Erste Schaffhauser Reformation gefeiert

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Gottesdienst-Team: v.l. Andreas Heieck, Cornelia Siles, Tobias Jammerthal, Roland Diethelm (Foto: Doris Brodbeck)
Unter Anwesenheit eines zahlreichen Publikums wurde die Umwandlung der Abtei zu Allerheiligen zu einem Chorherrenstift begangen. Was dies bedeutete, wurde nach dem Apéro riche kritisch beleuchtet. (» Referate siehe unten)
Doris Brodbeck,
Pfarrer Roland Diethelm eröffnete den Festgottesdienst im Münster mit einem Rückblick auf die Gründung des Münsters durch Eberhard von Nellenburg und meinte: "Wir feiern einen wehrhaften Glauben zum Heil der Menschen." Das Vocalensemble der Kanti unter Leitung von Tino Brütsch trug anspruchsvolle Vokalwerke aus Renaissance und Frühbarock bei. Andreas Jud begleitete die Feier an den Orgeln.

Tobias Jammerthal von der Uni Zürich stellte in seiner Predigt zum Propheten Jeremia (Kapitel 23, Verse 16 bis 29) in einem historischen Vorspann einen Bezug zum Franziskaner Sebastian Hofmeister an: Er habe in Zürich bestimmt auch die Predigt von Zwingli über rechte Pfarrer gehört, als er zur Disputation dort war, in der er auch Jeremia zitierte. Wer darf sich zu Recht Prophet nennen? Als Kriterium galt bereits für Jeremia, dass nichts anderes als Gottes Wort gepredigt werde: "was aus dem Mund des Herrn kommt". Nicht in den Themen unterscheide man sich, sondern woher sie inspiriert sind. Das gelte noch heute, wenn Selbstverständliches durcheinander gewirbelt werde: "Wir feiern nicht Reformation, wir beginnen Reformation heute."

Nach einem reichhaltigen Apéro im Kreuzgang für die mehreren Hundert Gäste starteten pünktlich die Festvorträge. Roland Diethelm begrüsste die noch immer zahlreichen Zuhörenden mit der Frage, ob da tatsächlich ein Reformprogramm bestanden habe oder ob es eher eine Kapitulation der alten Institution vor den Begehrlichkeiten des Stadtstaates war?

Regierungspräsident Patrick Strasser erinnerte an die Präambel der Kantonsverfassung: "In Verantwortung vor Gott für Mensch und Natur gibt sich das Volk des Kantons Schaffhausen folgende Verfassung". Die christliche wie auch die römisch-griechische Tradition bildeten die Grundlagen unseres Staates. Die Rücksichtnahme auf Schwächere sei in Psalm 146 (der Recht schafft denen, die Gewalt leiden, der die Hungrigen speist usw.) wie auch in Artikel 13 vorhanden: "Wer Notlagen nicht aus eigener Kraft bewältigen kann, hat Anspruch auf die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässliche Hilfe." Das Geschehen vor 500 Jahren habe auch einen Bezug zu heute.

Tobias Jammerthal, der schon die Predigt gehalten hatte, meinte, in Schaffhausen sei ähnlich wie in anderen Städten ein Leseinteresse an der Bibel entstanden, durch das sich Berufsgruppen zusammengefunden und sich über Briefkontakte verbunden haben. Er zeigt Beziehungen zu Sankt Gallen, Bern, Basel und Zürich auf. Dass in Schaffhausen dagegen der Briefkontakt zum Bischof abbrach, wertet er als Hinweis, dass man sich nichts mehr zu sagen hatte. Allerdings wollte die eidgenössische Tagsatzung anfangs Zürich ausschließen, was auch Schaffhausen in seiner exponierten Lage beeindruckt haben musste.

