Wer mit anderen Menschen über den eigenen Glauben spricht, wird automatisch reifer», zitiert Lukas den Autor Daniel Im. Anna stimmt ihm zwar zu, äussert aber auch Bedenken. «Man kann auch auf eine sehr unreife Art anderen den eigenen Glauben um die Ohren schlagen.» Doch das Fazit bleibt: Als Kirche sollten wir Menschen dabei helfen, Hemmungen abzubauen, um über das zu sprechen, wovon sie bewegt sind und so geistlich reifer zu werden.
Eine deutsche Zusammenfassung des Buchs, erstellt von von Lukas Huber, findet sich hier: » https://www.ref-sh.ch/dok/49090
Montag, 30. Januar 2023: Staffel 5, Episode 2: » «Simple Church», Teil 2»
Wie kann eine reformierte Kirchgemeinde zu einer «einfachen Kirche» werden? Das Konzept «Simple Church» haben Anna und Lukas in der vergangene Episode bereits erklärt: Statt eine breiten Palette von verschiedenen Angeboten soll sich eine Kirchgemeinde überlegen, welchen geistlichen Prozess sie sich für die Menschen wünscht, die mit ihr unterwegs sind.
Die Autoren zeigen in vier Schritten, wie eine komplexe Kirche zu einer «Simple Church» wird: Klarheit, Bewegung, Ausrichtung, Fokus.
Klarheit heisst: Der geistliche Prozess und die verschiedenen Programme, die diesen unterstützen, sind klar verständlich und prägnant formuliert. Alle, die mit der Kirche im Kontakt sind, kennen und verstehen den Prozess. Die Schwierigkeit einer etablierten Kirche ist: Wer definiert diesen Prozess? Und wer sorgt für eine langfristige Klarheit? Das ist nur möglich, wenn Kirchenpflege und Pfarrpersonen bereit sind, Zeit zu investieren in die Entwicklung einer langfristigen Vision. Dazu braucht es Commitment, eine langfristige Perspektive und die verbindliche Bereitschaft, mit viel Geduld und Fingerspitzengefühl die ganze Kirchgemeinde auf diesen Weg mitzunehmen.
Bewegung: Kein Anlass der Kirchgemeinde steht für sich allein. Jedes Angebot hat ein Folgeangebot und man stellt sich immer die Frage: Was ist der nächste Schritt für die Teilnehmenden? Anna und Lukas besprechen, welche Rolle Gottesdienste und Kasualien in einer solchen Bewegung spielen können.
Ausrichtung: Alle Mitarbeitenden wissen, welche Rolle sie und ihre Angebote im ganzen Prozess spielen. Es wird nicht das eigene Gärtli gepflegt, sondern auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet. Das bedeutet: Wenn man neue Mitarbeitende sucht, ist nicht nur wichtig, dass sie kompetent sind und es theologisch passt, sondern auch, dass sie sich in den Prozess einklinken können. «Aber können wir uns das leisten, wenn es eh schon so schwierig ist, gute Mitarbeitende zu finden?» fragt Anna.
Fokus: Simple Church heisst vor allem «nein» sagen. Von den 1000 Dingen, die man als Kirchgemeinde machen könnte, entscheidet man sich für ganz wenige, die man fokussiert durchführt. Das ist nicht immer einfach. Wie geht man damit um, wenn Freiwillige ein neues Angebot starten wollen, das nicht in den Prozess passt?
Auch wenn es vermutlich nicht möglich ist, dass eine Reformierte Kirche vollumfänglich zu einer «Simple Church» wird: Das Konzept kann helfen, das Gemeindeleben bewusster zu designen. Anna und Lukas bringen ein paar Vorschläge, wie das aussehen kann.
Montag, 9. Januar 2023: Staffel 5, Episode 1: » «Simple Church», Teil 1»
Das Konzept «Simple Church» spricht Leute in der Gemeindeleitung an, die zu viel arbeiten und trotzdem das Gefühl haben, ihren Aufgaben nicht gerecht zu werden. Also wohl die meisten von uns.
Das Grundkonzept ist einfach: Statt Programme anzubieten soll sich eine Kirchgemeinde überlegen, welchen geistlichen Prozess sie fördern möchte. Wie sollen sich Menschen entwickeln, wenn sie ein Teil der kirchlichen Gemeinschaft werden? In einem zweiten Schritt kann man dann damit beginnen, die Programme entlang dieses geistlichen Prozesses zu orchestrieren.
«Eine Simple Church fragt danach, wie ‹Geistliches Wachstum› oder ‹Jüngerschaft› gefördert wird – wobei ich diese Begriffe vor allem aus dem freikirchlichen Kontext kenne«, bemerkt Anna. Lukas weist auf den Begriff «Nachfolge» hin, der als reformiertes Pendant ebenfalls einen inneren und äusseren Wachstumsprozess beschreibt. Dietrich Bonhoeffer hat immerhin ein Buch mit dem Titel «Nachfolge» geschrieben.
Die Autoren von «Simple Church» machen ein Beispiel für einen solchen geistlichen Prozess: Das Ziel ist, dass Menschen in ihrer Liebe zu Gott wachsen, dann in der Liebe zu den Mitmenschen und sich schlussendlich für ihr Quartier, ihre Stadt, ihr Dorf engagieren. Die Liebe zu Gott wird im Gottesdienst gefördert. Anschliessend werden die Leute zu Hauskreisen eingeladen, wo sie die Liebe zu den Mitmenschen vertiefen. Danach können sie sich in einem Team engagieren, welches sich für das Wohl der Stadt engagiert. Es gibt nur diese drei Gefässe - keine Gemeindeferien, Mittagstische, Meditations-Retraiten oder Senior:innennachmittage. Das klingt irgendwie revolutionär. Aber wozu sollte man das machen?
Mitglieder einer Simple Church müssen sich nicht entscheiden, an welchen der vielen Programme sie teilnehmen. Sondern sie wissen zu jedem Zeitpunkt, an welchem Ort im Prozess sie stehen und welche Programme für sie gedacht sind.
Dieses Prozessdenken entlastet zudem den kirchlichen Kalender und verhindert, dass die verschiedenen Programme um Teilnehmende und Mitarbeitende konkurrieren. Es schützt auch davor, immer neue Angebote ins Leben zu rufen: Wenn man ein neues Thema vertieft betrachten möchte, nutzt man die bereits bestehenden Gefässe innerhalb des Prozesses.
Aber natürlich ist es als reformierte Kirchgemeinde nicht so einfach, sich in eine Simple Church zu verwandeln. Wie das gehen kann und welche Herausforderungen sich dabei stellen, werden Anna und Lukas in der nächsten Episode besprechen.
Thom S. Rainer, Eric Geiger, «Simple Church», » https://books.google.ch/books/about/Simple_Church.html?id=qCm5AwAAQBAJ
Staffel 4 mit Gästen
Montag, 19. Dezember 2022: Staffel 4, Episode 9: » «Dominik Reifler, wie lebt man als regionale Kirchgemeinde?»
Die Gellertkirche steht auf dem «Dorfplatz» des Basler Gellertquartiers und versteht sich auch als Quartierkirche, gleichzeitig besuchen Menschen aus der ganzen Region ihre Gottesdienste. «Wie ist es dazu gekommen, dass ihr so gross geworden seid?«, will Lukas von Dominik Reiffler wissen. «Schon der erste Pfarrer dieser Gemeinde hat innovativen Gemeindebau betrieben – das steckt sozusagen in unserer DNA.» Er habe beispielsweise die Idee von Hauskreisen aus den USA mitgebracht und eingeführt, was damals revolutionär gewesen sei.
Es gebe ganz verschieden Glaubensfarben unter den engagierten Mitgliedern der Gelltertkirche. «Aber wir haben insofern ein theologisches Profil, dass wir uns unter den Missionsauftrag stellen, den Jesus seinen Jüngern aufgetragen hat.» Wem dieses Profil nicht zusagt, der kann problemlos in eine andere Kirchgemeinden wechseln, da in Basel die Zugehörigkeit zur Kirchgemeinde frei wählbar ist. «Es ist wie bei den Trämli in Basel: Wenn angeschrieben steht, welche Zieldestination angefahren wird, weisst du, ob du dort einsteigen möchtest oder nicht.» Es sei also fair, wenn eine Kirche ihr theologisches Profil klar benenne.
Die Gellertkirche hat vierzehn angestellte Mitarbeiter. Zwei Drittel des ganzen Gemeindebetriebs werden durch Spenden finanziert. Die Kirche hat schon vor längerer Zeit einen Förderverein gegründet, weil sie als Gemeinde gewachsen sind und diese Dynamik weiter pflegen wollten. Es war nicht das leere Portemonnaie der Kirche, was Menschen zum Spenden bewegt hat, sondern eine gemeinsame Vision davon, wohin sich die Gemeinde noch entwickeln könnte.
Montag, 28. November 2022: Staffel 4, Episode 8: » «Alexander Garth, wie richtet man eine Kirchgemeinde auf Mission aus?»
«Volkskirche gibt es nicht mehr – wir sind höchstens noch eine Kirche für das Volk.» So beschreibt Alexander Garth den Status Quo. Die Religionssoziologie stelle fest, dass sich Menschen nicht mehr qua Geburt zu einer der beiden Landeskirchen zugehörig fühlten. Glaube und Religion seien vielmehr zu einer Option geworden, für die man sich im Laufe des Lebens bewusst entscheide.
Deshalb ist für Alexander Garth klar: Wir müssen wieder lernen, wie man Menschen für den christlichen Glauben begeistert. Kurz und provokativ: Die Kirche muss missionieren.
Sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Kirchenmauern herrsche ein Defizit an Gotteserfahrungen: Menschen sehnten sich nach mystischen, spirituellen Erfahrungen. Wenn wir in der Kirche nur von Jesus als gescheitertem Sozialarbeiter predigen, seien solche spirituellen Erfahrungen kaum möglich. Im Zentrum des kirchlichen Lebens sollte die Faszination für Jesus Christus stehen: Der Gott, der sich erlebbar gemacht hat und noch heute erlebbar ist. Alexander Garth beschreibt, wie er in seinen Abendgottesdiensten der spirituellen Mystik Raum gibt. «Wir haben Leute in der Kirche, die zwar an die Kirche glauben aber nicht an Gott. Und wir haben Menschen ausserhalb der Kirche, die an Gott glauben.» Letztere würden durch diese Gottesdienste angesprochen.
Die schwindenden Mitgliederzahlen bringen die Kirche in eine Krise. Krisen sind Chancen. Denn Institutionen erneuern sich nicht durch visionäre Leitende, die eine gute Idee haben, sondern durch Krisen, die radikale Veränderungen hervorbringen. Die Kirche solle sich in ihrer aktuellen Krise inspirieren lassen von Phasen aus der eigenen Vergangenheit, in denen sie eine dynamische, relevante und lebendige Gemeinschaft war.
Montag, 7. November 2022: Staffel 4, Episode 7: » «Barbara Weiss, was bedeutet es, gemeinschaftlich zu leben?»
Mit ihrem Mann und ihrem viermonatigen Sohn hat Barbara Weiss vor 26 Jahren bei der Kommunität «Don Camillo» in Montmirail angeklopft. Als junge Familie spürten sie den Ruf, mit anderen Christinnen und Christen zusammen zu leben, ihre Spiritualität im Alltag zu pflegen und gastfreundlich zu sein. Bis heute leiten sie das Gästehaus der Kommunität.
Don Camillo habe die Funktion eines Leuchtturms: Menschen sollen vorbeikommen, auftanken und dann gestärkt weitergehen. Ein Ort, wo Spiritualität gelebt wird und man als Durchreisender oder längerfristige Weggefährtin mitleben kann.
Damit gemeinschaftliches Leben gelingen kann, braucht es Spielregeln. Neben geteilten Finanzen und Wohnungen, die sich in «Finken- und Babyphone-Distanz» befinden, gehören die Tagzeitengebete zur wichtigsten Spielregel. «Es gäbe uns nicht mehr, wenn wir nicht im Gebet so dranbleiben würden», sagt Barbara Weiss. «So können wir immer wieder Gott ins richtige Licht rücken.» Bei diesen Worten schwingt mit, dass das langjährige Zusammenleben immer wieder Herausforderungen mit sich bringt.
«Ich bin ein einfacher Pfarrer vom Land – warum sollte ich mich für eine solche Kommunität interessieren?» fragt Lukas. Barbara Weiss würde keiner Kirchgemeinde empfehlen, ein Projekt «Kommunität» zu starten. Gemeinschaftliches Leben funktioniert nur, wenn es einen Kern von Menschen gibt, die sich dazu berufen fühlen und mit einer gewissen Verbindlichkeit zusammen leben möchten. Kirchgemeinden können aber Raum bieten und unterstützen, wenn das Interesse nach einer solchen Gemeinschaft besteht.
In der Kirchgemeinde von Lukas ist das «Connect-House» eine Form des gemeinschaftlichen Lebens: Junge Menschen leben in einer WG, feiern kleine Gottesdienste und tauschen sich über ihren Glauben aus.
Montag, 17. Oktober 2022: Staffel 4, Episode 6: » «Simon Walder, wie gründet man eine neue Gemeinde?»
Simon Walder und sein dreiköpfiges Team gründete im Jahr 2015 die Kirche «Connect Unterland» in Bülach. Dafür gab es zwei Gründe: Sie kannten einige junge Erwachsene, die keine passende Kirche fanden. Gleichzeitig suchten sie selbst nach einer Form von Kirche, die ihnen so gut gefällt, dass sie gerne ihre Freunde dorthin einladen.
Mittlerweile zählen sich rund 80 Erwachsene und 40 Kinder zu «Connect Unterland». Sie feiern wöchentlich moderne Gottesdienste und veranstalten niederschwellige Partys oder Glaubenskurse, um mit neuen Leuten in Kontakt zu kommen. Entscheidend sei aber gar nicht so stark, welche Form der Gottesdienst hat oder was für Programm gemacht wird, sondern vielmehr, welche Kultur gelebt wird. Gerade um neue Leute zu erreichen, sei eine gute Willkommenskultur zentral. «Wir haben zudem kein Mitglieder-System, sondern ein Beteiligungssystem.» Wer sich dazugehörig fühlt, hilft mit.
«Angenommen jemand möchte innerhalb der reformierten Landeskirche eine neue Gemeinde starten – was würdest dieser Person raten?», möchte Lukas wissen. Drei Empfehlungen hatte Simon Walder parat: Viel Zeit investieren, um ein gutes Team mit einer gemeinsamen Vision aufzubauen; wenn das Team steht, einfach mal starten und nicht zu lange konzeptualisieren; Geduld haben und nicht erwarten, dass gleich übermorgen eine Megachurch steht.
Montag, 26. September 2022: Staffel 4, Episode 5: » «Sara Stöcklin-Kaldewey, wie gelingt Nachwuchsförderung?»
In ihrer Aufgabe der theologischen Nachwuchsförderung war ihr ständiges Mantra: «Nachwuchsförderung geschieht in den lokalen Kirchgemeinden.» Junge Menschen können nur durch die Beziehungen zu ihrer lokalen Kirchgemeinde begeistert werden für die kirchliche Arbeit und das theologische Nachdenken. Wenn das nicht geschehe, könne eine kantonale Fachstelle nichts ausrichten.
Entscheidend sei, ob junge Menschen auch nach der Konfirmation noch am kirchlichen Leben teilnehmen. Es braucht also Nachkonfarbeit. Wenn man dort allerdings einfach Kanuausflüge und Städte-Trips macht, werde dadurch noch nicht das Interesse an theologischen Fragen gefördert. «Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass Jugendliche sich überlegen, einen kirchlichen Beruf zu wählen, wenn wir nie über den Glauben sprechen, der für uns als Kirche zentral ist.»
Die lokale Kirchgemeinde ist der Ort, wo erste Berührungen mit Kirche und Theologie stattfinden. Es sei aber erst der Blick über die eigene Gemeinde hinaus, welcher Interesse an der Kirche an sich weckt. Dazu braucht es laut Sara Stöcklin-Kaldewey eine kirchliche Jugendkultur. «Wo sich Menschen über ihre Kirchgemeinde hinaus vernetzen, gemeinsam an Festivals gehen, gemeinsam feiern und merken, dass es überall in der Schweiz kirchlich engagierte Menschen gibt – dort wächst eine kirchliche Jugendkultur.»
Dazu könne durchaus die Kantonalkirche etwas beitragen. In der methodistischen Kirche der Schweiz sei in den letzten Jahren eine starke Jugendkultur gewachsen, weil sie ein jährliches nationales Jugendfestival gestartet haben. Deshalb befürwortet Sara Stöcklin-Kaldewey stark, dass nun alle zwei Jahre ein nationales, reformiertes Jugendfestival stattfindet. Das erste Festival steht bereits in den Startlöchern und wird 2024 durchgeführt.
Montag, 5. September 2022: Staffel 4, Episode 4: » «Stephan Jütte, was kann die Kirchgemeinde vom RefLab lernen?»
Lukas möchte vom scheidenden RefLab-Teamleiter Stephan Jütte wissen, wie Führung gelingen kann. «Führung hat bereits als Begriff etwas Abschreckendes. […] Aber wir haben biblisch ein super Motiv für gelingende Führung: Wer unter euch der Erste sein möchte, der diene den anderen. Das heisst, wir sollten uns als Ermöglicher verstehen, welche Menschen unterstützen, die eigene Ideen haben.» Um dies zu erreichen, kultiviert das RefLab Team Vertrauen, Grosszügigkeit und feiert Erfolge.
Als digitale Community richtet sich das RefLab vor allem an kirchlich distanzierte Menschen. Um mit dieser Zielgruppe unterwegs zu sein, folgen sie einem weiteren Drei-Punkte-Grundsatz:
Bewegung statt Institution
Bezeugen statt unterrichten
Persönliche Stories statt grosse Welterklärungen
«Institutionen sind nicht mehr sexy», stellt Stephan Jütte fest. «Bewegungen hingegen ziehen an, weil sie eine Mission haben und sich für etwas einsetzen.» Dabei sei es nicht so entscheidend, ob bei einem Projekt ein Kirchenlogo drauf stehe oder nicht. Wichtiger sei, das Menschen spüren, dass man sich für sie persönlich interessiert, und nicht befürchten, dass man sie «in die Kirche bringen» möchte.
Angesprochen auf die Herausforderungen bei der Entwicklung kirchlicher Strukturen, meint Stephan Jütte: «Oft entwickeln Verwaltungen ein Eigenleben: Sie finden plötzlich Dinge sehr wichtig, die nicht dabei helfen, das Leben in den Kirchgemeinden zu fördern.»
Stephan Jütte hat auch ein paar Tipps bereit für Kirchgemeinden, die sich stärker auf Sozialen Medien bewegen möchten. «Es braucht intrinsische Motivation und Menschen, die sich sowieso auf diesen Plattformen bewegen.» Diese sollen von dem erzählen, was sie in der kirchlichen Gemeinschaft erleben und was sie bewegt. Wie eine Schmalspurlösung für einen kirchlichen Instagram-Account aussehen könnte, erzählt er ab Minute 33.
Wer es nicht kennt, sollte unbedingt einen Blick ins digitale Konversations-Laboratorium von Stephan Jütte und seinem Team werfen: » https://www.reflab.ch/
Montag, 15. August 2023: Staffel 4, Episode 3: » «Wilfried Bührer, was kann ein Kirchenratspräsident für den Gemeindebau tun?»
