Selbsthilfeprojekt: Opfer fürsorglicher Zwangsmassnahmen

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Sommerfest Guido Fluri-Stiftung (Foto: David Biedert)
Im Zuge der Wiedergutmachungsinitiative des Bundes hat sich nun auch der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen erneut mit der weiteren Aufarbeitung des dunklen Kapitels Schweizer Geschichte befasst. Die Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Schaffhausen übernimmt die Trägerschaft für ein wichtiges Selbsthilfeprojekt, das vom Lotteriefonds mitfinanziert wird, das Selbsthilfeprojekt für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und deren Angehörige.
Bis ins Jahr 1981 wurden zahlreiche Kinder und Jugendliche Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen. Physische und psychische Gewalt, Missbrauch, Zwangssterilisation, verdingt auf Bauernhöfen oder in Heimen und Pflegeplätzen herumgereicht und von den Behörden und Vertretern von Kirche und Schule im Stich gelassen.
Markus Plüss, Beauftragter des Regierungsrates, Claudine Frey von der Selbsthilfe Winterthur Schaffhausen und Nicole Russenberger, Sozialdiakonin der städtischen Kirchgemeinden, haben an einem ersten Runden Tisch im Juli 2023 im Auftrag des Regierungsrates mit Betroffenen aus dem Kanton Schaffhausen eine Bestandsaufnahme gemacht. Der Runde Tisch war Bestandteil einer umfassenden Bedarfsanalyse, anhand dessen der Regierungsrat nun weitere Maßnahmen beschlossen hat.

Selbsthilfeprojekt „Runder Tisch“

Das Selbsthilfeprojekt „Runder Tisch“ ist nun als erste Maßnahme in der Aufbauphase. Finanziert wird das Projekt mit Geld aus dem Lotteriegewinnfonds, für welches die Kantonalkirche die Trägerschaft übernimmt und mit einem zusätzlichen Betrag mitfinanziert. Das Projekt ist vorerst für zwei Jahre bewilligt. Für die Organisation von Gesprächsrunden und gemeinsamen Veranstaltungen erhält Nicole Russenberger 5 zusätzliche Stellenprozente.
In Vorgesprächen mit dem Erzählbistro Bern, welches mit Geld von der Guido Fluri Stiftung und dem Bundesamt für Justiz finanziert wird und mit den Betroffenen selbst, ist das Bedürfnis von regelmäßigen Treffen in Schaffhausen sichtbar geworden. Bereits dreimal wurden Betroffene und deren Angehörige zu Gesprächsrunden in den Begegnungsraum NACHBAR in der Stahlgiesserei eingeladen. In diesem Raum wird die Möglichkeit geschaffen, in geschütztem Rahmen und gemütlicher Atmosphäre zu erzählen oder einfach nur zuzuhören, sich auszutauschen und miteinander zu vernetzen. In diesem Kontext hat das Erzählbistro Bern im Mai einen Ausflug nach Schaffhausen organisiert, an welchem sich die Schaffhauser Stadträtin Christine Thommen im Namen des Stadtrates auf berührende Weise bei den Betroffenen entschuldigt hat. Nach geführten Erzählrunden am Morgen und einem gemeinsamen Mittagessen besuchten dann die rund 80 Betroffenen aus der ganzen Schweiz, unseren Kraftort Rheinfall und waren begeistert. Nach den Sommerferien ist ein Ausflug ins Naturfreundehaus Buchberghaus geplant und im November ein weiterer Runder Tisch in der NACHBAR.
Die kantonale Aufarbeitung ist von hoher Wichtigkeit, viele der Betroffenen leiden bis heute und sind traumatisiert. Einige haben erhebliche physische oder psychische Schwierigkeiten und die Zeit drängt. Die Regierung des Kantons handelt und die Kantonalkirche setzt ein Zeichen der Mitverantwortung. Sie trägt dazu bei, dass die Geschichten gehört werden und es kein Vergessen gibt!
Nicole Russenberger, Sozialdiakonin Schaffhausen

Weitere Informationen zum Thema: » www.erzaehlbistro.ch und » www.gesichter-der-erinnerung.ch
Buchtipp: Marlon Rusch: Versorgt – 59 Opfer von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen im Kanton Schaffhausen. Schaffhauser Beiträge zur Geschichte, Band 94, Schaffhausen 2022.