Das Unservater ist das universalste Gebet, welches die Menschheit kennt. Dieses Gebet verbindet uns sowohl mit Gott als auch unter einander. In einer Notlage, an einem Sterbebett oder auch in einer einfachen Andacht sind es oft die einzigen Worte, welche wir ohne abzulesen gemeinsam sprechen können.
Schluss des Unservater-Gebets, wie er aber nirgends in der Bibel steht:
«... denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Amen»
Für viele Christinnen und Christen ist klar: Wir halten uns an die Bibel. Was in der Bibel steht, hat eine grosse Autorität. Was wir nicht in der Bibel finden, können wir weglassen. Alle Menschen kennen das Vaterunser (oder Unservater)-Gebet auswändig. Es ist ein universales Gebet, welches auch Nicht-Christen mit beten können. Die spezifisch christlichen Aussagen kommen darin nicht vor - ausser allenfalls die Anrede von Gott mit Vater.
Das Unservater steht in die Bibel - aber ohne den Schluss. Wie man nachlesen kann, hat es Jesus selber in der Bergpredigt gelehrt. Aber es endet mit der Bitte um die Schuldenvergebung. Wie kann das sein?
Der Schluss, es ist ein Gotteslob und das Amen, wurden damals sehr wohl gesprochen. Aber nicht von Jesus, sondern von der betenden Gemeinde. Im Judentum und heute noch in der katholischen Liturgie ist es üblich, dass nicht der Vorbeter, sondern die Gemeinde den Schluss des Gebets spricht. Dazu stehen mehrere theoretisch mögliche Formulierungen des Gotteslobes (Doxologie) zu Verfügung. Eine davon setzt sich im Lauf der Zeit durch. Möglich wäre z.B. auch "Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“
Interessant ist, dass die Doxologie erst das Ende des Gebets bildet. Uns Menschen würde es eher entsprechen, zuerst einmal Gott zu loben und ihm erst dann unsere Bitten vorzubringen. Nicht zuletzt deshalb ist das Unservater so beliebt, weil es anders herum denkt: Die Anrede (je nach Konfession "unser Vater" oder "Vater unser") setzt Gott und uns in eine Verbindung zueinander. Jesus lehrte nicht einen abstrakten Gott, der irgendwo im Himmel sitzt und auf uns hinunterschaut. Mit "Vater" (oder "Mutter", für diejenigen die mit dem eigenen Vater schlechte Erfahrungen gemacht haben) steht die Beziehung zwischen Gott und uns im Vordergrund. Das Loben kommt dann erst ganz am Schluss - als Antwort.
Peter Vogelsanger (58) ist reformierter Pfarrer in Herblingen und Dekan
Kolumne in den Schaffhauser Nachrichten
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