«Es ist schon mal was, wenn der Kirchenrat den Gemeindebau nicht verhindert», antwortet der ehemalige Kirchenratspräsident des Kantons Thurgau auf die Frage, inwiefern die Kantonalkirche etwas zur Entwicklung der lokalen Kirchgemeinden beitragen kann. «Man muss den Leuten etwas zutrauen und sie ein Stück weit machen lassen», rät Wilfried Bührer. Daneben könne eine Kantonalkirche aber auch da und dort ein «Schüpfli» geben: Im Thurgau werden beispielsweise Kirchgemeinden finanziell unterstützt, die TDS-Studierende anstellen. Oft seien es diese niederprozentigen Diakoniestellen, welche Gemeindeentwicklung ermöglichen, da Pfarrpersonen meist mit dem Alltagsgeschäft ausgelastet seien. Zudem hat die Thurgauer Kantonalkirche eine Beratungsstelle für Innovation geschaffen.
Auch wenn die ländliche Bevölkerung die Kirche im Dorf wertschätzt, gehen auch hier die Mitgliederzahlen zurück. «Wie nutzt ihr die Zeit, in der die Finanzen noch stabil sind?», möchte Anna von Wilfried Bührer wissen. «Fördervereine aufbauen» ist (wieder einmal) das zukunftsweisende Stichwort. «Es gibt bei uns ländliche Gemeinden, die schon seit Jahren eine 60-Prozent-Jugendarbeitsstelle nur über Spenden finanzieren.»
Neben seiner Rolle als Kirchenrat war Wilfried Bührer auch als Gemeindepfarrer tätig. Als solcher nennt er zwei wichtige Ansätze für den Gemeindebau: Am Sonntag sollte mehr gefeiert werden als gepredigt, und Angestellte sollten mehr coachen als selbst Dinge umzusetzen.
Hoffnung für die Kirche hat er deshalb, weil Jesus nie versprochen hat, dass es einfach wäre, ihm nachzufolgen. Herausforderungen seien zu erwarten – deshalb könne man ihnen mit einer gewissen Gelassenheit begegnen.
Montag, 4. Juli 2022: Staffel 4, Episode 2: » «Marcel Hauser, wie entsteht neues Leben in der Kirche?»
Marcel Hauser schrieb ein Buch zur Frage, wie neues Leben in der Kirche entstehen kann. Er erklärt Lukas und Anna, wie Kirchgemeinden üblicherweise versuchen, neues Leben aufblühen zu lassen: Man stärkt die religionspädagogischen Angebote und hofft, dass junge Menschen so in die kirchliche Gemeinschaft hineinwachsen und sich längerfristig engagieren. «Doch wir merken: Dieses Modell ist nicht mehr erfolgreich.» Die Kirchenkrise sei in erster Linie eine Glaubenskrise. Deshalb sollten wir uns fragen: Wie entsteht eigentlich Glaube? Wie können wir den Gekreuzigten und Auferstandenen so bezeugen, dass er den Menschen in unserem Umfeld glaubwürdig erscheint?
Marcel Hauser erzählt von verschiedenen Herausforderungen, denen Kirchgemeinden begegnen: Altes loslassen, um Neues wagen zu können; kultivierte Erwartungslosigkeit ablösen durch hoffnungsvolle Zukunftserwartung; kleine Anfänge schätzen und Fehler verzeihen.
Um auf Veränderungen reagieren zu können, muss man agil sein. Weil man in hierarchischen Strukturen immer auf die Aufträge von der Kirchenleitung warte, bis man handeln kann, sei Agilität schwierig. Marcel Hauser plädiert deshalb für Teams von angestellten und freiwilligen Mitarbeitern, die selbstständig arbeiten und an der Basis auf Veränderungen reagieren können. «Ganz flach kann man die Hierarchie natürlich nicht machen – es braucht Leitung. Aber es braucht auch einen Schritt der Demut um zu glauben, dass auch Freiwillige wesentliche Beiträge zur Weiterentwicklung der Kirche leisten können.»
Marcel Hauser rät Kirchgemeinden, die eine stärkere Zusammenarbeit suchen, einen sauberen und ehrlichen Prozess zu durchlaufen. Man müsse sich zuerst den eigenen Stärken und Schwächen bewusst sein, bevor man die Zusammenarbeit festlegen könne.
Dass Marcel Hauser diese Ehrlichkeit immer häufiger beobachtet, macht ihm Hoffnung: «Viele Kirchenleitungen, Pfarrerinnen und Pfarrer sehen, wo etwas schief läuft, stellen sich diesen Fragen und schauen hin. Das macht mir Mut.»
Marcel Hausers Buch: » «Neues Leben in der Kirche»
Montag, 13. Juni 2022: Staffel 4, Episode 1: » «Michael Herbst, was bleibt von der Professur in praktischer Theologie?»
Um das Jahr 2000 wollte sich die Evangelische Kirche Deutschland stärker mit Evangelisation und Mission beschäftigen. Als Antwort darauf gründete Michael Herbst mit seinen Kollegen das «Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung». Von ihm möchte Anna nun wissen, warum es missionarischen Gemeindebau überhaupt braucht. «Ich könnte jetzt sagen: Wir brauchen das, weil es der Kirche so schlecht geht.» Auch wenn diese Antwort nicht ganz falsch sei, berge sie auch Gefahren und lenke vom eigentlichen Grund ab: «Es war schon immer unser Auftrag, vitale Gemeinden an jedem Ort der Welt zu ermöglichen.» Vitale Gemeinden sind für Michael Herbst Gemeinschaften, die das Evangelium so kommunizieren, dass Menschen davon bewegt werden und sie in die Gesellschaft hinein wirken.
Michael Herbst hat im ostdeutschen Greifswald die FreshX-Gemeinde «Greifbar» gegründet. In dieser Region spürt man die Nachwirkungen der DDR unter anderem daran, dass die Mehrheit der Menschen konfessionslos ist. «Wenn etwas die DDR überlebt hat, dann ist es ein stabiler Alltags-Atheismus.» Auch in der Schweiz zeichnet sich ab, dass die Kirchenmitgliedschaften immer weiter zurückgehen. Lukas möchte deshalb wissen, was wir von Ostdeutschland lernen können. Erstens müsse man sich von der Hoffnung verabschieden, dass die Kirche sich gesund schrumpfe: Wenn eine Volkskirche kleiner wird, bleibe nicht ein Grüppchen überzeugter Christinnen und Christen übrig, sondern eine kleinere Gruppe von Menschen mit der gewohnt volkskirchlichen Frömmigkeits-Vielfalt. Zweitens empfiehlt Michael Herbst, keine Angst davor zu haben, zu einer Randgruppe zu werden, sondern weiterhin selbstbewusst in die Gesellschaft hineinzuwirken – auch in der Diaspora.
Wie kann das denn gelingen? Dazu nennt Michael Herbst drei Punkte: selbst wieder vom Evangelium ergriffen werden; sich bewusst die Lebenswelt betrachten, in der man sich als Gemeinde befindet; weniger Pfarrerzentrierung und mehr mündige Gemeindeglieder. Am Ende erzählt Michael Herbst, wie sie dies mit«Greifbar» praktisch umgesetzt haben und wie sie sich von einer Gottesdienst-orientierten Gemeinde zu einer diakonischen Gemeinschaft entwickelt haben.
Die Gellertkirche steht auf dem «Dorfplatz» des Basler Gellertquartiers und versteht sich auch als Quartierkirche, gleichzeitig besuchen Menschen aus der ganzen Region ihre Gottesdienste. «Wie ist es dazu gekommen, dass ihr so gross geworden seid?«, will Lukas von Dominik Reiffler wissen. «Schon der erste Pfarrer dieser Gemeinde hat innovativen Gemeindebau betrieben – das steckt sozusagen in unserer DNA.» Er habe beispielsweise die Idee von Hauskreisen aus den USA mitgebracht und eingeführt, was damals revolutionär gewesen sei.
Es gebe ganz verschieden Glaubensfarben unter den engagierten Mitgliedern der Gelltertkirche. «Aber wir haben insofern ein theologisches Profil, dass wir uns unter den Missionsauftrag stellen, den Jesus seinen Jüngern aufgetragen hat.» Wem dieses Profil nicht zusagt, der kann problemlos in eine andere Kirchgemeinden wechseln, da in Basel die Zugehörigkeit zur Kirchgemeinde frei wählbar ist. «Es ist wie bei den Trämli in Basel: Wenn angeschrieben steht, welche Zieldestination angefahren wird, weisst du, ob du dort einsteigen möchtest oder nicht.» Es sei also fair, wenn eine Kirche ihr theologisches Profil klar benenne.
Die Gellertkirche hat vierzehn angestellte Mitarbeiter. Zwei Drittel des ganzen Gemeindebetriebs werden durch Spenden finanziert. Die Kirche hat schon vor längerer Zeit einen Förderverein gegründet, weil sie als Gemeinde gewachsen sind und diese Dynamik weiter pflegen wollten. Es war nicht das leere Portemonnaie der Kirche, was Menschen zum Spenden bewegt hat, sondern eine gemeinsame Vision davon, wohin sich die Gemeinde noch entwickeln könnte.
Montag, 28. November 2022: Staffel 4, Episode 8: » «Alexander Garth, wie richtet man eine Kirchgemeinde auf Mission aus?»
«Volkskirche gibt es nicht mehr – wir sind höchstens noch eine Kirche für das Volk.» So beschreibt Alexander Garth den Status Quo. Die Religionssoziologie stelle fest, dass sich Menschen nicht mehr qua Geburt zu einer der beiden Landeskirchen zugehörig fühlten. Glaube und Religion seien vielmehr zu einer Option geworden, für die man sich im Laufe des Lebens bewusst entscheide.
Deshalb ist für Alexander Garth klar: Wir müssen wieder lernen, wie man Menschen für den christlichen Glauben begeistert. Kurz und provokativ: Die Kirche muss missionieren.
Sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Kirchenmauern herrsche ein Defizit an Gotteserfahrungen: Menschen sehnten sich nach mystischen, spirituellen Erfahrungen. Wenn wir in der Kirche nur von Jesus als gescheitertem Sozialarbeiter predigen, seien solche spirituellen Erfahrungen kaum möglich. Im Zentrum des kirchlichen Lebens sollte die Faszination für Jesus Christus stehen: Der Gott, der sich erlebbar gemacht hat und noch heute erlebbar ist. Alexander Garth beschreibt, wie er in seinen Abendgottesdiensten der spirituellen Mystik Raum gibt. «Wir haben Leute in der Kirche, die zwar an die Kirche glauben aber nicht an Gott. Und wir haben Menschen ausserhalb der Kirche, die an Gott glauben.» Letztere würden durch diese Gottesdienste angesprochen.
Die schwindenden Mitgliederzahlen bringen die Kirche in eine Krise. Krisen sind Chancen. Denn Institutionen erneuern sich nicht durch visionäre Leitende, die eine gute Idee haben, sondern durch Krisen, die radikale Veränderungen hervorbringen. Die Kirche solle sich in ihrer aktuellen Krise inspirieren lassen von Phasen aus der eigenen Vergangenheit, in denen sie eine dynamische, relevante und lebendige Gemeinschaft war.
Montag, 7. November 2022: Staffel 4, Episode 7: » «Barbara Weiss, was bedeutet es, gemeinschaftlich zu leben?»
Mit ihrem Mann und ihrem viermonatigen Sohn hat Barbara Weiss vor 26 Jahren bei der Kommunität «Don Camillo» in Montmirail angeklopft. Als junge Familie spürten sie den Ruf, mit anderen Christinnen und Christen zusammen zu leben, ihre Spiritualität im Alltag zu pflegen und gastfreundlich zu sein. Bis heute leiten sie das Gästehaus der Kommunität.
Don Camillo habe die Funktion eines Leuchtturms: Menschen sollen vorbeikommen, auftanken und dann gestärkt weitergehen. Ein Ort, wo Spiritualität gelebt wird und man als Durchreisender oder längerfristige Weggefährtin mitleben kann.
Damit gemeinschaftliches Leben gelingen kann, braucht es Spielregeln. Neben geteilten Finanzen und Wohnungen, die sich in «Finken- und Babyphone-Distanz» befinden, gehören die Tagzeitengebete zur wichtigsten Spielregel. «Es gäbe uns nicht mehr, wenn wir nicht im Gebet so dranbleiben würden», sagt Barbara Weiss. «So können wir immer wieder Gott ins richtige Licht rücken.» Bei diesen Worten schwingt mit, dass das langjährige Zusammenleben immer wieder Herausforderungen mit sich bringt.
«Ich bin ein einfacher Pfarrer vom Land – warum sollte ich mich für eine solche Kommunität interessieren?» fragt Lukas. Barbara Weiss würde keiner Kirchgemeinde empfehlen, ein Projekt «Kommunität» zu starten. Gemeinschaftliches Leben funktioniert nur, wenn es einen Kern von Menschen gibt, die sich dazu berufen fühlen und mit einer gewissen Verbindlichkeit zusammen leben möchten. Kirchgemeinden können aber Raum bieten und unterstützen, wenn das Interesse nach einer solchen Gemeinschaft besteht.
In der Kirchgemeinde von Lukas ist das «Connect-House» eine Form des gemeinschaftlichen Lebens: Junge Menschen leben in einer WG, feiern kleine Gottesdienste und tauschen sich über ihren Glauben aus.
Montag, 17. Oktober 2022: Staffel 4, Episode 6: » «Simon Walder, wie gründet man eine neue Gemeinde?»
Simon Walder und sein dreiköpfiges Team gründete im Jahr 2015 die Kirche «Connect Unterland» in Bülach. Dafür gab es zwei Gründe: Sie kannten einige junge Erwachsene, die keine passende Kirche fanden. Gleichzeitig suchten sie selbst nach einer Form von Kirche, die ihnen so gut gefällt, dass sie gerne ihre Freunde dorthin einladen.
Mittlerweile zählen sich rund 80 Erwachsene und 40 Kinder zu «Connect Unterland». Sie feiern wöchentlich moderne Gottesdienste und veranstalten niederschwellige Partys oder Glaubenskurse, um mit neuen Leuten in Kontakt zu kommen. Entscheidend sei aber gar nicht so stark, welche Form der Gottesdienst hat oder was für Programm gemacht wird, sondern vielmehr, welche Kultur gelebt wird. Gerade um neue Leute zu erreichen, sei eine gute Willkommenskultur zentral. «Wir haben zudem kein Mitglieder-System, sondern ein Beteiligungssystem.» Wer sich dazugehörig fühlt, hilft mit.
«Angenommen jemand möchte innerhalb der reformierten Landeskirche eine neue Gemeinde starten – was würdest dieser Person raten?», möchte Lukas wissen. Drei Empfehlungen hatte Simon Walder parat: Viel Zeit investieren, um ein gutes Team mit einer gemeinsamen Vision aufzubauen; wenn das Team steht, einfach mal starten und nicht zu lange konzeptualisieren; Geduld haben und nicht erwarten, dass gleich übermorgen eine Megachurch steht.
Montag, 26. September 2022: Staffel 4, Episode 5: » «Sara Stöcklin-Kaldewey, wie gelingt Nachwuchsförderung?»
In ihrer Aufgabe der theologischen Nachwuchsförderung war ihr ständiges Mantra: «Nachwuchsförderung geschieht in den lokalen Kirchgemeinden.» Junge Menschen können nur durch die Beziehungen zu ihrer lokalen Kirchgemeinde begeistert werden für die kirchliche Arbeit und das theologische Nachdenken. Wenn das nicht geschehe, könne eine kantonale Fachstelle nichts ausrichten.
Entscheidend sei, ob junge Menschen auch nach der Konfirmation noch am kirchlichen Leben teilnehmen. Es braucht also Nachkonfarbeit. Wenn man dort allerdings einfach Kanuausflüge und Städte-Trips macht, werde dadurch noch nicht das Interesse an theologischen Fragen gefördert. «Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass Jugendliche sich überlegen, einen kirchlichen Beruf zu wählen, wenn wir nie über den Glauben sprechen, der für uns als Kirche zentral ist.»
Die lokale Kirchgemeinde ist der Ort, wo erste Berührungen mit Kirche und Theologie stattfinden. Es sei aber erst der Blick über die eigene Gemeinde hinaus, welcher Interesse an der Kirche an sich weckt. Dazu braucht es laut Sara Stöcklin-Kaldewey eine kirchliche Jugendkultur. «Wo sich Menschen über ihre Kirchgemeinde hinaus vernetzen, gemeinsam an Festivals gehen, gemeinsam feiern und merken, dass es überall in der Schweiz kirchlich engagierte Menschen gibt – dort wächst eine kirchliche Jugendkultur.»
Dazu könne durchaus die Kantonalkirche etwas beitragen. In der methodistischen Kirche der Schweiz sei in den letzten Jahren eine starke Jugendkultur gewachsen, weil sie ein jährliches nationales Jugendfestival gestartet haben. Deshalb befürwortet Sara Stöcklin-Kaldewey stark, dass nun alle zwei Jahre ein nationales, reformiertes Jugendfestival stattfindet. Das erste Festival steht bereits in den Startlöchern und wird 2024 durchgeführt.
Montag, 5. September 2022: Staffel 4, Episode 4: » «Stephan Jütte, was kann die Kirchgemeinde vom RefLab lernen?»
Lukas möchte vom scheidenden RefLab-Teamleiter Stephan Jütte wissen, wie Führung gelingen kann. «Führung hat bereits als Begriff etwas Abschreckendes. […] Aber wir haben biblisch ein super Motiv für gelingende Führung: Wer unter euch der Erste sein möchte, der diene den anderen. Das heisst, wir sollten uns als Ermöglicher verstehen, welche Menschen unterstützen, die eigene Ideen haben.» Um dies zu erreichen, kultiviert das RefLab Team Vertrauen, Grosszügigkeit und feiert Erfolge.
Als digitale Community richtet sich das RefLab vor allem an kirchlich distanzierte Menschen. Um mit dieser Zielgruppe unterwegs zu sein, folgen sie einem weiteren Drei-Punkte-Grundsatz:
Bewegung statt Institution
Bezeugen statt unterrichten
Persönliche Stories statt grosse Welterklärungen
«Institutionen sind nicht mehr sexy», stellt Stephan Jütte fest. «Bewegungen hingegen ziehen an, weil sie eine Mission haben und sich für etwas einsetzen.» Dabei sei es nicht so entscheidend, ob bei einem Projekt ein Kirchenlogo drauf stehe oder nicht. Wichtiger sei, das Menschen spüren, dass man sich für sie persönlich interessiert, und nicht befürchten, dass man sie «in die Kirche bringen» möchte.
Angesprochen auf die Herausforderungen bei der Entwicklung kirchlicher Strukturen, meint Stephan Jütte: «Oft entwickeln Verwaltungen ein Eigenleben: Sie finden plötzlich Dinge sehr wichtig, die nicht dabei helfen, das Leben in den Kirchgemeinden zu fördern.»
Stephan Jütte hat auch ein paar Tipps bereit für Kirchgemeinden, die sich stärker auf Sozialen Medien bewegen möchten. «Es braucht intrinsische Motivation und Menschen, die sich sowieso auf diesen Plattformen bewegen.» Diese sollen von dem erzählen, was sie in der kirchlichen Gemeinschaft erleben und was sie bewegt. Wie eine Schmalspurlösung für einen kirchlichen Instagram-Account aussehen könnte, erzählt er ab Minute 33.
