Beherrschen oder bewahren – Bibel einfach erklärt

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Joachim Finger (Foto: SN Bibelkolumne)
Manchmal müssen wir gut überlegen, welchem biblischen Satz wir folgen wollen – für uns und unsere Nachkommen.
1. MOSE, KAPITEL 1, VERS 58
«Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde, macht sie euch untertan und herrscht über die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels und alle Tiere, die sich auf dem Land regen.»

Als die Schöpfungsgeschichte mit diesem Vers vor etwa 2500 Jahren Teil der Bibel wurde, lebten auf der Erde zwischen 100 und 200 Millionen Menschen. Die wissenschaftlichen Schätzungen schwanken beträchtlich. Jedenfalls weniger als 2% der heutigen Weltbevölkerung. Da gab es also noch viel Platz, um sich zu vermehren und auszubreiten. Das Tiere zur Nahrung dienten, war in vielen Kulturen selbstverständlich. Und dass man sie als Hilfskräfte nutzte, ebenso. Wälder wurden bedenkenlos genutzt, um Bau- und Brennholz zu gewinnen. Es gab ja genug (obwohl die Kupferverhüttung im Südnegev vor 2800 Jahren u.a. wegen Brennstoffmangel eingestellt wurde).

Die Ausdrucksweise in der Geschichte ist hart. «Untertan machen», das meint «unterwerfen, dienstbar machen». Herrschen, das hiess «unter die Füsse stellen», wie es ein König mit seinem Fussschemel – oder seinen Feinden – machte.

Seit Jahrhunderten verhalten sich Menschen genau so. Schon die Römer haben die Wälder in ihrem Herrschaftsbereich für ihre Bauvorhaben und Kriegstechnik nachhaltig geplündert. Und Tausende von Tieren in ihren Arenen zur Unterhaltung töten lassen. Und bis heute nehmen manche religiöse Menschen den Ausdruck «mehrt euch» sehr wörtlich. Den respektvollen Satz von Albert Schweitzer, «Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will», nein, den kann man aus dieser Schöpfungsgeschichte nicht ableiten.

Aber unsere Lebenssituation hat sich gegenüber damals fundamental geändert. Ein solcher Satz, selbst wenn er als Weisung Gottes in der Bibel steht, darf nicht als Handlungsanweisung gelesen werden. Ob sich 100 Millionen oder 8 Milliarden Menschen die Erde untertan machen hat erhebliche Auswirkungen auf das, was in der zweiten biblischen Schöpfungsgeschichte steht. Es geht da zwar um den Garten Eden (und das ist unsere Erde schon lange nicht mehr), aber die Weisung heisst dort: «Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und behüte (bzw. bewache oder bewahre)» (1.Mose 2,15). Wir haben die Wahl, welchem Satz wir folgen wollen.

Joachim Finger, Pfarrer im Ruhestand, Löhningen
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