Peter Jezler kündete eine kritische Lektüre des Übergabe-Vertrags an, der in den bisherigen Referaten eher reformatorisch interpretiert worden sei. Mit Illustrationen zeigt er, wie das Münster ausgemalt gewesen sein konnte und zieht die Kirche Sant' Angelo in Formis bei Neapel herbei, die ebenfalls 1080 entstanden ist. Es gab Seitenaltäre zur Fürbitte auch für die Nellenburger, ein Palmesel deutet auf die Prozessionen hin und der 7m hohe Kruzifix als "Gott von Schaffhausen" dominierte den Kirchenraum. Nur die wortlastige 10 Gebote-Tafel würde weiterhin ins reformierte Münster passen. Eine Illustration aus einem Brevier des Klosters Salem zeigt eine Lustfahrt des Abtes auf dem Untersee. Auch sei die Umwandlung in ein Chorherrenstift eher ein sozialer Aufstieg gewesen: Man konnte eigene Einkünfte haben, konnte frei reisen und eine Haushälterin haben.
Nur im ersten Entwurf des Vertrags taucht eine (zürcherische?) reformatorische Kritik an der bisher Pracht und dem Prunk der Prälatur auf. Es wurde ein katholisches Chorherrenstift errichtet, wenn auch mit Predigt. Pfründenjägerei und der wertvolle Umhang des Almutium wurden untersagt. So könne er nur den Einfluss des Stadtstaats darin erkennen. "Ich hoffe, ich habe niemandem die Feier verdorben."

Roland E. Hofer sprach von einer Herrschaftsverdichtung während der Zeit der Reformation. Der Stadtstaat zog immer mehr Kompetenzen an sich und drängte die Kirche zurück. Die Entscheide seien nur auf den ersten Blick reformatorisch gewesen: Als 1522 viele Festtage aufgehoben wurden, wurde dies mit dem lasterhaften Leben begründet, aber auch wirtschaftliche Interessen standen dahinter. Ebenso galt die Entfernung der Bilder eher dem Schutz der Erinnerung der reichen Stifter als dass es ein Bildersturm war. Beim Rebleutenaufstand vermutet er, dass eine gebildete Person die Feder führte - warum auch nicht Hofmeister, der daraufhin weggewiesen worden war?

Erich Bryner stellte Abt Michael Eggenstorfer vor als einen Kenner des Mystikers Johannes Tauler und begründete dies mit der Widmung von 1522 in dessen Predigtband und den Randglossen von Eggenstorfer: Der Mensch soll Gott in sich wirken lassen, ein demütig Herz haben. Das konnte man auch in der katholischen Kirche sagen. Er sandte aber auch Studenten zu Luther in die Ausbildung. Sein Ordensbruder Erasmus Schmid in Stein sandte ihm Bücher von Luther zu. Nach der Umwandlung des Klosters in ein Chorherrenstift heiratete er die Schaffhauserin Agnes Keller, die als Dominikanerin im Kloster Töss gewesen war. Sie hatte ihm bis 1528 zwei Söhne geboren und starb 1546 - noch sechs Jahre vor ihm.
Ferner stellte er Sebastian Hofmeister vor, der - vielleicht auf Berufung durch Allerheiligen - Leutpriester am St. Johann wurde. Er warnte die Eidgenossen, sich nicht durch falsche Propheten verführen zu lassen. Sie sollten Ohren der Vernunft und Augen der Weisheit gebrauchen. "Luzerna, wie bist du verstockt", ärgerte er sich über die Stadt, die ihn verstiess.
Bei aller Relativierung der Motive für die Umwandlung der Abtei in ein Chorherrenstift darf die reformerische Gesinnung nicht vergessen werden.

"Ohne Religionsfrieden kein Frieden", meinte schliesslich im Schlusswort Kirchenratspräsident Wolfram Kötter und überreichte Regierungspräsident Patrick Strasser eine Laterne für den weiteren gemeinsamen Weg. Die Kirche gehe aktiv brennende Fragen wie die Missbrauchsthematik an, die ja alle Bereiche der Gesellschaft betreffe und wolle auch als Minderheitenkirche eine Kirche fürs Volk sein.

Dokumente

2024-06-02 Erste Reformation SH
02.06.2024
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