Wer es nicht kennt, sollte unbedingt einen Blick ins digitale Konversations-Laboratorium von Stephan Jütte und seinem Team werfen: » https://www.reflab.ch/
Montag, 15. August 2023: Staffel 4, Episode 3: » «Wilfried Bührer, was kann ein Kirchenratspräsident für den Gemeindebau tun?»
«Es ist schon mal was, wenn der Kirchenrat den Gemeindebau nicht verhindert», antwortet der ehemalige Kirchenratspräsident des Kantons Thurgau auf die Frage, inwiefern die Kantonalkirche etwas zur Entwicklung der lokalen Kirchgemeinden beitragen kann. «Man muss den Leuten etwas zutrauen und sie ein Stück weit machen lassen», rät Wilfried Bührer. Daneben könne eine Kantonalkirche aber auch da und dort ein «Schüpfli» geben: Im Thurgau werden beispielsweise Kirchgemeinden finanziell unterstützt, die TDS-Studierende anstellen. Oft seien es diese niederprozentigen Diakoniestellen, welche Gemeindeentwicklung ermöglichen, da Pfarrpersonen meist mit dem Alltagsgeschäft ausgelastet seien. Zudem hat die Thurgauer Kantonalkirche eine Beratungsstelle für Innovation geschaffen.
Auch wenn die ländliche Bevölkerung die Kirche im Dorf wertschätzt, gehen auch hier die Mitgliederzahlen zurück. «Wie nutzt ihr die Zeit, in der die Finanzen noch stabil sind?», möchte Anna von Wilfried Bührer wissen. «Fördervereine aufbauen» ist (wieder einmal) das zukunftsweisende Stichwort. «Es gibt bei uns ländliche Gemeinden, die schon seit Jahren eine 60-Prozent-Jugendarbeitsstelle nur über Spenden finanzieren.»
Neben seiner Rolle als Kirchenrat war Wilfried Bührer auch als Gemeindepfarrer tätig. Als solcher nennt er zwei wichtige Ansätze für den Gemeindebau: Am Sonntag sollte mehr gefeiert werden als gepredigt, und Angestellte sollten mehr coachen als selbst Dinge umzusetzen.
Hoffnung für die Kirche hat er deshalb, weil Jesus nie versprochen hat, dass es einfach wäre, ihm nachzufolgen. Herausforderungen seien zu erwarten – deshalb könne man ihnen mit einer gewissen Gelassenheit begegnen.
Montag, 4. Juli 2022: Staffel 4, Episode 2: » «Marcel Hauser, wie entsteht neues Leben in der Kirche?»
Marcel Hauser schrieb ein Buch zur Frage, wie neues Leben in der Kirche entstehen kann. Er erklärt Lukas und Anna, wie Kirchgemeinden üblicherweise versuchen, neues Leben aufblühen zu lassen: Man stärkt die religionspädagogischen Angebote und hofft, dass junge Menschen so in die kirchliche Gemeinschaft hineinwachsen und sich längerfristig engagieren. «Doch wir merken: Dieses Modell ist nicht mehr erfolgreich.» Die Kirchenkrise sei in erster Linie eine Glaubenskrise. Deshalb sollten wir uns fragen: Wie entsteht eigentlich Glaube? Wie können wir den Gekreuzigten und Auferstandenen so bezeugen, dass er den Menschen in unserem Umfeld glaubwürdig erscheint?
Marcel Hauser erzählt von verschiedenen Herausforderungen, denen Kirchgemeinden begegnen: Altes loslassen, um Neues wagen zu können; kultivierte Erwartungslosigkeit ablösen durch hoffnungsvolle Zukunftserwartung; kleine Anfänge schätzen und Fehler verzeihen.
Um auf Veränderungen reagieren zu können, muss man agil sein. Weil man in hierarchischen Strukturen immer auf die Aufträge von der Kirchenleitung warte, bis man handeln kann, sei Agilität schwierig. Marcel Hauser plädiert deshalb für Teams von angestellten und freiwilligen Mitarbeitern, die selbstständig arbeiten und an der Basis auf Veränderungen reagieren können. «Ganz flach kann man die Hierarchie natürlich nicht machen – es braucht Leitung. Aber es braucht auch einen Schritt der Demut um zu glauben, dass auch Freiwillige wesentliche Beiträge zur Weiterentwicklung der Kirche leisten können.»
Marcel Hauser rät Kirchgemeinden, die eine stärkere Zusammenarbeit suchen, einen sauberen und ehrlichen Prozess zu durchlaufen. Man müsse sich zuerst den eigenen Stärken und Schwächen bewusst sein, bevor man die Zusammenarbeit festlegen könne.
Dass Marcel Hauser diese Ehrlichkeit immer häufiger beobachtet, macht ihm Hoffnung: «Viele Kirchenleitungen, Pfarrerinnen und Pfarrer sehen, wo etwas schief läuft, stellen sich diesen Fragen und schauen hin. Das macht mir Mut.»
Marcel Hausers Buch: » «Neues Leben in der Kirche»
Montag, 13. Juni 2022: Staffel 4, Episode 1: » «Michael Herbst, was bleibt von der Professur in praktischer Theologie?»
Um das Jahr 2000 wollte sich die Evangelische Kirche Deutschland stärker mit Evangelisation und Mission beschäftigen. Als Antwort darauf gründete Michael Herbst mit seinen Kollegen das «Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung». Von ihm möchte Anna nun wissen, warum es missionarischen Gemeindebau überhaupt braucht. «Ich könnte jetzt sagen: Wir brauchen das, weil es der Kirche so schlecht geht.» Auch wenn diese Antwort nicht ganz falsch sei, berge sie auch Gefahren und lenke vom eigentlichen Grund ab: «Es war schon immer unser Auftrag, vitale Gemeinden an jedem Ort der Welt zu ermöglichen.» Vitale Gemeinden sind für Michael Herbst Gemeinschaften, die das Evangelium so kommunizieren, dass Menschen davon bewegt werden und sie in die Gesellschaft hinein wirken.
Michael Herbst hat im ostdeutschen Greifswald die FreshX-Gemeinde «Greifbar» gegründet. In dieser Region spürt man die Nachwirkungen der DDR unter anderem daran, dass die Mehrheit der Menschen konfessionslos ist. «Wenn etwas die DDR überlebt hat, dann ist es ein stabiler Alltags-Atheismus.» Auch in der Schweiz zeichnet sich ab, dass die Kirchenmitgliedschaften immer weiter zurückgehen. Lukas möchte deshalb wissen, was wir von Ostdeutschland lernen können. Erstens müsse man sich von der Hoffnung verabschieden, dass die Kirche sich gesund schrumpfe: Wenn eine Volkskirche kleiner wird, bleibe nicht ein Grüppchen überzeugter Christinnen und Christen übrig, sondern eine kleinere Gruppe von Menschen mit der gewohnt volkskirchlichen Frömmigkeits-Vielfalt. Zweitens empfiehlt Michael Herbst, keine Angst davor zu haben, zu einer Randgruppe zu werden, sondern weiterhin selbstbewusst in die Gesellschaft hineinzuwirken – auch in der Diaspora.
Wie kann das denn gelingen? Dazu nennt Michael Herbst drei Punkte: selbst wieder vom Evangelium ergriffen werden; sich bewusst die Lebenswelt betrachten, in der man sich als Gemeinde befindet; weniger Pfarrerzentrierung und mehr mündige Gemeindeglieder. Am Ende erzählt Michael Herbst, wie sie dies mit«Greifbar» praktisch umgesetzt haben und wie sie sich von einer Gottesdienst-orientierten Gemeinde zu einer diakonischen Gemeinschaft entwickelt haben.
Staffel 1, 2 und 3
STAFFEL 3
Montag, 23. Mai 2022: Staffel 3, Episode 7: » «Umbau des Denkens»
Tradition und Innovation sind wie Dampfer und Rettungsring: Die Tradition trägt durch die Höhen und Tiefen gesellschaftlicher Veränderung hindurch, die Innovation begegnet den Menschen in diesen Höhenflügen und Tiefschlägen. «Natürlich braucht es beides in der Kirche», meint Anna, «aber wenn alle aus dem Dampfer springen, weil er ihnen nicht mehr passt, wäre es vielleicht an der Zeit, Rettungsringe auszuwerfen.»
Innovation ja – aber wie? In Wirtschaft und Technologie bedeutet «Innovation» ein neues Problem auf eine neue Art zu lösen. Doch weder das Grundproblem noch die Lösung, mit dem sich die Kirche beschäftigt, sind wirklich neu. «Sünde ist das Problem – Christus ist die Lösung», fasst Anna plakativ zusammen. Deshalb spricht sie lieber von «Inkarnation» anstelle von «Innovation»: Es gehe darum, den Menschen in ihrem jeweiligen Kontext zu begegnen und das Evangelium so erfahrbar zu machen, dass es tatsächlich als eine «gute Botschaft» verstanden und erlebt werde. «Es beginnt nicht damit, etwas Neues machen zu wollen, sondern damit, den Menschen zuzuhören.»
Lukas stellt fest, dass neue Formen gerade dann wachsen, wenn die Ressourcen knapp sind. «Verzweiflung kann durchaus ein Treiber sein für Innovation.» Beispielsweise werde in Norddeutschland darüber nachgedacht, Laien zu beauftragen, selbständig Gottesdienste und Abendmahl zu feiern, da die Pfarrpersonen nicht mehr alle Ortschaften abdecken können. Unter Umständen sei es ein Vorteil, wenn man klein und ländlich ist, um neue Formen zu finden. «Die Aufgabe der Kantonalkirche ist es dann, diese Innovationen zu finden und diese finanziell zu unterstützen und zu beraten.»
Erwähnte Ressourcen: » Kompetenzzentrum Pastorale Evaluation, Miriam Zimmer, Veronika Eufinger
Montag, 2. Mai 2022: Staffel 3, Episode 6: » «Umbau des Selbstbilds»
Jedes Dorf hat seine Kirche. Der Pfarrer, der direkt neben der Kirche wohnt, begleitet alle Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner vom ersten Schrei bis zum letzten Husten. Dieses Bild von Kirche spielt sich heute höchstens noch in manchen älteren Köpfen ab. Mitgliederzahlen schrumpfen und der Radius, in dem sich das Leben eines Menschen abspielt, breitet sich weit über den Dorfrand aus.
«Regionalisierung» ist deshalb in aller Munde, wenn es um Kirchenentwicklung geht. Doch wie gelingt denn regionale Zusammenarbeit? Lukas und Anna sind sich vor allem einig, wie sie nicht gelingt: wenn die geografische Lage als einziges Kriterium herangezogen wird, um zu entscheiden, mit welcher Kirchgemeinde man zusammenarbeitet oder gar fusioniert.
Für Lukas gibt es vier klare Kriterien, die stimmen müssen, damit eine Zusammenarbeit gelingen kann: Die theologische Grundausrichtung, die Vision, die Gemeindephilosophie und die zwischenmenschliche Chemie. Wenn man an einem dieser Punkte unterschiedlich tickt, rät Lukas von einer Fusion oder Pastorationsgemeinschaft ab. Natürlich ist es schwierig, eine Gemeinde zu finden, die in all diesen Punkten genau gleich unterwegs ist und es auch auf Dauer bleiben wird. Deshalb plädiert Lukas für eine punktuelle, regionale Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen, die weiterhin von eigenständigen, lokalen Kirchgemeinden ausgeht. Dabei sei es wichtig, immer eine Hintertür offen zu halten: Wenn die Zusammenarbeit nicht mehr funktioniert, müsse es möglich sein, dass man wieder getrennte Wege geht.
Folglich sollten Kirchgemeinden nicht zu Fusionen gezwungen, sondern im gezielten Aufbau von regionalen Beziehungen und thematischer Zusammenarbeit unterstützt werden.
Erwähnte Ressourcen
» Timothy Keller, Center Church
» Simon Sineks Ted Talk, Start With Why
» Werner Näf, Relationsbasierte regiolokale Zusammenarbeit
Montag, 11. April 2022: Staffel 3, Episode 5: » «Umbau der Führung»
Wie sollte der Leader deiner Kirchgemeinde aussehen? Gross, breitschultrig und mindestens so viel Autorität in seiner Stimme wie in seinen Muskeln; oder doch lieber ein strahlendes Lachen, stilbewusste Kleidung und mindestens so viel Glitzer in ihren Worten wie in ihren Augen?
Lukas und Anna diskutieren verschiedene Eigenschaften, welche gute Leiterschaft ausmachen und heben dabei die Besonderheiten von kirchlicher Leiterschaft hervor. Dem Konzept «Servant Leadership» zufolge sind die besten Leader diejenigen, die keine Führungsposition anstreben, sondern sich in den Dienst der Gruppe stellen wollen. «Aber Servants wissen oft nicht, dass sie gute Leader wären», sagt Lukas aus eigener Erfahrung. Deshalb sei es die Aufgabe von kirchlichen Mitarbeitenden, die Leader-Fähigkeiten von Gemeindegliedern zu entdecken und zu fördern.
Anna berichtet von einem Offenbarungsmoment im Thema Leadership: «Das hat mir gezeigt: Leader sind nicht immer die, welche die krassesten Ideen haben, sondern meistens muss man einfach spüren, wo jetzt etwas geschehen muss und welche Gespräche jetzt geführt werden müssen, um gemeinsam weiter zu kommen.»
Die zweite grosse Frage ist dann: Wer soll denn eigentlich die Kirchgemeinde leiten? «In Deutschland ist es selbstverständlich, dass die Pfarrperson die Kirche leitet. In der Schweiz ist es selbstverständlich, dass die Pfarrperson die Kirche nicht leitet», bemerkt Lukas. Auch wenn formell die Kirchenpflege die Kirchgemeinde leitet, kommt es nicht selten vor, dass andere Gemeindeglieder oder Angestellte die eigentlichen Leader sind. «Leadership is influence – nothing more, nothing less» zitiert Lukas John Maxwell und bringt damit zum Ausdruck, dass Führung nichts mit der formellen Position zu tun hat, sondern damit, dass man Menschen ansteckt mit Begeisterung und Vision. Anna beobachtet, dass sich visionäre Personen oft nicht wohl fühlen im Gremium «Kirchenpflege», wenn dort zu viel Tagesgeschäft behandelt wird und zu wenig Strategie und Vision entwickelt werden. Gleichzeitig sollen sich Visionen nicht ausserhalb von formellen Leitungsgremien entwickeln, sonst seien Konflikte programmiert, bemerkt Lukas.
Kirchgemeinden sollten sich also regelmässig fragen: Welche Personen unserer Gemeinde haben Leadership-Qualitäten und welchen Ort brauchen sie, um dieses einbringen und entwickeln zu können?
Erwähnte Ressourcen
» Crucial Conversations, Kerry Patterson et al.
» Servant Leadership, Robert K. Greenleaf
Montag, 21. März 2022: Staffel 3, Episode 4: » «Umbau der Vision»
Ein Leitbild bastelst du mit dem Kopf. Eine Vision zieht dein Herz vorwärts.
Lukas hat sich mit dem Kirchenstand in Löhningen-Guntmadingen viel Zeit genommen, um eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Die Vision haben sie in drei Leitworte gepackt: «Beziehungen bauen, Leben gestalten, Glauben vertiefen». Aber ein solches Leitbild allein wäre wie ein Skelet ohne Muskeln. Erst im Leben der Gemeinde wird erkennbar, wie ihre Vision tatsächlich aussieht. «Wenn jemand tut, was deiner Vision entspricht, dann spürst du das, ohne es in Worte fassen zu können», meint Lukas.
Eine klare Vision hilft einer Kirchgemeinde in mindestens drei Bereichen:
1. Man wählt bewusster, was man tut und was nicht. «Als Kirchgemeinde gibt es tausend Dinge die du tun kannst. Entweder du wählst zufällig aus, oder überlegst dir etwas dabei», meint Anna. Sie beobachtet zudem, dass Kirchgemeinden oft auf akute Bedürfnisse reagieren, statt sich zu überlegen, inwiefern ein Angebot in ihre langfristige Vision passt: «Als würdest du ein Baby immer nur füttern, wenn es schreit, ohne dich auch mal zu fragen, was es sonst noch braucht um sich gut entwickeln zu können.»
2. Lukas erlebt oft, dass es besonders junge Menschen motiviert, wenn man sie immer wieder daran erinnert, in welchem grösseren Zusammenhang ihr Engagement steht und mit welchem Ziel sie etwas tun. Dies gilt nicht nur für zeitliches Engagement: Pfarrer Andreas Manig hat erzählt (Staffel 2, Episode 6), wie sich die finanzielle Beteiligung verstärkt, wenn die Vision der Kirchgemeinde klar kommuniziert wird.
3. Eine Vision unterstützt langfristig, nachhaltige Entwicklungen und macht eine Kirchgemeinde unabhängiger von einzelnen Personen. «Wenn ein Pfarrer oder eine Pfarrerin geht, und eine Kirchgemeinde weiss was sie will, dann kann sie viel gezielter nach einer neuen Person suchen und die bisherige Arbeit weiterführen.»
Doch bis eine gesamte Kirchgemeinde eine Vision mitträgt, braucht es Zeit. Wie kann das gelingen? Immer wieder neue Geschichten erzählen von der gleichbleibenden Vision. «Wenn es dir zum Hals raushängt, die Vision zu kommunizieren, beginnen die Leute, sie langsam zu begreifen.»
Erwähnte Ressourcen
» Thom Rainer, Eric Geiger: «Simple Church»
» Marcel Hauser: «Neues Leben in der Kirche»
Montag, 21. März 2022: Staffel 3, Episode 3: » «Umbau der Finanzierung»
«Geld und Geist hängen zusammen.» Mit dieser These will Lukas weder Ablassbriefe verkaufen noch ein Prosperity Gospel bewerben, sondern eine Beobachtung festhalten: Wenn du weisst, weshalb du als Kirche gebraucht wirst, und das dann auch erklären kannst, dann findest du auch die nötigen finanziellen Mittel. «Geist» kann sowohl bedeuten, dass man sich grundsätzlich bewusst ist, in wessen Auftrag wir als Kirche unterwegs sind, als auch eine konkrete Vision davon, wie dieser Auftrag im konkreten Kontext umgesetzt wird. Diese These stützt sich auf zwei Beobachtungen: Wo sich Menschen engagieren und den Sinn hinter ihrem Engagement sehen, da sind sie auch bereit Geld zu investieren. «Gleichzeitig fühlen sich Menschen stärker als Teil dieser Gemeinschaft, wenn sie auch noch einen Batzen dazu geben», ergänzt Anna die umgekehrte Wirkung. Eine Kultur des Spendens zu fördern, kann also auch dazu beitragen, dass sich Menschen mehr in der kirchlichen Gemeinschaft beheimaten.
Freikirchen seien uns in diesem Aspekt milenweit voraus und wir könnten eine Menge von ihnen lernen, behauptete Lukas weiter.
«Aber dann taucht die Frage auf: Wofür sammelst du jetzt Kollekte im Gottesdienst – für Entwicklungszusammenarbeit oder für einen innerkirchlichen Spendenfonds?», wendet Anna ein. Wenn ein See austrocknet, braucht er neue Zuflüsse. Aber es braucht gute Strategien, um nicht einfach das Wasser vom benachbarten See abzugraben. Lukas hofft, dass sich durch eine gut gepflegte Spendenkultur auch neue Spenderinnen und Spender gewinnen lassen.
Die Kantonalkirchen können in diesem Umbau der Finanzierung entscheidende Hilfestellung bieten: Unterstützen beim Aufbau von Fördervereinen, Fonds für Anschubfinanzierungen und fachliche Begleitung hin zur eigenständigen Finanzierung.
» Ausschreibung des A+W Sabbaticals in Atlanta
Montag, 7. Februar 2022: Staffel 3, Episode 2: » «Umbau des Pfarramts»
Wo kribbelt es bei dir, wenn du im Dorf mit einem ehrfürchtigen «Grüezi Herr Pfarrer» begrüsst wirst? Im erwärmten Herzen, oder in den fluchtbereiten Füssen?
Auch wenn es Lukas nicht stört, die repräsentative Amtswürde des Dorfpfarrers zu tragen, möchte er sich möglichst wenig von den Gemeindegliedern abheben. Der Umbau vom Pfarramt beginnt im Kopf. Lukas hat das Wort «Freiwillige» aus seinem aktiven Wortschatz verbannt (wobei – so ganz hat er es noch nicht geschafft). Wenn wir egalitär arbeiten wollen, müssen wir auch egalitär reden: «Wir sind alle Mitarbeitende am Reich Gottes. Manche werden dafür bezahlt, andere nicht.» Das Anstellungsverhältnis hat ein paar praktische Auswirkungen, aber wenn es darum geht, wer Verantwortung übernimmt oder Entscheidungskompetenzen erhält, stehen alle Mitarbeitenden auf derselben Stufe.
Dieses Verständnis wirkt sich auch darauf aus, wie eine Pfarrperson arbeitet. Wären wir statt hinter Kirchenmauern im Stadion, könnte man sagen: Die Rolle der Pfarrperson sollte sich von der Spielerin zur Trainerin verschieben. Nicht mehr selbst arbeiten, sondern andere zur Arbeit ausrüsten. Oder wie es Thomas Gugger sagte: «Nicht mehr selbst vorne stehen, sondern andere dazu befähigen.»
Anna hält fest, dass dies auch für die theologische Produktivität gilt: «Die Pfarrperson ist nicht diejenige, die spricht, sondern die anderen das Sprechen ermöglicht.» Ein Pfarrer sollte sollte akademisch-theologisches Wissen nicht einfach an die Gemeindeglieder verfüttern, sondern ihnen dabei helfen, ihre eigene theologische Sprache auszubilden.
Das klingt alles ganz einfach. Doch wenn man ein Zahnrädchen verschiebt, muss die ganze Uhr anders zu ticken beginnen. Gemeindeglieder sollen Verantwortung übernehmen – das kann anstrengend sein. Wer nicht nur zuhören, sondern die eigene Theologie formulieren soll, der oder die muss unter Umständen einige innere Hürden überwinden. Und wenn alle mitreden sollen – wie viel darf die Pfarrerin noch sagen?
Klingt anstrengend? Teamsport ist immer anstrengend. Aber auf lange Sicht macht es wohl mehr Spass, die elf Spielerinnen von der Seitenlinie aus anzufeuern, als alleine über den Platz zu rennen.
An alle Pfarrpersonen: In welchen Bereichen findet ihr es am schwierigsten, von den Spieler- in die Trainerschuhe zu wechseln?
Erwähnte Ressource
» Sabrina Müller: Gelebte Theologie, Impulse für eine Pastoraltheologie des Empowerments
Montag, 17. Januar 2022: Staffel 3, Episode 1: » «Umbau der Volkskirche»
In der letzten Episode der zweiten Staffel erklärte Lukas Kundert, dass die Kirche auf zwei Säulen stehe: Institution und Vereinskirche. Die Institution wackelt – ist die Vereinskirche der Weg in die Zukunft? Und wenn ja: Können wir dann trotzdem noch Volkskirche sein?
Die beiden Hosts widmen sich vertieft dem Thema Vereinskirche und greifen verschiedene Ängste auf, die damit verbunden sind: Ist es nicht zu «freikirchlich», wenn die Kirche vermehrt von den Finanzen und dem Engagement der stark-Verbundenen lebt? Bringen Fördervereine die Leute auf die Idee, dass Kirchensteuern gar nicht gebraucht werden? Institutionelle Dienstleistungen wie Spitalseelsorge oder Beerdigungen sind doch auch wichtig – werden diese durch vereinskirchliche Schwerpunkte vertrieben?
Für Lukas und Anna ist klar: «Volkskirche sind wir schon lange nicht mehr.» Zumindest nicht in dem Sinne, dass die Mehrheit der Menschen Mitglieder einer Landeskirche sind oder sich einer solchen zugehörig fühlen. «Weniger ‹Institution› bedeutet aber nicht, dass man sich zurückzieht in eine abgeschlossene Gruppe, sondern dass man mit einem anderen Bewusstsein weiter in die Gesellschaft hineinwirkt.« Auch die Vereinskirche könne sich als Volkskirche verstehen, meint Lukas. Nämlich als Kirche für das Volk. Doch die Motivation dafür liegt nicht im Institutions-Denken, sondern im Bewusstsein, dass Gott uns zu allen Menschen sendet.
Und dann erzählt Lukas noch, wie er 2005 landesweit durch die Medien gejagt wurde, weil er Ausgetretene nicht beerdigen wollte. Für die ganze Geschichte hört ihr euch am besten die Folge an.
Erwähnte Ressource
» Ralph Kunz: «Aufbau der Gemeinde im Umbau der Kirche»
STAFFEL 2
Montag, 27. Dezember 2021: Staffel 2, Episode 9: » «Lukas Kundert, was kommt nach der Volkskirche?»
Der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert hat langjährige Erfahrung mit Kirchenfusionen. Er sagt: Man sollte Kirchgemeinden fusionieren – wenn man sich in einer absoluten Notsituation befindet. Anfangs der 90er Jahren stand die Basler Kirche kurz vor dem Konkurs. «Man entschied sich für einen radikalen Stellenabbau, der nur möglich war durch Kirchgemeinde-Fusionen. In der damaligen Notsituation war das wohl richtig, aber ich würde es niemandem empfehlen, das ebenfalls zu machen.» Fusionen lösen keine Probleme – sie verschieben sie nur auf später. «Wenn man Kirchgemeinden zusammenlegt, steht man in zehn oder fünfzehn Jahren vor der nächsten Strukturreform.»
Lukas Kundert schlägt einen anderen Weg vor: Mehr Vereinskirche – weniger Institutionskirche. Eine Pfarrperson könne maximal 200 bis 300 Personen kennen und betreuen. Aktuell seien Pfarrerinnen und Pfarrer aber für vielleicht 2000 bis 3000 Mitglieder zuständig, da nach dem aktuellen Verteilschlüssel diese Anzahl jeweils eine 100%-Stelle finanziere. Das führt zu überforderten Pfarrpersonen und vernachlässigten Mitgliedern. Wer gute vereinskirchliche Arbeit mache, fühle sich zwangläufig betrogen, wenn seine Stelle reduziert wird wegen des Mitgliederschwunds, auf die er keinen Einfluss habe, sagt Kundert.
Um an dem grundsätzlichen Problem etwas zu ändern, müssten die 200 bis 300 Personen, die von einer intensiveren, vereinskirchlichen Betreuung profitieren, auch die Kosten dafür tragen. Es gibt verschiedene Wege, um dorthin zu gelangen. Einer, der bereits vielerorts gewählt wird, sind Fördervereine. «An ihnen führt kein Weg vorbei.» Lukas Kundert empfiehlt den Basler Pfarramtskandidatinnen und -kandidaten jeweils: «Bewerbt euch nur dort, wo es einen Förderverein gibt, oder falls euch zugesichert wird, dass der Aufbau eines Fördervereins unterstützt wird.»
Die Kirche ist in Bewegung – nicht nur strukturell, sondern auch geistlich. «Was muss sich in den nächsten Jahren geistlich verändern, in der Kirche?», möchte Lukas Huber von Lukas Kundert wissen. «Überlegt euch in euren Leitungsstrukturen, ob ihr die fünf Dienste aus dem Epheserbrief vertreten habt.» Apostel, Prophetin, Hirte, Evangelistin, Lehrer. Die Antwort klinge freikirchlich, komme aber aus dem Mund eines Religiös-Sozialen, sagt Kundert. «Während ich als Hirte zufrieden bin, wenn nur zehn Leute in den Gottesdienst kommen, da ich mich dann besser um jeden einzelnen kümmern kann, geht der Evangelist dabei die glatten Wände hoch.» Wir brauchen einander. Wir dürfen uns nicht nur mit Menschen umgeben, welche dieselbe Perspektive einbringen wie wir.
Ein weiterer Punkt, der für Lukas Kundert zum «geistlichen Leiten» dazugehört: «Ich gehe davon aus, dass die Personen, mit denen ich in der Leitungsverantwortung bin, von Gott dazu bestimmt worden sind, hier diese Funktion zu übernehmen, weil Gott mit ihnen und mit der Kirche etwas vor hat.» Das sei ihm gerade deshalb wichtig, weil er das manchmal nicht so empfinde, wenn er es mit Menschen zu tun hat, die ihm unsympathisch sind. Gemeinsam zu beten als Leitungsgremium helfe ihm dann, diese Grundhaltung wiederzufinden: «Wir wissen dann, es geht nicht um uns, es geht um Christus, und wir geben einfach unser Bestes.»
» Im Bulletin des Landeskirchen-Forums wurde diese Episode besprochen (Seite 3).
Montag, 6. Dezember 2021: Staffel 2, Episode 8: » «Karin Hoffmann, wie gewinnt man Freiwillige?»
Wie in vielen anderen Kirchgemeinden durften Jugendliche in Suhr-Hunzenschwil beim Bazar mithelfen, indem sie abwaschen oder Getränke ausschenken. Für Karin Hoffmann war das zu wenig: «Niemand hatte den Jugendlichen bisher erklärt, weshalb der christliche Glaube die Kirchgemeinde dazu bewegt, den Bazar zu veranstalten. Die Jugendlichen wurden auch nicht gefragt, ob sie eigene Ideen haben, wie sie mitgestalten könnten.»
«Partizipation» ist das Stichwort, welches Karin Hoffmann in ihrer Arbeit mit den Jugendlichen leitet: «Partizipation kann in verschiedenen Stufen stattfinden und reicht von informiert werden, über mitbestimmen bis zu selbständig gestalten.» In der «Ideen-Spinnerei» informiert Karin Hoffmann die Jugendlichen anfangs Jahr darüber, was in der Kirchgemeinde alles stattfinden wird und sie werden gefragt, wo und ob sie mitgestalten oder zusätzlich eigene Ideen umsetzen möchten.
«Man hört immer wieder: Die Jugendlichen von heute hätten keine Zeit für Kirche – stimmt das?» möchte Anna von Karin Hoffmann wissen. «Ja, neben Schule und Hobbys bleibt wenig Freizeit», bestätigt sie. Aber wenn Jugendliche verständen, weshalb sie etwas täten, und sie dort ihre eigenen Ideen und Leidenschaften einbringen könnten, seien sie durchaus bereit, sich zu engagieren.
Karin Hoffmann bemüht sich darum, junge Menschen auch mit anderen Generationen innerhalb der Kirchgemeinde zu vernetzen: «Wir sind Kirche. Wenn wir die Jugendliche nach der Konfirmation nicht verlieren wollen, dann müssen wir dafür sorgen dass sie in Beziehung treten können – einerseits mit Inhalten, die wir als Kirche leben, aber auch mit Leuten, die hier ein- und ausgehen.»
«Suchen denn Jugendliche diese Kontakte zu den älteren Generationen?«, fragt Anna kritisch nach. «Nein», kommt es prompt zurück, «aber sie freuen sich, wenn sie die Erwachsenen wieder irgendwo antreffen und wenn sie von ihnen gesehen werden. Sie brauchen Vorbilder und Menschen, die sich für sie interessieren.»
Karin Hoffmann wünscht sich, dass die Jugendlichen verstehen was wir als Kirche glauben, was uns der Glaube gibt und wozu er uns bewegt. Sie hofft, dass junge Menschen so aus ihrer persönlichen Überzeugung heraus in der Kirche teilnehmen, ihre Begabungen einbringen und inspiriert werden.
Ressourcen
– Partizipativen Prozesse in Kirchgemeinden fördern: » Marcel Hauser: «Neues Leben in der Kirche», Kapitel 3.5 «Dienstleistungs-, Beteiligungs- und Ermöglichungskirche» ab S. 64
Montag, 15. November 2021: Staffel 2, Episode 7: » «Thomas Bucher, warum würde man eine Kirche abreissen wollen?!»
Kleider machen Leute – Gebäude machen Kirchen.
Natürlich ist die Kirche mehr als ein Gebäude. Aber die kirchlichen Bauten sagen viel darüber aus, was den Menschen der jeweiligen Kirchgemeinde wichtig ist: Gibt es eine Toilette in der Kirche oder bleibt man dort eh nicht so lange? Gibt es separate Räume für ein Kinderprogramm? Muss man sich bis zum Gottesdienstraum durch siebzehn Türen und über fünfundneunzig Treppenstufen kämpfen, oder wird man schon vor dem Eingang mit einer gottesdienstlichen Atmosphäre begrüsst?
Die reformierte Kirche Zürich Hirzenbach verwirklicht gerade ein grosses Neubauprojekt: Die Kirche wird abgerissen und vollständig neu gebaut. Kirchenpflegepräsident Thomas Bucher erzählt, inwiefern der Neubau das Selbstverständnis ihrer Kirchgemeinde widerspiegeln wird.
Hirzenbach gestaltet aber nicht erst seit gestern Neues: Sie haben einen «Innokon» und einen «Ermöglicher» angestellt, führen mit den freiwillig Mitarbeitenden «Gartengespräche» durch und suchen durch ihr ästhetisch und kulinarisch einladendes Café die Nähe zum Quartier. All diese neuen Entwicklungen kreisen um die klare Vision, die sie als Kirchgemeinde haben: den Menschen in Hirzenbach eine geistliche Heimat bieten und ein prägender Bestandteil des Quartierlebens sein.
Thomas Bucher rät der Kirchgemeinde mit Ambitionen: «Kennt eure eigene Geschichte. Und überlegt: Wo können wir bei dieser Geschichte anknüpfen? Denn man kann nicht einfach jemand anderes werden.»
Erwähnte Ressourcen:
» Studie der Anglikanischen Kirche «From anecdote to evidence»
» «Gartengespräche»: Tomas Sjödin, «Wo du richtig bist»
» Ralph Kunz (Hg.), Handbuch für Kirchen- und Gemeindeentwicklung (PDF)
Montag, 25. Oktober 2021: Staffel 2, Episode 6: » «Andreas Manig, wie finanzieren wir die Kirchgemeinde langfristig?»
Die Kirchgemeinde Löhningen-Guntmadingen (Lukas' Kirchgemeinde) finanziert 2,5 % ihres Budgets via Spenden. Die Thomaskirche in Basel deckt ihre Ausgaben zu 60% mit Spenden. «Wie ist das möglich?» will Lukas von Andreas Manig, Pfarrer der Thomaskirche, wissen.
Der Kanton Basel-Stadt hat bezüglich kirchlicher Finanzierung eine Sonderstellung: Keine Kirchgemeinde kann sich noch allein auf den Kirchensteuern abstützen. Ohne diese Umstände, wäre es wohl kaum so schnell zu so hohen Spendeneinnahmen gekommen. «So tickt der Mensch: Zuerst muss es weh tun, bevor man etwas ändert.» Aber man könne bereits vorher die Kultur etablieren, dass es dazugehört, die Kirche auch finanziell zu unterstützen. «Damit man dann bereit ist, wenn der Druck grösser wird.»
Ein weiteres Prinzip, das bei der Spendengewinnung hilft: Partizipation. «Wir finden es wichtig, den Leuten zu zeigen, wozu die Kirchgemeinde gut ist und auch zu zeigen, dass das Geld gebraucht wird», erzählt Andreas Manig. In der Thomaskirche seien diejenigen, die sich engagieren, auch diejenigen, welche die Kirche finanziell mittragen. «Wenn du dabei bist, merkst du, wozu das Geld gebraucht wird.»
Die Gemeindeglieder können zudem sehr aktiv mitbestimmen, wozu das Geld eingesetzt wird. Die Thomaskirche hat mehrere entscheidende und beratende Gremien, welche Gemeindebau-Themen besprechen.
Die Gemeinschaft trägt und belebt die Kirche. Und es ist auch diese Gemeinschaft, welche Andreas Manig Hoffnung gibt: «Es tauchen immer wieder Menschen auf, die von der guten Botschaft berührt wurden. Die Gemeinschaft mit diesen Menschen macht mir Hoffnung. Ich glaube, dass diese Botschaft ‹too good to fail› ist.»
Montag, 11. Oktober 2021: Staffel 2, Episode 5: » «Thomas Schaufelberger, wie finden wir eine gute Pfarrerin?»
Wer weiss, was sie sucht, die findet. Der Markt an Pfarrpersonen ist dünn besiedelt. Wie findet eine Kirchgemeinde die passenden Angestellten? Gemäss Thomas Schaufelberger muss eine Kirchgemeinde eine klare Vision ihrer Zukunft haben; wissen, was für eine Person sie zur Umsetzung dieser Vision benötigt und beides in Worte fassen können. «Wenn man rätig ist, was man sucht, und das auch im Inserat entsprechend erscheint, dann ist das attraktiver, als wenn ein Inserat einfach irgendeine Person sucht, die alles können muss.»
Dies verlangt einen intensiven Prozess bereits bevor die Stellenausschreibung beginnt. Dabei kann das Kompetenzstrukturmodell des Konkordats als Sehhilfe dienen.
Damit eine Kirchgemeinde eine zukunftsgerichtete Vision entwickeln kann, ist es wichtig, dass diese ihren sozialen Kontext kennt. «Listening» ist für Thomas Schaufelberger das zentrale Stichwort, um den Sozialraum zu analysieren und die Bedürfnisse der Menschen kennenzulernen.
Über Strukturveränderung wird aktuell viel diskutiert. Lukas möchte wissen: «Was kann eine Kirchgemeinde mit Ambitionen in einer Phase von Strukturveränderungen tun?» Thomas Schaufelberger empfiehlt, unternehmerisch zu denken: Ausschau halten nach neuen Möglichkeiten und sich nicht aufhalten mit dem, was man gerne anders gehabt hätte. Des Weiteren sollten Strukturreformen so gestaltet sein, dass sie den gesellschaftlichen Bedürfnissen nach mehr Globalität (überregionale Netzwerke) und gleichzeitig mehr Lokalität (Quartiersarbeit) Rechnung tragen.
Hoffnung für die Kirche schöpft Thomas Schaufelberger aus eben diesen Veränderungsprozessen, welche die Kirche aus dem institutionellen Korsett befreien. So werde es möglich, dass wir als kirchliche Organisation oder gar als Bewegung die Menschen auf ihrer Suche nach gestärkter Liebe und Impulsen fürs Leben dienen könnten.
Ressourcen:
» Kompetenzstrukturmodell
» Einblick in die anglikanische Kirchenentwicklung: «Mission Shaped Church», Graham Cray
Montag, 27. September 2021: Staffel 2, Episode 4: » «Christine Reibenschuh, was bringt das Reusshaus?»
Aus einer Schnapsidee wird Realität: Anfang September hat der erste Studiengang am «Institut im Reusshaus» gestartet. Inspiriert durch das anglikanische St. Mellitus College werden im Institut im Reusshaus Gemeindebildner ausgebildet.
Christine Reibenschuh erzählt, weshalb es in einer Kirchgemeinde neben Sozialdiakonen und Pfarrerinnen auch Gemeindebildner braucht: «Die akademisch ausgebildeten Pfarrpersonen braucht es natürlich. Die sind in erster Linie zuständig für die Theologie.» Aber es brauche auch Leute, welche die Gaben der Gemeindeglieder erkennen, fördern, und sie dazu befähigen, selbst Gemeinde zu sein. Das lernt man nicht an der Uni.
«Geistliche Bildung» ist für Christine Reibenschuh der Schlüssel für eine zukunftsfähige Kirche. Zur geistlichen Bildung gehört es, dass Menschen persönliche, spirituelle Erfahrungen machen und gemeinsam Worte dafür finden. Wir dürfen der Gemeinde zutrauen, dass sie selbst geistliche Verantwortung übernehmen können. Darin stecke das Potential für Erneuerung: «Das hat uns bei St. Mellitus so beeindruckt: All die ‹Skills› für die Gestaltung neuer Formen von Kirche kommen aus der Christuszentriertheit heraus, die letztendlich in einem persönlichen, spirituellen Leben verankert ist.»
Im Reusshaus werden Pioniere ausgebildet. Christine Reibenschuh beschreibt, wie das zukünftige Arbeitsumfeld solcher Pioniere gestaltet sein müsste, damit diese sich optimal einbringen könnten. Es sei wichtig, dass man die Aufgabe der Gemeindeentwicklung nicht allein an die Pioniere delegiere, sondern dies als Gemeinde mittrage. Zudem sei eine gegenseitige Wertschätzung der alten und neuen Formen entscheidend.
Hoffnung für die Kirche schöpft Christine Reibenschuh aus dem Blick in die Kirchengeschichte: «Wenn ich sehe, wie viel diese alte Dame ‹Kirche› bereits überlebt hat, dann macht mich das hoffnungsvoll, dass Gott uns auch jetzt nicht im Stich lassen wird.»
Ressourcen:
Montag, 13. September 2021: Staffel 2, Episode 3: » «Thomas Gugger, was bringen Glaubenskurse?»
Thomas Gugger: ein unaufgeregter Visionär. Sein Tipp für den Erfolg: eine langfristige Vision und viel Durchhaltewillen. «Ich weiss, was ich einmal in dieser Gemeinde erleben möchte, aber arbeite auch auf Ziele hin, die erst meine Kinder erleben werden.»
In seinen 30 Jahren als Sozialdiakon wurde Thomas Gugger vom Organisator zum Ermöglicher, vom Frontmann zum Coach. «Ich möchte mich selbst überflüssig machen […] Irgendwann werde ich weiterziehen - die Gemeinde bleibt da. Also muss ich die Gemeinde so befähigen, dass ich wieder gehen kann.»
Drei Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Hauskreise, Glaubenskurse und die Zusammenarbeit in der Evangelischen Allianz. Anna fragt kritisch nach dem Gewinn von Hauskreisen: «Geschlossene Gruppen für Insider - inwiefern dient das dem Gemeindebau?» Thomas Gugger berichtet von seinen vergeblichen Versuchen, bestehende Gruppen aufzuteilen oder neue Leute zu integrieren. «Wenn du den Leuten etwas nimmst, wird es schwierig.» Deshalb hat er angefangen, den Leuten etwas zu schenken: Personen aus bestehenden Hauskreisen werden dazu befähigt, neue Hauskreise zu leiten, welche aus Glaubenskursen hervorgehen.
Glaubenskurse scheinen für Anna etwas aus der Zeit gefallen: «Glaube ist Privatsache – da will doch keiner einen Kurs dazu machen, wie man richtig glaubt.» Thomas Gugger bestätigt das und erklärt, dass sie deshalb seit einigen Jahren vermehrt den MyLife-Kurs durchführen. Bei diesem Kurs setzen sich die Teilnehmenden mit ihrer eigenen Biographie auseinander und entdecken darin selbst die Spuren Gottes. «Mit diesem Angebot stossen wir auf grosses Interesse und oft möchten sich die Leute danach vertiefter mit dem christlichen Glauben beschäftigen.»
Die vier Allianz-Kirchgemeinden führen diese Kurse jeweils gemeinsam durch. Die Zusammenarbeit wurde mit viel Schweiss und Tränen erkämpft. Es kam zum Wendepunkt, als sie weniger gemeinsame Events machten, und statt dessen die Freundschaft unter den Leitungspersonen pflegten. So bauten sei gegenseitiges Vertrauen auf und konnten die Stärken der anderen entdecken: «Es dauerte zwei Jahre, bis wir uns nicht mehr voneinander bedroht fühlten, sondern als Ergänzung wertschätzen konnten.»
«Lohnt es sich denn, immer wieder über die theologischen Unterschiede zu streiten?» möchte Lukas wissen. «Streiten musst du nur dann, wenn du nicht weisst, wo dein Gegenüber steht und Angst hast, nicht zu wissen, wo du stehst», antwortet Thomas Gugger, und bringt seine enge Freundschaft und tiefe Dankbarkeit gegenüber den anderen Kirchgemeinden zum Ausdruck.
Montag, 30. August 2021: Staffel 2, Episode 2: » «Sabrina Müller, wie wird Kirche neu?»
Die reformierte Kirche hat zu wenig Pfarrerinnen und Pfarrer - aber Priester hätte sie eigentlich genug.
Laut Sabrina Müller schwebt das «Allgemeinen Priestertum» zwar als Konzept durch die Kirchenlandschaft, aber in der Praxis fasst es viel zu selten Fuss. Um Laien darin zu fördern, die Gemeinde zu gestalten, sollten Pfarrpersonen weniger leiten und mehr coachen.
Nicht für, sondern mit Menschen zusammen Kirche zu gestalten, das ist auch die Grundlage, auf welcher «Fresh Expressions of Church» beruhen. Sabrina Müller forschte dazu im Rahmen ihrer Dissertation, während sie selbst solche neuen Formen ausprobiert und begleitet hat. Sie spricht mit Anna und Lukas darüber, welche theologischen und strukturellen Voraussetzungen es braucht, damit Fresh X entstehen können. Lukas ist überrascht, dass eine Mehrheit der Fresh X von lokalen Kirchgemeinden initiiert werden. Sabrina Müller empfiehlt deshalb: «Manchmal lohnt es sich, einfach selbst auszuprobieren, und nicht zuerst auf die Institution zu warten.»
Fresh X reagiert auf eine gesellschaftliche Veränderung: Postmoderne Menschen konstruieren ihr Weltbild nicht auf der Grundlage der besten Argumente, sondern übernehme jene Überzeugungen, welche sich in ihrem Leben als relevant erweisen. Deshalb lasst uns Kirche leben, Glauben fühlen und vom Geist bewegt werden.
Montag, 16. August 2021: Staffel 2, Episode 1: » «Ralph Kunz, wie baut der Professor Kirche?»
«Wir brauchen ein starkes Pfarramt», davon ist Professor Ralph Kunz überzeugt. Aber nicht eine Pfarrperson, welche als «Charismen-Schwamm» alles selber macht, sondern die begleitet, ermutigt und ermächtigt. Kirchliche Mitarbeitende sind beauftragt, mit der Gemeinde zusammen zu entdecken, wie man gemeinsam Leib Christi ist. Bedeutet das: Möglichst viele Laien liturgieren und jedes Gemeindeglied wird zur Mini-Theologin? Nicht unbedingt. Es bedeutet vor allem, dass man als Gemeinschaft betet, feiert, glaubt und zweifelt.
Der pastoraltheologische Paradigmenwechsel von einer «Versorgerkirche» zu einer «Beteiligungskirche» bietet Herausforderungen und Chancen. Wie verhält sich das zum reformierten Selbstverständnis, Volkskirche zu sein? Wie können Strukturreformen gestaltet werden, damit sie der Beteiligung der Gemeinde dienen?
Ralph Kunz sieht die aktuelle Lage der Kirche durchaus als Chance: Wer knappe Mittel hat, muss kreativ werden. Dazu kommt eine wachsende gesellschaftliche Offenheit: in einer pluralistischen Welt ist es mittlerweile sogar wieder ok, wenn man sich zum Christentum bekennt.
Auch der Institution Kirche tut es gut, dass nicht mehr alles und jeder automatisch dazugehört: «Der Freiraum nicht mehr für alles verantwortlich zu sein, bietet den Freiraum, Verantwortung zu übernehmen.»
STAFFEL 1
Montag, 2. August 2021: Staffel 1, Episode 9: » «Kurzfristig, aber mit langer Brennweite»
Jugendarbeit lebt von Spontanität und Flexibilität: Die Lebensumstände junger Menschen verändern sich schnell und sie planen gerne unverbindlich. Gleichzeitig benötigen die Verantwortlichen eine langfristige Perspektive, damit nicht nach jedem Hauptleiter-Wechsel alles bei Null beginnt.
Im Daily Business vergisst man schnell, die Zukunft in den Fokus zu nehmen. Anna erzählt von ihren Schwierigkeiten in der Nachwuchsförderung und dem Druck, der oft auf Hauptleitenden liegt, wenn sie niemanden finden, dem sie den Stab übergeben können.
Die Lösung ist simpel: Ab dem ersten Tag einer neuen Aufgabe die Nachfolge aufbauen. Nicht, weil man das Angebot unbedingt aufrechterhalten muss, sondern weil es Zeit braucht, junge Menschen in ihren Leitungsfähigkeiten zu fördern. Wenn ein Angebot eingeht, weil die Leitenden lieber etwas anderes machen möchten, ist das ok. Schade ist es, wenn ein Angebot deshalb eingeht, weil keine Nachwuchsleiterinnen oder -leiter aufgebaut wurden. Wenn das ganze Team die Augen offen hält, kann bereits ein Ameisli-Kind als zukünftige Hauptleiterin entdeckt und auf dem Weg dahin unterstützt werden.
Montag, 19. Juli 2021: Staffel 1, Episode 8: » «Wer eine Jugendarbeit hat, hat Probleme»
«Wenn du Ruhe und Ordnung willst, dann geh auf den Friedhof.» Lukas ist überzeugt, dass eine lebendige Jugendarbeit unweigerlich zu Unruhe und Chaos führt. Wenn die jungen Menschen bei jeder Idee zuerst eine Erlaubnis der Kirchenstände benötigen, landet der Tatendrang schnell unter der Erde.
Das bedeutet: Als kirchliche Verantwortungsträger müssen wir den Jungen Freiraum geben, und gleichzeitig den Kopf hinhalten, wenn sie Mist bauen. Das gilt es zu akzeptieren und auszuhalten. Wir dürfen den jungen Menschen bei einem Fehler nicht in den Rücken fallen und sie beschuldigen, sondern sollten sie fragen: «Wie können wir euch dabei unterstützen, den Fehler wieder auszubügeln und zu schauen, dass das nicht nochmals passiert?»
Natürlich sollten sich junge Leiterinnen und Leiter ihrer Verantwortung bewusst sein und diese übernehmen. Aber wir dürfen von einer 20-Jährigen nicht dieselben Vernunft-Entscheide erwarten, wie von einem 50-Jährigen. Zum Glück. Denn im Zweifelsfall soll der Rat von Steve Jobs angewandt werden: «Stay hungry, stay foolish.»
Anna und Lukas empfehlen deshalb: Wenn ihr jung seid, nutzt eure Vernunfts-Immunität. Wenn ihr nicht mehr so jung seid: Lasst euch gegen Problem-Angst impfen. So erhöht ihr die Lebenschancen eurer Jugendarbeit.
Hinweise:
» Die erwähnte Mega-Church mit Altersdurchschnitt 22
» Steve Jobs Vortrag Stanford University Graduation
Montag, 5. Juli 2021: Staffel 1, Episode 7: » «Gruppen vernetzen und in die Gesamtverantwortung hineinziehen»
Wann habe ich als Jungschar-Leiterin eine gute Leistung erbracht? Wenn alle Kinder unverletzt nach Hause kommen? Wenn sie das nächste Mal in doppelter Zahl und doppelter Freude wiederkommen? Oder kann ich mir erst dann auf die Schultern klopfen, wenn die Kinder zu mündigen Gemeindegliedern herangewachsen sind?
Lukas und Anna stellen fest, dass Leiterinnen und Leiter kaum über die «kirchliche Laufbahn» ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer nachdenken. Es geht vielmehr um das Daily Business ihrer Gruppen. Gerade weil dieser Tunnelblick nachvollziehbar ist, sollte er durch Impulse von aussen herausgefordert werden.
Wenn Teamleiterinnen und Teamleiter sich bewusst sind, wie sich ihre Arbeit zum Gesamtgefüge der Jugendarbeit verhält, dann hat das Auswirkungen auf die ganze Gruppe: Teams arbeiten dynamischer und nachhaltiger, wenn sie auf ihr Umfeld und ihren Kontext reagieren müssen (vgl. Cornelia Edding, Die Umwelt von Gruppen). Zudem identifizieren sich Leitungspersonen stärker mit der Gesamtgemeinde, wenn ihr Verantwortungsbereich über ihre Gruppe hinausreicht und sie mit den übrigen Gruppen eine gemeinsame Vision teilen.
Um Hauptleiterinnen und Hauptleiter dabei zu begleiten, ihren Blick zu weiten, müssen wir uns zuerst selbst im Klaren darüber sein, welche Gruppen existieren und wie diese strategisch zusammenhängen. In einem weiteren Schritt können dann Orte und Gefässe geschaffen werden, an denen an der gemeinsamen Strategie gearbeitet wird.
Lektürehinweise
Thom S. Rainer, Eric Geiger, Simple Church: Returning to God's Grocess for Making Disciples, 2011.
Cornelia Edding, Karl Schattenhofer (Hrsg.), Die Umwelt von Gruppen, in: Handbuch Alles über Gruppen: Theorie, Anwendung, Praxis, 2015, S.467-487.)
Montag, 21. Juni 2021: Staffel 1, Episode 6: » «Was bieten wir den Leiterinnen und Leitern?»
Menschen, die sich in der Kirche engagieren, tun dies aus Liebe zu Gott und den Menschen – oder?
Jain. Anna ist überzeugt, dass hinter freiwilligem Engagement mehr steckt, als reiner Altruismus. Und das sei auch gut so: «Obwohl ich das nur selten so ausspreche, engagiere ich mich, weil ich etwas dafür zurückerhalte.»
Elisabeth Christian nennt in einem Artikel neun Güter, welche sich freiwillig Mitarbeitende als Gegenwert für ihr Engagement versprechen: geldwerte Leistung, Sicherheit, Gestaltung + Einfluss, Kompetenzaneignung, Autonomie, Anerkennung ausserhalb der Organisation, Risiko/Reiz, Zugehörigkeit und Sinn.
Welches «Tauschgut» sich Mitarbeitende versprechen, ist abhängig von Persönlichkeit und Lebenssituation. Wenn wir mit Freiwilligen zusammenarbeiten, sollten wir also sensibel sein dafür, welches Gut sie sich erhoffen und inwiefern wir ihnen dies bieten.
Anna und Lukas stellen fest, dass Kompetenzaneignung, Zugehörigkeit und Sinn in ihrer Jugendarbeit relativ gut abgedeckt sind. Doch sie stehen auch vor einigen Fragen: Welche Formen eigenen sich, um die Kompetenzen junger Leitungspersonen zu fördern (regionale Kurse, lokale Leiterweekends, Einzelcoaching, …)? Die Anerkennung für kirchliches Engagement ausserhalb der Kirche ist – nett gesagt – gering. Können wir daran etwas ändern oder müssen wir das einfach akzeptieren?
Montag, 7. Juni 2021: Staffel 1, Episode 5: » «Verantwortung übergeben, nicht Aufgaben verteilen»
Wer Aufgaben verteilt, kontrolliert was geschieht: Es steht bereits fest, was gemacht wird, die Frage ist nur noch, wer es umsetzt. Lukas plädiert dafür, in der Jugendarbeit keine Aufgaben zu verteilen, sondern Verantwortung zu übergeben. Dies kann auf zwei Ebenen Potential freisetzen:
«Aber es kostet doch ziemlich Überwindung, die eigenen Vorstellungen loszulassen», wendet Anna ein. Lukas stimmt ihr zu, erwidert aber: «Wenn du eine blühende Jugendarbeit willst, musst du akzeptieren, dass es nicht nach deinen Vorstellungen läuft. Entweder du hast Kontrolle, oder du hast Wachstum. Beides zusammen geht nicht.»
Als Pfarrperson müsse man bereit sein, für die Fehler von anderen den Kopf hinzuhalten. Verantwortung abzugeben ist nämlich nicht nur eine Frage der Struktur, sondern vor allem der Kultur: Fehler werden erwartet und akzeptiert, junge Menschen werden für ihre Verantwortung öffentlich wertgeschätzt und sie werden aktiv in Entscheidungen miteinbezogen.
Nicht zuletzt sollen junge Menschen auch für geistliche Entwicklungen Verantwortung übernehmen. Dies geschehe nicht automatisch, meint Lukas. Als Pfarrperson müsse man die Hauptleiterinnen und Hauptleiter immer wieder daran erinnern, dass sie den geistlichen Inhalt gestalten dürfen und verantworten sollen.
Erwähnte Ressourcen:
» «You can have control. You can have groth. But you can't have both.» Craig Groeschel
Montag, 24. Mai 2021: Staffel 1, Episode 4: » «Wer Visionen hat, sollte Arzt werden»
Lukas diagnostiziert unsere Kirche auf einen schweren Fall von Visionslosigkeit: «Wir sind ziemlich gut darin, das zu tun, was wir schon immer getan haben.» Aber um junge Menschen zu begeistern, brauchen wir eine Vision der Zukunft, welche sie mitgestalten möchten.
Die Vision bildet den Herzschlag einer kirchlichen Gemeinschaft: Es geht nicht um rationale Strategien, sondern um ein Bild der Zukunft, das uns bewegt. Dieses lässt sich nicht in einem Leitbild fassen, sondern lebt davon, dass man ständig erklärt, _warum_ man etwas tut und gleichzeitig Geschichten davon erzählt, warum es sich _lohnt_, dies zu tun. Wenn man Lukas so zuhört, könnte man meinen, die Vision sei ein Allheilmittel: Sie verhindert Machtkämpfe, befreit von Pfarrerzentrierung und führt die richtigen Personen in Verantwortungspositionen.
Erwähnte Literatur:
» Hauser, Marcel: «Neues Leben in der Kirche. Impulse für die Gemeindeentwicklung und den Gemeindeaufbau», Norderstedt 2020
Montag, 10. Mai 2021: Staffel 1, Episode 3: » «Persönliches Wachstum fördern»
Sich im eigenen Leben zurecht finden; entfalten was in einem steckt; das bedeutet «persönliches Wachstum», argumentiert Anna. Wie können wir als Kirche junge Menschen dabei unterstützen? Und wie verhält sich diese diakonische Wachstumsförderung zur verkündigenden Glaubensförderung?
Anna bringt eine unscheinbare These mit Explosivkraft: Nachhaltiges Wachstum geschieht dann, wenn Gott die zerbrochenen Beziehungen zu uns, zu unseren Mitmenschen und zu ihm heilt. Unscheinbar, weil dies nichts weiter ist, als klassische Heiligungslehre. Explosiv, weil dies aktuell in vielen Aspekten des kirchlichen Lebens vergessen wird
Reden wir im Konfunterricht darüber, wie gesunde Beziehungen aussehen und worin man Geld und Zeit investieren soll?
Lassen wir die Jugendlichen so tief in unser Leben hineinschauen, dass sie die praktischen Veränderungen sehen, die unser Glaube darin hinterlässt?
Vermitteln wir platte «christliche Werte», oder eine Lebensweise, die aus der Quelle der erlebten Liebe Gottes gespiesen wird?
Mittwoch, 5. Mai 2021: Staffel 1, Episode 2: » Glauben fördern – ohne Druck und ohne Hemmungen»
«Wenn der Glaube im Leben der Jugendlichen nichts verändert, werden sie bald die nächste Abzweigung nehmen und irgendwo anders hingehen.» Deshalb ist Anna überzeugt, dass Glaubensförderung ein zentraler Bestandteil der Jugendarbeit sein muss.
Das klingt aber verdächtig nach «missionieren»: jungen Menschen vorschreiben, was sie zu glauben haben. Von dieser Art der Glaubensförderung distanzieren sich Lukas und Anna klar. Glaube wirkt nur dann lebensfördernd, wenn er von den jungen Menschen selbst für sich entdeckt wird. Deshalb: ohne Druck.
Gleichzeitig ist es ratsam, die beschämte Wortlosigkeit zu überwinden und stattdessen jungen Menschen aktiv dabei zu unterstützen, ihr Leben aus einer christlichen Perspektive sehen zu können. Deshalb: Hemmungslos von dem erzählen, was uns bewegt.
Es gibt Formate, welche spezifisch zur hemmungslosen und druckfreien Glaubensförderung beitragen (z.B: Roundabout oder Jugendglaubenskurse).
Wer keine neuen Gefässe schaffen möchte, kann bereits bestehenden Aktivitäten überarbeiten:
Mehr Durchlässigkeit fördern zwischen «frommen» und «nicht-frommen» Gruppen
Möglichkeiten schaffen, wo man explizit Schritte im Glauben gehen kann
«Spiritualität» nicht nur in separaten Gefässen thematisieren, sondern auch während des Zähneputzens im Konflager, auf dem Heimweg vom Jugendraum oder während des gemeinsamen Velo-Reparatur-Tags.
Montag, 3. Mai 2021: Staffel 1, Episode 1: » «Beziehungen sind alles»
Junge Menschen sind nicht nur am Puls der Zeit – sie können auch zum Puls der Kirche werden. Lukas investiert begeistert in regionale Jugendarbeit, weil er über die positiven Veränderung im Leben junger Menschen staunt. Anna arbeitet gern mit jungen Menschen, weil diese dynamische und innovative Veränderungen vorantreiben.
Beide sind sich einig: Das Fundament guter kirchlicher Jugendarbeit, sind Beziehungen. Kirchenkaffee-Gespräche reichen nicht aus, um eine Kultur zu etablieren, in welcher Menschen echt und verlässlich miteinander unterwegs sind.
Natürlich entsteht ein tragendes Beziehungsnetzwerk nicht auf Knopfdruck. Aber eine beziehungsorientierte Kultur kann sorgfältig und konstant gefördert werden. Kirchliche Angestellte spielen dabei eine zentrale Rolle. Erstens nehmen sie sich Zeit, um gezielt in ihre Beziehungen zu engagierten Mitarbeitenden innerhalb der Gemeinde zu investieren. Zweitens schaffen sie strategisch Gefässe, in denen Beziehungen unter den Teilnehmenden entstehen und wachsen können.
Donnerstag, 15. April 2021: Staffel 0, Episode 0: » «Wer wir sind und wie viele davon»
Lukas P. Huber und Anna Näf beantworten vier Fragen:
1. Wo stehst du im Leben?
2. Warum braucht es aus deiner Sicht diesen Podcast?
3. Was erhoffst du dir, das der Podcast bewirkt?
4. Warum gerade Du?
Montag, 23. Mai 2022: Staffel 3, Episode 7: » «Umbau des Denkens»
Tradition und Innovation sind wie Dampfer und Rettungsring: Die Tradition trägt durch die Höhen und Tiefen gesellschaftlicher Veränderung hindurch, die Innovation begegnet den Menschen in diesen Höhenflügen und Tiefschlägen. «Natürlich braucht es beides in der Kirche», meint Anna, «aber wenn alle aus dem Dampfer springen, weil er ihnen nicht mehr passt, wäre es vielleicht an der Zeit, Rettungsringe auszuwerfen.»
Innovation ja – aber wie? In Wirtschaft und Technologie bedeutet «Innovation» ein neues Problem auf eine neue Art zu lösen. Doch weder das Grundproblem noch die Lösung, mit dem sich die Kirche beschäftigt, sind wirklich neu. «Sünde ist das Problem – Christus ist die Lösung», fasst Anna plakativ zusammen. Deshalb spricht sie lieber von «Inkarnation» anstelle von «Innovation»: Es gehe darum, den Menschen in ihrem jeweiligen Kontext zu begegnen und das Evangelium so erfahrbar zu machen, dass es tatsächlich als eine «gute Botschaft» verstanden und erlebt werde. «Es beginnt nicht damit, etwas Neues machen zu wollen, sondern damit, den Menschen zuzuhören.»
Lukas stellt fest, dass neue Formen gerade dann wachsen, wenn die Ressourcen knapp sind. «Verzweiflung kann durchaus ein Treiber sein für Innovation.» Beispielsweise werde in Norddeutschland darüber nachgedacht, Laien zu beauftragen, selbständig Gottesdienste und Abendmahl zu feiern, da die Pfarrpersonen nicht mehr alle Ortschaften abdecken können. Unter Umständen sei es ein Vorteil, wenn man klein und ländlich ist, um neue Formen zu finden. «Die Aufgabe der Kantonalkirche ist es dann, diese Innovationen zu finden und diese finanziell zu unterstützen und zu beraten.»
Erwähnte Ressourcen: » Kompetenzzentrum Pastorale Evaluation, Miriam Zimmer, Veronika Eufinger
Montag, 2. Mai 2022: Staffel 3, Episode 6: » «Umbau des Selbstbilds»
Jedes Dorf hat seine Kirche. Der Pfarrer, der direkt neben der Kirche wohnt, begleitet alle Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner vom ersten Schrei bis zum letzten Husten. Dieses Bild von Kirche spielt sich heute höchstens noch in manchen älteren Köpfen ab. Mitgliederzahlen schrumpfen und der Radius, in dem sich das Leben eines Menschen abspielt, breitet sich weit über den Dorfrand aus.
«Regionalisierung» ist deshalb in aller Munde, wenn es um Kirchenentwicklung geht. Doch wie gelingt denn regionale Zusammenarbeit? Lukas und Anna sind sich vor allem einig, wie sie nicht gelingt: wenn die geografische Lage als einziges Kriterium herangezogen wird, um zu entscheiden, mit welcher Kirchgemeinde man zusammenarbeitet oder gar fusioniert.
Für Lukas gibt es vier klare Kriterien, die stimmen müssen, damit eine Zusammenarbeit gelingen kann: Die theologische Grundausrichtung, die Vision, die Gemeindephilosophie und die zwischenmenschliche Chemie. Wenn man an einem dieser Punkte unterschiedlich tickt, rät Lukas von einer Fusion oder Pastorationsgemeinschaft ab. Natürlich ist es schwierig, eine Gemeinde zu finden, die in all diesen Punkten genau gleich unterwegs ist und es auch auf Dauer bleiben wird. Deshalb plädiert Lukas für eine punktuelle, regionale Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen, die weiterhin von eigenständigen, lokalen Kirchgemeinden ausgeht. Dabei sei es wichtig, immer eine Hintertür offen zu halten: Wenn die Zusammenarbeit nicht mehr funktioniert, müsse es möglich sein, dass man wieder getrennte Wege geht.
Folglich sollten Kirchgemeinden nicht zu Fusionen gezwungen, sondern im gezielten Aufbau von regionalen Beziehungen und thematischer Zusammenarbeit unterstützt werden.
Erwähnte Ressourcen
» Timothy Keller, Center Church
» Simon Sineks Ted Talk, Start With Why
» Werner Näf, Relationsbasierte regiolokale Zusammenarbeit
Montag, 11. April 2022: Staffel 3, Episode 5: » «Umbau der Führung»
Wie sollte der Leader deiner Kirchgemeinde aussehen? Gross, breitschultrig und mindestens so viel Autorität in seiner Stimme wie in seinen Muskeln; oder doch lieber ein strahlendes Lachen, stilbewusste Kleidung und mindestens so viel Glitzer in ihren Worten wie in ihren Augen?
Lukas und Anna diskutieren verschiedene Eigenschaften, welche gute Leiterschaft ausmachen und heben dabei die Besonderheiten von kirchlicher Leiterschaft hervor. Dem Konzept «Servant Leadership» zufolge sind die besten Leader diejenigen, die keine Führungsposition anstreben, sondern sich in den Dienst der Gruppe stellen wollen. «Aber Servants wissen oft nicht, dass sie gute Leader wären», sagt Lukas aus eigener Erfahrung. Deshalb sei es die Aufgabe von kirchlichen Mitarbeitenden, die Leader-Fähigkeiten von Gemeindegliedern zu entdecken und zu fördern.
Anna berichtet von einem Offenbarungsmoment im Thema Leadership: «Das hat mir gezeigt: Leader sind nicht immer die, welche die krassesten Ideen haben, sondern meistens muss man einfach spüren, wo jetzt etwas geschehen muss und welche Gespräche jetzt geführt werden müssen, um gemeinsam weiter zu kommen.»
Die zweite grosse Frage ist dann: Wer soll denn eigentlich die Kirchgemeinde leiten? «In Deutschland ist es selbstverständlich, dass die Pfarrperson die Kirche leitet. In der Schweiz ist es selbstverständlich, dass die Pfarrperson die Kirche nicht leitet», bemerkt Lukas. Auch wenn formell die Kirchenpflege die Kirchgemeinde leitet, kommt es nicht selten vor, dass andere Gemeindeglieder oder Angestellte die eigentlichen Leader sind. «Leadership is influence – nothing more, nothing less» zitiert Lukas John Maxwell und bringt damit zum Ausdruck, dass Führung nichts mit der formellen Position zu tun hat, sondern damit, dass man Menschen ansteckt mit Begeisterung und Vision. Anna beobachtet, dass sich visionäre Personen oft nicht wohl fühlen im Gremium «Kirchenpflege», wenn dort zu viel Tagesgeschäft behandelt wird und zu wenig Strategie und Vision entwickelt werden. Gleichzeitig sollen sich Visionen nicht ausserhalb von formellen Leitungsgremien entwickeln, sonst seien Konflikte programmiert, bemerkt Lukas.
Kirchgemeinden sollten sich also regelmässig fragen: Welche Personen unserer Gemeinde haben Leadership-Qualitäten und welchen Ort brauchen sie, um dieses einbringen und entwickeln zu können?
Erwähnte Ressourcen
» Crucial Conversations, Kerry Patterson et al.
» Servant Leadership, Robert K. Greenleaf
Montag, 21. März 2022: Staffel 3, Episode 4: » «Umbau der Vision»
Ein Leitbild bastelst du mit dem Kopf. Eine Vision zieht dein Herz vorwärts.
Lukas hat sich mit dem Kirchenstand in Löhningen-Guntmadingen viel Zeit genommen, um eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Die Vision haben sie in drei Leitworte gepackt: «Beziehungen bauen, Leben gestalten, Glauben vertiefen». Aber ein solches Leitbild allein wäre wie ein Skelet ohne Muskeln. Erst im Leben der Gemeinde wird erkennbar, wie ihre Vision tatsächlich aussieht. «Wenn jemand tut, was deiner Vision entspricht, dann spürst du das, ohne es in Worte fassen zu können», meint Lukas.
Eine klare Vision hilft einer Kirchgemeinde in mindestens drei Bereichen:
1. Man wählt bewusster, was man tut und was nicht. «Als Kirchgemeinde gibt es tausend Dinge die du tun kannst. Entweder du wählst zufällig aus, oder überlegst dir etwas dabei», meint Anna. Sie beobachtet zudem, dass Kirchgemeinden oft auf akute Bedürfnisse reagieren, statt sich zu überlegen, inwiefern ein Angebot in ihre langfristige Vision passt: «Als würdest du ein Baby immer nur füttern, wenn es schreit, ohne dich auch mal zu fragen, was es sonst noch braucht um sich gut entwickeln zu können.»
2. Lukas erlebt oft, dass es besonders junge Menschen motiviert, wenn man sie immer wieder daran erinnert, in welchem grösseren Zusammenhang ihr Engagement steht und mit welchem Ziel sie etwas tun. Dies gilt nicht nur für zeitliches Engagement: Pfarrer Andreas Manig hat erzählt (Staffel 2, Episode 6), wie sich die finanzielle Beteiligung verstärkt, wenn die Vision der Kirchgemeinde klar kommuniziert wird.
3. Eine Vision unterstützt langfristig, nachhaltige Entwicklungen und macht eine Kirchgemeinde unabhängiger von einzelnen Personen. «Wenn ein Pfarrer oder eine Pfarrerin geht, und eine Kirchgemeinde weiss was sie will, dann kann sie viel gezielter nach einer neuen Person suchen und die bisherige Arbeit weiterführen.»
Doch bis eine gesamte Kirchgemeinde eine Vision mitträgt, braucht es Zeit. Wie kann das gelingen? Immer wieder neue Geschichten erzählen von der gleichbleibenden Vision. «Wenn es dir zum Hals raushängt, die Vision zu kommunizieren, beginnen die Leute, sie langsam zu begreifen.»
Erwähnte Ressourcen
» Thom Rainer, Eric Geiger: «Simple Church»
» Marcel Hauser: «Neues Leben in der Kirche»
Montag, 21. März 2022: Staffel 3, Episode 3: » «Umbau der Finanzierung»
«Geld und Geist hängen zusammen.» Mit dieser These will Lukas weder Ablassbriefe verkaufen noch ein Prosperity Gospel bewerben, sondern eine Beobachtung festhalten: Wenn du weisst, weshalb du als Kirche gebraucht wirst, und das dann auch erklären kannst, dann findest du auch die nötigen finanziellen Mittel. «Geist» kann sowohl bedeuten, dass man sich grundsätzlich bewusst ist, in wessen Auftrag wir als Kirche unterwegs sind, als auch eine konkrete Vision davon, wie dieser Auftrag im konkreten Kontext umgesetzt wird. Diese These stützt sich auf zwei Beobachtungen: Wo sich Menschen engagieren und den Sinn hinter ihrem Engagement sehen, da sind sie auch bereit Geld zu investieren. «Gleichzeitig fühlen sich Menschen stärker als Teil dieser Gemeinschaft, wenn sie auch noch einen Batzen dazu geben», ergänzt Anna die umgekehrte Wirkung. Eine Kultur des Spendens zu fördern, kann also auch dazu beitragen, dass sich Menschen mehr in der kirchlichen Gemeinschaft beheimaten.
Freikirchen seien uns in diesem Aspekt milenweit voraus und wir könnten eine Menge von ihnen lernen, behauptete Lukas weiter.
«Aber dann taucht die Frage auf: Wofür sammelst du jetzt Kollekte im Gottesdienst – für Entwicklungszusammenarbeit oder für einen innerkirchlichen Spendenfonds?», wendet Anna ein. Wenn ein See austrocknet, braucht er neue Zuflüsse. Aber es braucht gute Strategien, um nicht einfach das Wasser vom benachbarten See abzugraben. Lukas hofft, dass sich durch eine gut gepflegte Spendenkultur auch neue Spenderinnen und Spender gewinnen lassen.
Die Kantonalkirchen können in diesem Umbau der Finanzierung entscheidende Hilfestellung bieten: Unterstützen beim Aufbau von Fördervereinen, Fonds für Anschubfinanzierungen und fachliche Begleitung hin zur eigenständigen Finanzierung.
» Ausschreibung des A+W Sabbaticals in Atlanta
Montag, 7. Februar 2022: Staffel 3, Episode 2: » «Umbau des Pfarramts»
Wo kribbelt es bei dir, wenn du im Dorf mit einem ehrfürchtigen «Grüezi Herr Pfarrer» begrüsst wirst? Im erwärmten Herzen, oder in den fluchtbereiten Füssen?
Auch wenn es Lukas nicht stört, die repräsentative Amtswürde des Dorfpfarrers zu tragen, möchte er sich möglichst wenig von den Gemeindegliedern abheben. Der Umbau vom Pfarramt beginnt im Kopf. Lukas hat das Wort «Freiwillige» aus seinem aktiven Wortschatz verbannt (wobei – so ganz hat er es noch nicht geschafft). Wenn wir egalitär arbeiten wollen, müssen wir auch egalitär reden: «Wir sind alle Mitarbeitende am Reich Gottes. Manche werden dafür bezahlt, andere nicht.» Das Anstellungsverhältnis hat ein paar praktische Auswirkungen, aber wenn es darum geht, wer Verantwortung übernimmt oder Entscheidungskompetenzen erhält, stehen alle Mitarbeitenden auf derselben Stufe.
Dieses Verständnis wirkt sich auch darauf aus, wie eine Pfarrperson arbeitet. Wären wir statt hinter Kirchenmauern im Stadion, könnte man sagen: Die Rolle der Pfarrperson sollte sich von der Spielerin zur Trainerin verschieben. Nicht mehr selbst arbeiten, sondern andere zur Arbeit ausrüsten. Oder wie es Thomas Gugger sagte: «Nicht mehr selbst vorne stehen, sondern andere dazu befähigen.»
Anna hält fest, dass dies auch für die theologische Produktivität gilt: «Die Pfarrperson ist nicht diejenige, die spricht, sondern die anderen das Sprechen ermöglicht.» Ein Pfarrer sollte sollte akademisch-theologisches Wissen nicht einfach an die Gemeindeglieder verfüttern, sondern ihnen dabei helfen, ihre eigene theologische Sprache auszubilden.
Das klingt alles ganz einfach. Doch wenn man ein Zahnrädchen verschiebt, muss die ganze Uhr anders zu ticken beginnen. Gemeindeglieder sollen Verantwortung übernehmen – das kann anstrengend sein. Wer nicht nur zuhören, sondern die eigene Theologie formulieren soll, der oder die muss unter Umständen einige innere Hürden überwinden. Und wenn alle mitreden sollen – wie viel darf die Pfarrerin noch sagen?
Klingt anstrengend? Teamsport ist immer anstrengend. Aber auf lange Sicht macht es wohl mehr Spass, die elf Spielerinnen von der Seitenlinie aus anzufeuern, als alleine über den Platz zu rennen.
An alle Pfarrpersonen: In welchen Bereichen findet ihr es am schwierigsten, von den Spieler- in die Trainerschuhe zu wechseln?
Erwähnte Ressource
» Sabrina Müller: Gelebte Theologie, Impulse für eine Pastoraltheologie des Empowerments
Montag, 17. Januar 2022: Staffel 3, Episode 1: » «Umbau der Volkskirche»
In der letzten Episode der zweiten Staffel erklärte Lukas Kundert, dass die Kirche auf zwei Säulen stehe: Institution und Vereinskirche. Die Institution wackelt – ist die Vereinskirche der Weg in die Zukunft? Und wenn ja: Können wir dann trotzdem noch Volkskirche sein?
Die beiden Hosts widmen sich vertieft dem Thema Vereinskirche und greifen verschiedene Ängste auf, die damit verbunden sind: Ist es nicht zu «freikirchlich», wenn die Kirche vermehrt von den Finanzen und dem Engagement der stark-Verbundenen lebt? Bringen Fördervereine die Leute auf die Idee, dass Kirchensteuern gar nicht gebraucht werden? Institutionelle Dienstleistungen wie Spitalseelsorge oder Beerdigungen sind doch auch wichtig – werden diese durch vereinskirchliche Schwerpunkte vertrieben?
Für Lukas und Anna ist klar: «Volkskirche sind wir schon lange nicht mehr.» Zumindest nicht in dem Sinne, dass die Mehrheit der Menschen Mitglieder einer Landeskirche sind oder sich einer solchen zugehörig fühlen. «Weniger ‹Institution› bedeutet aber nicht, dass man sich zurückzieht in eine abgeschlossene Gruppe, sondern dass man mit einem anderen Bewusstsein weiter in die Gesellschaft hineinwirkt.« Auch die Vereinskirche könne sich als Volkskirche verstehen, meint Lukas. Nämlich als Kirche für das Volk. Doch die Motivation dafür liegt nicht im Institutions-Denken, sondern im Bewusstsein, dass Gott uns zu allen Menschen sendet.
Und dann erzählt Lukas noch, wie er 2005 landesweit durch die Medien gejagt wurde, weil er Ausgetretene nicht beerdigen wollte. Für die ganze Geschichte hört ihr euch am besten die Folge an.
Erwähnte Ressource
» Ralph Kunz: «Aufbau der Gemeinde im Umbau der Kirche»
STAFFEL 2
Montag, 27. Dezember 2021: Staffel 2, Episode 9: » «Lukas Kundert, was kommt nach der Volkskirche?»
Der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert hat langjährige Erfahrung mit Kirchenfusionen. Er sagt: Man sollte Kirchgemeinden fusionieren – wenn man sich in einer absoluten Notsituation befindet. Anfangs der 90er Jahren stand die Basler Kirche kurz vor dem Konkurs. «Man entschied sich für einen radikalen Stellenabbau, der nur möglich war durch Kirchgemeinde-Fusionen. In der damaligen Notsituation war das wohl richtig, aber ich würde es niemandem empfehlen, das ebenfalls zu machen.» Fusionen lösen keine Probleme – sie verschieben sie nur auf später. «Wenn man Kirchgemeinden zusammenlegt, steht man in zehn oder fünfzehn Jahren vor der nächsten Strukturreform.»
Lukas Kundert schlägt einen anderen Weg vor: Mehr Vereinskirche – weniger Institutionskirche. Eine Pfarrperson könne maximal 200 bis 300 Personen kennen und betreuen. Aktuell seien Pfarrerinnen und Pfarrer aber für vielleicht 2000 bis 3000 Mitglieder zuständig, da nach dem aktuellen Verteilschlüssel diese Anzahl jeweils eine 100%-Stelle finanziere. Das führt zu überforderten Pfarrpersonen und vernachlässigten Mitgliedern. Wer gute vereinskirchliche Arbeit mache, fühle sich zwangläufig betrogen, wenn seine Stelle reduziert wird wegen des Mitgliederschwunds, auf die er keinen Einfluss habe, sagt Kundert.
Um an dem grundsätzlichen Problem etwas zu ändern, müssten die 200 bis 300 Personen, die von einer intensiveren, vereinskirchlichen Betreuung profitieren, auch die Kosten dafür tragen. Es gibt verschiedene Wege, um dorthin zu gelangen. Einer, der bereits vielerorts gewählt wird, sind Fördervereine. «An ihnen führt kein Weg vorbei.» Lukas Kundert empfiehlt den Basler Pfarramtskandidatinnen und -kandidaten jeweils: «Bewerbt euch nur dort, wo es einen Förderverein gibt, oder falls euch zugesichert wird, dass der Aufbau eines Fördervereins unterstützt wird.»
Die Kirche ist in Bewegung – nicht nur strukturell, sondern auch geistlich. «Was muss sich in den nächsten Jahren geistlich verändern, in der Kirche?», möchte Lukas Huber von Lukas Kundert wissen. «Überlegt euch in euren Leitungsstrukturen, ob ihr die fünf Dienste aus dem Epheserbrief vertreten habt.» Apostel, Prophetin, Hirte, Evangelistin, Lehrer. Die Antwort klinge freikirchlich, komme aber aus dem Mund eines Religiös-Sozialen, sagt Kundert. «Während ich als Hirte zufrieden bin, wenn nur zehn Leute in den Gottesdienst kommen, da ich mich dann besser um jeden einzelnen kümmern kann, geht der Evangelist dabei die glatten Wände hoch.» Wir brauchen einander. Wir dürfen uns nicht nur mit Menschen umgeben, welche dieselbe Perspektive einbringen wie wir.
Ein weiterer Punkt, der für Lukas Kundert zum «geistlichen Leiten» dazugehört: «Ich gehe davon aus, dass die Personen, mit denen ich in der Leitungsverantwortung bin, von Gott dazu bestimmt worden sind, hier diese Funktion zu übernehmen, weil Gott mit ihnen und mit der Kirche etwas vor hat.» Das sei ihm gerade deshalb wichtig, weil er das manchmal nicht so empfinde, wenn er es mit Menschen zu tun hat, die ihm unsympathisch sind. Gemeinsam zu beten als Leitungsgremium helfe ihm dann, diese Grundhaltung wiederzufinden: «Wir wissen dann, es geht nicht um uns, es geht um Christus, und wir geben einfach unser Bestes.»
» Im Bulletin des Landeskirchen-Forums wurde diese Episode besprochen (Seite 3).
Montag, 6. Dezember 2021: Staffel 2, Episode 8: » «Karin Hoffmann, wie gewinnt man Freiwillige?»
Wie in vielen anderen Kirchgemeinden durften Jugendliche in Suhr-Hunzenschwil beim Bazar mithelfen, indem sie abwaschen oder Getränke ausschenken. Für Karin Hoffmann war das zu wenig: «Niemand hatte den Jugendlichen bisher erklärt, weshalb der christliche Glaube die Kirchgemeinde dazu bewegt, den Bazar zu veranstalten. Die Jugendlichen wurden auch nicht gefragt, ob sie eigene Ideen haben, wie sie mitgestalten könnten.»
«Partizipation» ist das Stichwort, welches Karin Hoffmann in ihrer Arbeit mit den Jugendlichen leitet: «Partizipation kann in verschiedenen Stufen stattfinden und reicht von informiert werden, über mitbestimmen bis zu selbständig gestalten.» In der «Ideen-Spinnerei» informiert Karin Hoffmann die Jugendlichen anfangs Jahr darüber, was in der Kirchgemeinde alles stattfinden wird und sie werden gefragt, wo und ob sie mitgestalten oder zusätzlich eigene Ideen umsetzen möchten.
«Man hört immer wieder: Die Jugendlichen von heute hätten keine Zeit für Kirche – stimmt das?» möchte Anna von Karin Hoffmann wissen. «Ja, neben Schule und Hobbys bleibt wenig Freizeit», bestätigt sie. Aber wenn Jugendliche verständen, weshalb sie etwas täten, und sie dort ihre eigenen Ideen und Leidenschaften einbringen könnten, seien sie durchaus bereit, sich zu engagieren.
Karin Hoffmann bemüht sich darum, junge Menschen auch mit anderen Generationen innerhalb der Kirchgemeinde zu vernetzen: «Wir sind Kirche. Wenn wir die Jugendliche nach der Konfirmation nicht verlieren wollen, dann müssen wir dafür sorgen dass sie in Beziehung treten können – einerseits mit Inhalten, die wir als Kirche leben, aber auch mit Leuten, die hier ein- und ausgehen.»
«Suchen denn Jugendliche diese Kontakte zu den älteren Generationen?«, fragt Anna kritisch nach. «Nein», kommt es prompt zurück, «aber sie freuen sich, wenn sie die Erwachsenen wieder irgendwo antreffen und wenn sie von ihnen gesehen werden. Sie brauchen Vorbilder und Menschen, die sich für sie interessieren.»
Karin Hoffmann wünscht sich, dass die Jugendlichen verstehen was wir als Kirche glauben, was uns der Glaube gibt und wozu er uns bewegt. Sie hofft, dass junge Menschen so aus ihrer persönlichen Überzeugung heraus in der Kirche teilnehmen, ihre Begabungen einbringen und inspiriert werden.
Ressourcen
– Partizipativen Prozesse in Kirchgemeinden fördern: » Marcel Hauser: «Neues Leben in der Kirche», Kapitel 3.5 «Dienstleistungs-, Beteiligungs- und Ermöglichungskirche» ab S. 64
Montag, 15. November 2021: Staffel 2, Episode 7: » «Thomas Bucher, warum würde man eine Kirche abreissen wollen?!»
Kleider machen Leute – Gebäude machen Kirchen.
Natürlich ist die Kirche mehr als ein Gebäude. Aber die kirchlichen Bauten sagen viel darüber aus, was den Menschen der jeweiligen Kirchgemeinde wichtig ist: Gibt es eine Toilette in der Kirche oder bleibt man dort eh nicht so lange? Gibt es separate Räume für ein Kinderprogramm? Muss man sich bis zum Gottesdienstraum durch siebzehn Türen und über fünfundneunzig Treppenstufen kämpfen, oder wird man schon vor dem Eingang mit einer gottesdienstlichen Atmosphäre begrüsst?
Die reformierte Kirche Zürich Hirzenbach verwirklicht gerade ein grosses Neubauprojekt: Die Kirche wird abgerissen und vollständig neu gebaut. Kirchenpflegepräsident Thomas Bucher erzählt, inwiefern der Neubau das Selbstverständnis ihrer Kirchgemeinde widerspiegeln wird.
Hirzenbach gestaltet aber nicht erst seit gestern Neues: Sie haben einen «Innokon» und einen «Ermöglicher» angestellt, führen mit den freiwillig Mitarbeitenden «Gartengespräche» durch und suchen durch ihr ästhetisch und kulinarisch einladendes Café die Nähe zum Quartier. All diese neuen Entwicklungen kreisen um die klare Vision, die sie als Kirchgemeinde haben: den Menschen in Hirzenbach eine geistliche Heimat bieten und ein prägender Bestandteil des Quartierlebens sein.
Thomas Bucher rät der Kirchgemeinde mit Ambitionen: «Kennt eure eigene Geschichte. Und überlegt: Wo können wir bei dieser Geschichte anknüpfen? Denn man kann nicht einfach jemand anderes werden.»
Erwähnte Ressourcen:
» Studie der Anglikanischen Kirche «From anecdote to evidence»
» «Gartengespräche»: Tomas Sjödin, «Wo du richtig bist»
» Ralph Kunz (Hg.), Handbuch für Kirchen- und Gemeindeentwicklung (PDF)
Montag, 25. Oktober 2021: Staffel 2, Episode 6: » «Andreas Manig, wie finanzieren wir die Kirchgemeinde langfristig?»
Die Kirchgemeinde Löhningen-Guntmadingen (Lukas' Kirchgemeinde) finanziert 2,5 % ihres Budgets via Spenden. Die Thomaskirche in Basel deckt ihre Ausgaben zu 60% mit Spenden. «Wie ist das möglich?» will Lukas von Andreas Manig, Pfarrer der Thomaskirche, wissen.
Der Kanton Basel-Stadt hat bezüglich kirchlicher Finanzierung eine Sonderstellung: Keine Kirchgemeinde kann sich noch allein auf den Kirchensteuern abstützen. Ohne diese Umstände, wäre es wohl kaum so schnell zu so hohen Spendeneinnahmen gekommen. «So tickt der Mensch: Zuerst muss es weh tun, bevor man etwas ändert.» Aber man könne bereits vorher die Kultur etablieren, dass es dazugehört, die Kirche auch finanziell zu unterstützen. «Damit man dann bereit ist, wenn der Druck grösser wird.»
Ein weiteres Prinzip, das bei der Spendengewinnung hilft: Partizipation. «Wir finden es wichtig, den Leuten zu zeigen, wozu die Kirchgemeinde gut ist und auch zu zeigen, dass das Geld gebraucht wird», erzählt Andreas Manig. In der Thomaskirche seien diejenigen, die sich engagieren, auch diejenigen, welche die Kirche finanziell mittragen. «Wenn du dabei bist, merkst du, wozu das Geld gebraucht wird.»
Die Gemeindeglieder können zudem sehr aktiv mitbestimmen, wozu das Geld eingesetzt wird. Die Thomaskirche hat mehrere entscheidende und beratende Gremien, welche Gemeindebau-Themen besprechen.
Die Gemeinschaft trägt und belebt die Kirche. Und es ist auch diese Gemeinschaft, welche Andreas Manig Hoffnung gibt: «Es tauchen immer wieder Menschen auf, die von der guten Botschaft berührt wurden. Die Gemeinschaft mit diesen Menschen macht mir Hoffnung. Ich glaube, dass diese Botschaft ‹too good to fail› ist.»
Montag, 11. Oktober 2021: Staffel 2, Episode 5: » «Thomas Schaufelberger, wie finden wir eine gute Pfarrerin?»
Wer weiss, was sie sucht, die findet. Der Markt an Pfarrpersonen ist dünn besiedelt. Wie findet eine Kirchgemeinde die passenden Angestellten? Gemäss Thomas Schaufelberger muss eine Kirchgemeinde eine klare Vision ihrer Zukunft haben; wissen, was für eine Person sie zur Umsetzung dieser Vision benötigt und beides in Worte fassen können. «Wenn man rätig ist, was man sucht, und das auch im Inserat entsprechend erscheint, dann ist das attraktiver, als wenn ein Inserat einfach irgendeine Person sucht, die alles können muss.»
Dies verlangt einen intensiven Prozess bereits bevor die Stellenausschreibung beginnt. Dabei kann das Kompetenzstrukturmodell des Konkordats als Sehhilfe dienen.
Damit eine Kirchgemeinde eine zukunftsgerichtete Vision entwickeln kann, ist es wichtig, dass diese ihren sozialen Kontext kennt. «Listening» ist für Thomas Schaufelberger das zentrale Stichwort, um den Sozialraum zu analysieren und die Bedürfnisse der Menschen kennenzulernen.
Über Strukturveränderung wird aktuell viel diskutiert. Lukas möchte wissen: «Was kann eine Kirchgemeinde mit Ambitionen in einer Phase von Strukturveränderungen tun?» Thomas Schaufelberger empfiehlt, unternehmerisch zu denken: Ausschau halten nach neuen Möglichkeiten und sich nicht aufhalten mit dem, was man gerne anders gehabt hätte. Des Weiteren sollten Strukturreformen so gestaltet sein, dass sie den gesellschaftlichen Bedürfnissen nach mehr Globalität (überregionale Netzwerke) und gleichzeitig mehr Lokalität (Quartiersarbeit) Rechnung tragen.
Hoffnung für die Kirche schöpft Thomas Schaufelberger aus eben diesen Veränderungsprozessen, welche die Kirche aus dem institutionellen Korsett befreien. So werde es möglich, dass wir als kirchliche Organisation oder gar als Bewegung die Menschen auf ihrer Suche nach gestärkter Liebe und Impulsen fürs Leben dienen könnten.
Ressourcen:
» Kompetenzstrukturmodell
» Einblick in die anglikanische Kirchenentwicklung: «Mission Shaped Church», Graham Cray
Montag, 27. September 2021: Staffel 2, Episode 4: » «Christine Reibenschuh, was bringt das Reusshaus?»
Aus einer Schnapsidee wird Realität: Anfang September hat der erste Studiengang am «Institut im Reusshaus» gestartet. Inspiriert durch das anglikanische St. Mellitus College werden im Institut im Reusshaus Gemeindebildner ausgebildet.
Christine Reibenschuh erzählt, weshalb es in einer Kirchgemeinde neben Sozialdiakonen und Pfarrerinnen auch Gemeindebildner braucht: «Die akademisch ausgebildeten Pfarrpersonen braucht es natürlich. Die sind in erster Linie zuständig für die Theologie.» Aber es brauche auch Leute, welche die Gaben der Gemeindeglieder erkennen, fördern, und sie dazu befähigen, selbst Gemeinde zu sein. Das lernt man nicht an der Uni.
«Geistliche Bildung» ist für Christine Reibenschuh der Schlüssel für eine zukunftsfähige Kirche. Zur geistlichen Bildung gehört es, dass Menschen persönliche, spirituelle Erfahrungen machen und gemeinsam Worte dafür finden. Wir dürfen der Gemeinde zutrauen, dass sie selbst geistliche Verantwortung übernehmen können. Darin stecke das Potential für Erneuerung: «Das hat uns bei St. Mellitus so beeindruckt: All die ‹Skills› für die Gestaltung neuer Formen von Kirche kommen aus der Christuszentriertheit heraus, die letztendlich in einem persönlichen, spirituellen Leben verankert ist.»
Im Reusshaus werden Pioniere ausgebildet. Christine Reibenschuh beschreibt, wie das zukünftige Arbeitsumfeld solcher Pioniere gestaltet sein müsste, damit diese sich optimal einbringen könnten. Es sei wichtig, dass man die Aufgabe der Gemeindeentwicklung nicht allein an die Pioniere delegiere, sondern dies als Gemeinde mittrage. Zudem sei eine gegenseitige Wertschätzung der alten und neuen Formen entscheidend.
Hoffnung für die Kirche schöpft Christine Reibenschuh aus dem Blick in die Kirchengeschichte: «Wenn ich sehe, wie viel diese alte Dame ‹Kirche› bereits überlebt hat, dann macht mich das hoffnungsvoll, dass Gott uns auch jetzt nicht im Stich lassen wird.»
Ressourcen:
- » https://institut-reusshaus.ch/
- » https://www.stmellitus.ac.uk/
- » Vortrag von Fleming Rutledge zu «Generous Orthodoxy»
Montag, 13. September 2021: Staffel 2, Episode 3: » «Thomas Gugger, was bringen Glaubenskurse?»
Thomas Gugger: ein unaufgeregter Visionär. Sein Tipp für den Erfolg: eine langfristige Vision und viel Durchhaltewillen. «Ich weiss, was ich einmal in dieser Gemeinde erleben möchte, aber arbeite auch auf Ziele hin, die erst meine Kinder erleben werden.»
In seinen 30 Jahren als Sozialdiakon wurde Thomas Gugger vom Organisator zum Ermöglicher, vom Frontmann zum Coach. «Ich möchte mich selbst überflüssig machen […] Irgendwann werde ich weiterziehen - die Gemeinde bleibt da. Also muss ich die Gemeinde so befähigen, dass ich wieder gehen kann.»
Drei Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind Hauskreise, Glaubenskurse und die Zusammenarbeit in der Evangelischen Allianz. Anna fragt kritisch nach dem Gewinn von Hauskreisen: «Geschlossene Gruppen für Insider - inwiefern dient das dem Gemeindebau?» Thomas Gugger berichtet von seinen vergeblichen Versuchen, bestehende Gruppen aufzuteilen oder neue Leute zu integrieren. «Wenn du den Leuten etwas nimmst, wird es schwierig.» Deshalb hat er angefangen, den Leuten etwas zu schenken: Personen aus bestehenden Hauskreisen werden dazu befähigt, neue Hauskreise zu leiten, welche aus Glaubenskursen hervorgehen.
Glaubenskurse scheinen für Anna etwas aus der Zeit gefallen: «Glaube ist Privatsache – da will doch keiner einen Kurs dazu machen, wie man richtig glaubt.» Thomas Gugger bestätigt das und erklärt, dass sie deshalb seit einigen Jahren vermehrt den MyLife-Kurs durchführen. Bei diesem Kurs setzen sich die Teilnehmenden mit ihrer eigenen Biographie auseinander und entdecken darin selbst die Spuren Gottes. «Mit diesem Angebot stossen wir auf grosses Interesse und oft möchten sich die Leute danach vertiefter mit dem christlichen Glauben beschäftigen.»
Die vier Allianz-Kirchgemeinden führen diese Kurse jeweils gemeinsam durch. Die Zusammenarbeit wurde mit viel Schweiss und Tränen erkämpft. Es kam zum Wendepunkt, als sie weniger gemeinsame Events machten, und statt dessen die Freundschaft unter den Leitungspersonen pflegten. So bauten sei gegenseitiges Vertrauen auf und konnten die Stärken der anderen entdecken: «Es dauerte zwei Jahre, bis wir uns nicht mehr voneinander bedroht fühlten, sondern als Ergänzung wertschätzen konnten.»
«Lohnt es sich denn, immer wieder über die theologischen Unterschiede zu streiten?» möchte Lukas wissen. «Streiten musst du nur dann, wenn du nicht weisst, wo dein Gegenüber steht und Angst hast, nicht zu wissen, wo du stehst», antwortet Thomas Gugger, und bringt seine enge Freundschaft und tiefe Dankbarkeit gegenüber den anderen Kirchgemeinden zum Ausdruck.
Montag, 30. August 2021: Staffel 2, Episode 2: » «Sabrina Müller, wie wird Kirche neu?»
Die reformierte Kirche hat zu wenig Pfarrerinnen und Pfarrer - aber Priester hätte sie eigentlich genug.
Laut Sabrina Müller schwebt das «Allgemeinen Priestertum» zwar als Konzept durch die Kirchenlandschaft, aber in der Praxis fasst es viel zu selten Fuss. Um Laien darin zu fördern, die Gemeinde zu gestalten, sollten Pfarrpersonen weniger leiten und mehr coachen.
Nicht für, sondern mit Menschen zusammen Kirche zu gestalten, das ist auch die Grundlage, auf welcher «Fresh Expressions of Church» beruhen. Sabrina Müller forschte dazu im Rahmen ihrer Dissertation, während sie selbst solche neuen Formen ausprobiert und begleitet hat. Sie spricht mit Anna und Lukas darüber, welche theologischen und strukturellen Voraussetzungen es braucht, damit Fresh X entstehen können. Lukas ist überrascht, dass eine Mehrheit der Fresh X von lokalen Kirchgemeinden initiiert werden. Sabrina Müller empfiehlt deshalb: «Manchmal lohnt es sich, einfach selbst auszuprobieren, und nicht zuerst auf die Institution zu warten.»
Fresh X reagiert auf eine gesellschaftliche Veränderung: Postmoderne Menschen konstruieren ihr Weltbild nicht auf der Grundlage der besten Argumente, sondern übernehme jene Überzeugungen, welche sich in ihrem Leben als relevant erweisen. Deshalb lasst uns Kirche leben, Glauben fühlen und vom Geist bewegt werden.
Montag, 16. August 2021: Staffel 2, Episode 1: » «Ralph Kunz, wie baut der Professor Kirche?»
«Wir brauchen ein starkes Pfarramt», davon ist Professor Ralph Kunz überzeugt. Aber nicht eine Pfarrperson, welche als «Charismen-Schwamm» alles selber macht, sondern die begleitet, ermutigt und ermächtigt. Kirchliche Mitarbeitende sind beauftragt, mit der Gemeinde zusammen zu entdecken, wie man gemeinsam Leib Christi ist. Bedeutet das: Möglichst viele Laien liturgieren und jedes Gemeindeglied wird zur Mini-Theologin? Nicht unbedingt. Es bedeutet vor allem, dass man als Gemeinschaft betet, feiert, glaubt und zweifelt.
Der pastoraltheologische Paradigmenwechsel von einer «Versorgerkirche» zu einer «Beteiligungskirche» bietet Herausforderungen und Chancen. Wie verhält sich das zum reformierten Selbstverständnis, Volkskirche zu sein? Wie können Strukturreformen gestaltet werden, damit sie der Beteiligung der Gemeinde dienen?
Ralph Kunz sieht die aktuelle Lage der Kirche durchaus als Chance: Wer knappe Mittel hat, muss kreativ werden. Dazu kommt eine wachsende gesellschaftliche Offenheit: in einer pluralistischen Welt ist es mittlerweile sogar wieder ok, wenn man sich zum Christentum bekennt.
Auch der Institution Kirche tut es gut, dass nicht mehr alles und jeder automatisch dazugehört: «Der Freiraum nicht mehr für alles verantwortlich zu sein, bietet den Freiraum, Verantwortung zu übernehmen.»
STAFFEL 1
Montag, 2. August 2021: Staffel 1, Episode 9: » «Kurzfristig, aber mit langer Brennweite»
Jugendarbeit lebt von Spontanität und Flexibilität: Die Lebensumstände junger Menschen verändern sich schnell und sie planen gerne unverbindlich. Gleichzeitig benötigen die Verantwortlichen eine langfristige Perspektive, damit nicht nach jedem Hauptleiter-Wechsel alles bei Null beginnt.
Im Daily Business vergisst man schnell, die Zukunft in den Fokus zu nehmen. Anna erzählt von ihren Schwierigkeiten in der Nachwuchsförderung und dem Druck, der oft auf Hauptleitenden liegt, wenn sie niemanden finden, dem sie den Stab übergeben können.
Die Lösung ist simpel: Ab dem ersten Tag einer neuen Aufgabe die Nachfolge aufbauen. Nicht, weil man das Angebot unbedingt aufrechterhalten muss, sondern weil es Zeit braucht, junge Menschen in ihren Leitungsfähigkeiten zu fördern. Wenn ein Angebot eingeht, weil die Leitenden lieber etwas anderes machen möchten, ist das ok. Schade ist es, wenn ein Angebot deshalb eingeht, weil keine Nachwuchsleiterinnen oder -leiter aufgebaut wurden. Wenn das ganze Team die Augen offen hält, kann bereits ein Ameisli-Kind als zukünftige Hauptleiterin entdeckt und auf dem Weg dahin unterstützt werden.
Montag, 19. Juli 2021: Staffel 1, Episode 8: » «Wer eine Jugendarbeit hat, hat Probleme»
«Wenn du Ruhe und Ordnung willst, dann geh auf den Friedhof.» Lukas ist überzeugt, dass eine lebendige Jugendarbeit unweigerlich zu Unruhe und Chaos führt. Wenn die jungen Menschen bei jeder Idee zuerst eine Erlaubnis der Kirchenstände benötigen, landet der Tatendrang schnell unter der Erde.
Das bedeutet: Als kirchliche Verantwortungsträger müssen wir den Jungen Freiraum geben, und gleichzeitig den Kopf hinhalten, wenn sie Mist bauen. Das gilt es zu akzeptieren und auszuhalten. Wir dürfen den jungen Menschen bei einem Fehler nicht in den Rücken fallen und sie beschuldigen, sondern sollten sie fragen: «Wie können wir euch dabei unterstützen, den Fehler wieder auszubügeln und zu schauen, dass das nicht nochmals passiert?»
Natürlich sollten sich junge Leiterinnen und Leiter ihrer Verantwortung bewusst sein und diese übernehmen. Aber wir dürfen von einer 20-Jährigen nicht dieselben Vernunft-Entscheide erwarten, wie von einem 50-Jährigen. Zum Glück. Denn im Zweifelsfall soll der Rat von Steve Jobs angewandt werden: «Stay hungry, stay foolish.»
Anna und Lukas empfehlen deshalb: Wenn ihr jung seid, nutzt eure Vernunfts-Immunität. Wenn ihr nicht mehr so jung seid: Lasst euch gegen Problem-Angst impfen. So erhöht ihr die Lebenschancen eurer Jugendarbeit.
Hinweise:
» Die erwähnte Mega-Church mit Altersdurchschnitt 22
» Steve Jobs Vortrag Stanford University Graduation
Montag, 5. Juli 2021: Staffel 1, Episode 7: » «Gruppen vernetzen und in die Gesamtverantwortung hineinziehen»
Wann habe ich als Jungschar-Leiterin eine gute Leistung erbracht? Wenn alle Kinder unverletzt nach Hause kommen? Wenn sie das nächste Mal in doppelter Zahl und doppelter Freude wiederkommen? Oder kann ich mir erst dann auf die Schultern klopfen, wenn die Kinder zu mündigen Gemeindegliedern herangewachsen sind?
Lukas und Anna stellen fest, dass Leiterinnen und Leiter kaum über die «kirchliche Laufbahn» ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer nachdenken. Es geht vielmehr um das Daily Business ihrer Gruppen. Gerade weil dieser Tunnelblick nachvollziehbar ist, sollte er durch Impulse von aussen herausgefordert werden.
Wenn Teamleiterinnen und Teamleiter sich bewusst sind, wie sich ihre Arbeit zum Gesamtgefüge der Jugendarbeit verhält, dann hat das Auswirkungen auf die ganze Gruppe: Teams arbeiten dynamischer und nachhaltiger, wenn sie auf ihr Umfeld und ihren Kontext reagieren müssen (vgl. Cornelia Edding, Die Umwelt von Gruppen). Zudem identifizieren sich Leitungspersonen stärker mit der Gesamtgemeinde, wenn ihr Verantwortungsbereich über ihre Gruppe hinausreicht und sie mit den übrigen Gruppen eine gemeinsame Vision teilen.
Um Hauptleiterinnen und Hauptleiter dabei zu begleiten, ihren Blick zu weiten, müssen wir uns zuerst selbst im Klaren darüber sein, welche Gruppen existieren und wie diese strategisch zusammenhängen. In einem weiteren Schritt können dann Orte und Gefässe geschaffen werden, an denen an der gemeinsamen Strategie gearbeitet wird.
Lektürehinweise
Thom S. Rainer, Eric Geiger, Simple Church: Returning to God's Grocess for Making Disciples, 2011.
Cornelia Edding, Karl Schattenhofer (Hrsg.), Die Umwelt von Gruppen, in: Handbuch Alles über Gruppen: Theorie, Anwendung, Praxis, 2015, S.467-487.)
Montag, 21. Juni 2021: Staffel 1, Episode 6: » «Was bieten wir den Leiterinnen und Leitern?»
Menschen, die sich in der Kirche engagieren, tun dies aus Liebe zu Gott und den Menschen – oder?
Jain. Anna ist überzeugt, dass hinter freiwilligem Engagement mehr steckt, als reiner Altruismus. Und das sei auch gut so: «Obwohl ich das nur selten so ausspreche, engagiere ich mich, weil ich etwas dafür zurückerhalte.»
Elisabeth Christian nennt in einem Artikel neun Güter, welche sich freiwillig Mitarbeitende als Gegenwert für ihr Engagement versprechen: geldwerte Leistung, Sicherheit, Gestaltung + Einfluss, Kompetenzaneignung, Autonomie, Anerkennung ausserhalb der Organisation, Risiko/Reiz, Zugehörigkeit und Sinn.
Welches «Tauschgut» sich Mitarbeitende versprechen, ist abhängig von Persönlichkeit und Lebenssituation. Wenn wir mit Freiwilligen zusammenarbeiten, sollten wir also sensibel sein dafür, welches Gut sie sich erhoffen und inwiefern wir ihnen dies bieten.
Anna und Lukas stellen fest, dass Kompetenzaneignung, Zugehörigkeit und Sinn in ihrer Jugendarbeit relativ gut abgedeckt sind. Doch sie stehen auch vor einigen Fragen: Welche Formen eigenen sich, um die Kompetenzen junger Leitungspersonen zu fördern (regionale Kurse, lokale Leiterweekends, Einzelcoaching, …)? Die Anerkennung für kirchliches Engagement ausserhalb der Kirche ist – nett gesagt – gering. Können wir daran etwas ändern oder müssen wir das einfach akzeptieren?
Montag, 7. Juni 2021: Staffel 1, Episode 5: » «Verantwortung übergeben, nicht Aufgaben verteilen»
Wer Aufgaben verteilt, kontrolliert was geschieht: Es steht bereits fest, was gemacht wird, die Frage ist nur noch, wer es umsetzt. Lukas plädiert dafür, in der Jugendarbeit keine Aufgaben zu verteilen, sondern Verantwortung zu übergeben. Dies kann auf zwei Ebenen Potential freisetzen:
- Junge Menschen erleben Selbstwirksamkeit und entwickeln dadurch eine stärkere Bindung zu dem, wofür sie sich einsetzen
- Neue und vielfältigere Ideen haben Platz und können wachsen
«Aber es kostet doch ziemlich Überwindung, die eigenen Vorstellungen loszulassen», wendet Anna ein. Lukas stimmt ihr zu, erwidert aber: «Wenn du eine blühende Jugendarbeit willst, musst du akzeptieren, dass es nicht nach deinen Vorstellungen läuft. Entweder du hast Kontrolle, oder du hast Wachstum. Beides zusammen geht nicht.»
Als Pfarrperson müsse man bereit sein, für die Fehler von anderen den Kopf hinzuhalten. Verantwortung abzugeben ist nämlich nicht nur eine Frage der Struktur, sondern vor allem der Kultur: Fehler werden erwartet und akzeptiert, junge Menschen werden für ihre Verantwortung öffentlich wertgeschätzt und sie werden aktiv in Entscheidungen miteinbezogen.
Nicht zuletzt sollen junge Menschen auch für geistliche Entwicklungen Verantwortung übernehmen. Dies geschehe nicht automatisch, meint Lukas. Als Pfarrperson müsse man die Hauptleiterinnen und Hauptleiter immer wieder daran erinnern, dass sie den geistlichen Inhalt gestalten dürfen und verantworten sollen.
Erwähnte Ressourcen:
» «You can have control. You can have groth. But you can't have both.» Craig Groeschel
Montag, 24. Mai 2021: Staffel 1, Episode 4: » «Wer Visionen hat, sollte Arzt werden»
Lukas diagnostiziert unsere Kirche auf einen schweren Fall von Visionslosigkeit: «Wir sind ziemlich gut darin, das zu tun, was wir schon immer getan haben.» Aber um junge Menschen zu begeistern, brauchen wir eine Vision der Zukunft, welche sie mitgestalten möchten.
Die Vision bildet den Herzschlag einer kirchlichen Gemeinschaft: Es geht nicht um rationale Strategien, sondern um ein Bild der Zukunft, das uns bewegt. Dieses lässt sich nicht in einem Leitbild fassen, sondern lebt davon, dass man ständig erklärt, _warum_ man etwas tut und gleichzeitig Geschichten davon erzählt, warum es sich _lohnt_, dies zu tun. Wenn man Lukas so zuhört, könnte man meinen, die Vision sei ein Allheilmittel: Sie verhindert Machtkämpfe, befreit von Pfarrerzentrierung und führt die richtigen Personen in Verantwortungspositionen.
Erwähnte Literatur:
» Hauser, Marcel: «Neues Leben in der Kirche. Impulse für die Gemeindeentwicklung und den Gemeindeaufbau», Norderstedt 2020
Montag, 10. Mai 2021: Staffel 1, Episode 3: » «Persönliches Wachstum fördern»
Sich im eigenen Leben zurecht finden; entfalten was in einem steckt; das bedeutet «persönliches Wachstum», argumentiert Anna. Wie können wir als Kirche junge Menschen dabei unterstützen? Und wie verhält sich diese diakonische Wachstumsförderung zur verkündigenden Glaubensförderung?
Anna bringt eine unscheinbare These mit Explosivkraft: Nachhaltiges Wachstum geschieht dann, wenn Gott die zerbrochenen Beziehungen zu uns, zu unseren Mitmenschen und zu ihm heilt. Unscheinbar, weil dies nichts weiter ist, als klassische Heiligungslehre. Explosiv, weil dies aktuell in vielen Aspekten des kirchlichen Lebens vergessen wird
Reden wir im Konfunterricht darüber, wie gesunde Beziehungen aussehen und worin man Geld und Zeit investieren soll?
Lassen wir die Jugendlichen so tief in unser Leben hineinschauen, dass sie die praktischen Veränderungen sehen, die unser Glaube darin hinterlässt?
Vermitteln wir platte «christliche Werte», oder eine Lebensweise, die aus der Quelle der erlebten Liebe Gottes gespiesen wird?
Mittwoch, 5. Mai 2021: Staffel 1, Episode 2: » Glauben fördern – ohne Druck und ohne Hemmungen»
«Wenn der Glaube im Leben der Jugendlichen nichts verändert, werden sie bald die nächste Abzweigung nehmen und irgendwo anders hingehen.» Deshalb ist Anna überzeugt, dass Glaubensförderung ein zentraler Bestandteil der Jugendarbeit sein muss.
Das klingt aber verdächtig nach «missionieren»: jungen Menschen vorschreiben, was sie zu glauben haben. Von dieser Art der Glaubensförderung distanzieren sich Lukas und Anna klar. Glaube wirkt nur dann lebensfördernd, wenn er von den jungen Menschen selbst für sich entdeckt wird. Deshalb: ohne Druck.
Gleichzeitig ist es ratsam, die beschämte Wortlosigkeit zu überwinden und stattdessen jungen Menschen aktiv dabei zu unterstützen, ihr Leben aus einer christlichen Perspektive sehen zu können. Deshalb: Hemmungslos von dem erzählen, was uns bewegt.
Es gibt Formate, welche spezifisch zur hemmungslosen und druckfreien Glaubensförderung beitragen (z.B: Roundabout oder Jugendglaubenskurse).
Wer keine neuen Gefässe schaffen möchte, kann bereits bestehenden Aktivitäten überarbeiten:
Mehr Durchlässigkeit fördern zwischen «frommen» und «nicht-frommen» Gruppen
Möglichkeiten schaffen, wo man explizit Schritte im Glauben gehen kann
«Spiritualität» nicht nur in separaten Gefässen thematisieren, sondern auch während des Zähneputzens im Konflager, auf dem Heimweg vom Jugendraum oder während des gemeinsamen Velo-Reparatur-Tags.
Montag, 3. Mai 2021: Staffel 1, Episode 1: » «Beziehungen sind alles»
Junge Menschen sind nicht nur am Puls der Zeit – sie können auch zum Puls der Kirche werden. Lukas investiert begeistert in regionale Jugendarbeit, weil er über die positiven Veränderung im Leben junger Menschen staunt. Anna arbeitet gern mit jungen Menschen, weil diese dynamische und innovative Veränderungen vorantreiben.
Beide sind sich einig: Das Fundament guter kirchlicher Jugendarbeit, sind Beziehungen. Kirchenkaffee-Gespräche reichen nicht aus, um eine Kultur zu etablieren, in welcher Menschen echt und verlässlich miteinander unterwegs sind.
Natürlich entsteht ein tragendes Beziehungsnetzwerk nicht auf Knopfdruck. Aber eine beziehungsorientierte Kultur kann sorgfältig und konstant gefördert werden. Kirchliche Angestellte spielen dabei eine zentrale Rolle. Erstens nehmen sie sich Zeit, um gezielt in ihre Beziehungen zu engagierten Mitarbeitenden innerhalb der Gemeinde zu investieren. Zweitens schaffen sie strategisch Gefässe, in denen Beziehungen unter den Teilnehmenden entstehen und wachsen können.
Donnerstag, 15. April 2021: Staffel 0, Episode 0: » «Wer wir sind und wie viele davon»
Lukas P. Huber und Anna Näf beantworten vier Fragen:
1. Wo stehst du im Leben?
2. Warum braucht es aus deiner Sicht diesen Podcast?
3. Was erhoffst du dir, das der Podcast bewirkt?
4. Warum gerade Du?